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In Russlands Innenministerium wird der Personalmangel akut


Der russische Präsident Wladimir Putin trat am 5. März bei einer erweiterten Kollegiumstagung des Innenministeriums auf und verwies auf die vorrangigen Aufgaben der nächsten Zukunft. Eine von ihnen kann das Innenministerium selbst ganz bestimmt nicht lösen, da die neue Konzeption für die Migrationspolitik eine politische Entscheidung des Staatsoberhauptes ist. Jedoch wird es nicht einfach, auch die anderen Aufgaben zu erfüllen. Nicht ohne Grund hatte der Präsident einen Mangel an Mitarbeitern im Innenministerium konstatiert. Putin beauftragte die Regierung, den Vorschlägen von Innenminister Wladimir Kolokolzew dennoch Gehör zu schenken. Der hatte in seinem Report mit konkreten Zahlen nachgewiesen, dass die Personal- und finanziellen Probleme nicht bloß herangereift seien, sondern bereits überreif geworden seien. Die Teilnahme des Präsidenten an der erweiterten Tagung des Kollegiums des Innenministeriums Russlands ist eine Tradition, und der Präsident bemüht sich, an diese zu halten. Obgleich das Ministerium eine Bilanzierung seiner Tätigkeit natürlich auch ohne ihn hätte vornehmen können. Jedoch muss das Staatsoberhaupt der Polizei auch noch Aufgaben für die Zukunft stellen. Und dies zieht er vor, im Beisein der Spitzenvertreter des Systems zu tun. Tatsächlich sagt der Präsident bei solchen Veranstaltungen auch fast nichts Besonderes, doch einzelne Nuancen sind von Jah zu Jahr auszumachen. Ja, und dieses Mal ging der Präsident neben der üblichen Aufzählung von Leistungen und Herausforderungen hinsichtlich der einen oder anderen Richtung in der Tätigkeit des Innenministeriums besonders auf die Migrationspolitik ein. „Die Priorität ist hier die Sicherheit der Gesellschaft und der Bürger, die Bewahrung unserer kulturellen Identität. Die Kanäle für eine illegale Einwanderung müssen gekappt werden, aktiver sind moderne Instrumente für eine Migrationskontrolle zu nutzen“, erklärte Putin. Somit hatte er augenscheinlich bereits die Forderung aufgehoben, in diesem Bereich einen Kompromiss zwischen der Sicherheit und der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit zu suchen. Die Hauptanweisung des Staatsoberhauptes in diesem Teil sieht jedoch für das Innenministerium nicht irgendwie realisierbar aus, selbst rein theoretisch. „Die Neuerungen müssen ihren Niederschlag in der aktualisierten Konzeption für die staatliche Migrationspolitik finden, die bereits in diesem Jahr – so schnell wie möglich — angenommen werden muss“, unterstrich Putin. Derweil kann aber gerade ohne seine politische Entscheidung dazu, wie das Wesen dieser Politik aussehen soll, keinerlei formales Dokument auftauchen. Und da dies nicht erfolgte, hat es sicherlich in den obersten Führungsetagen bisher keine solche Entscheidung gegeben. Allerdings, da der Präsident jetzt bereits die Wirtschaft nicht erwähnt, kann man die Auffassung vertreten, dass er sich hinsichtlich der Prioritäten festgelegt hat. Derweil verlangt buchstäblich jede der übrigen gestellten Aufgaben, beispielsweise die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit auf den Straßen im Jahr der Feiern zum 80. Jahrestag des Sieges, das Vorhandensein vollwertiger und vollblütiger Polizeieinheiten und -dienste. Putin selbst hat aber eingeräumt, dass es damit Probleme gebe. „Ich weiß, dass im System des Innenministeriums, besonders in den primären Strukturen (vor Ort), der Personalmangel zunimmt. Der Minister wirft ständig diese Fragen auf. Und das Problem ist natürlich ein komplexes, ein systembedingtes, das hinsichtlich aller Richtungen Entscheidungen und Lösungen verlangt“. Der Präsi9dent hat sie genau aufgezählt – dies sind sowohl ein adäquates Einkommen als auch soziale Garantien inklusive Wohnraum. „Ich bitte die Regierung, zusammen mit dem Innenministerium konkrete Vorschläge hinsichtlich all dieser Probleme vorzubereiten und sie zur Behandlung vorzulegen. Es muss eingestanden werden, dass diese Fragen herangereift sind. Ich wiederhole: Der Minister spricht ständig diese Fragen in der Regierung an“, unterstrich Putin. Man muss dies wohl so verstehen, dass dem Finanzblock des Ministerkabinetts die eindeutige Anweisung gegeben wurde, doch den Vorschlägen von Kolokolzew zuzuhören und Gehör zu schenken. In seinem Report hatte der Minister nicht so sehr diese Erklärungen des Präsidenten bestätigt als vielmehr erweitert. Da die Zahlen belegen, dass die Personalfragen nicht einfach herangereift sind. Sie sind reift und bereits bis zu einem realen Mangel an Mitarbeitern ausgeufert. „Die Gesamtzahl der offenen Stellen hat sich innerhalb eines Jahres um mehr als 33.000 erhöht und überstieg 172.000 Arbeitsplätze, von denen 145.000 attestierte sind“, teilte Kolokolzew mit. In der Region Primorje und im Verwaltungsgebiet Iwanowo fehlt fast ein Drittel des erforderlichen Personalbestands – 27 Prozent. „In 39 von 96 territorialen Behörden fehlen über 20 Prozent der Mitarbeiter“. Auf der Ebene der Städte herrsche, wie er anmerkte, etwa das gleiche Bild. In der Verwaltung des Innenministeriums für Jekaterinburg sind beispielsweise 30 Prozent der Dienststellen unbesetzt. Und noch eine besorgniserregende Nuance: Laut Aussagen des Ministers sei es „bezeichnend, dass 40 Prozent den Dienst verlassen, ohne das Recht auf eine Rente zu erhalten“. In den Regionen und direkt am „Boden“ sieht die Situation wirklich besorgniserregend aus. „Im Verwaltungsgebiet Magadan ist faktisch jedes zweite Amt eines Untersuchungsbeamten vakant. Im Verwaltungsgebiet Smolensk sind 40 Prozent der Abteilungen für die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels unterbesetzt. Die Tätigkeit der wichtigsten Dienste der Polizei ist wesentlich erschwert. Im Durchschnitt hat sich in Russland in den letzten fünf Jahren die Anzahl der täglich eingesetzten Streifen um ein Viertel verringert. Bestätigt hat Kolokolzew auch den buchstäblichen Notstand bei den Revierpolizeibeamten: „Praktisch vollkommen ist die Zusammensetzung der Revierpolizeibeamten innerhalb von sechs Jahren eine neue geworden. Allein im vergangenen Jahr kündigte jeder zweite erfahrene Mitarbeiter mit einer Dienstdauer von zehn und mehr Jahren in diesem Bereich. Und die Spezifik dieser Richtung verlangt eine genaue Kenntnis des anvertrauten Territoriums und tägliche Kontakte mit den Bürgern. Um den Kontakt mit der Bevölkerung anzubahnen, sind Jahre erforderlich. Es ist offensichtlich, dass unter solchen Bedingungen eine Gewährleistung der Kontrolle des Zustands der operativen Lage zu unweigerlichen Überstunden führt, wobei ein weiterer Personal-Exodus ausgelöst wird“. Der Minister nannte gleichfalls erstaunliche Zahlen über die Höhe der Polizeigehälter, die seit 2012 um das 1,9fache vor dem Hintergrund des Wirtschaftswachsums um mehr als das 3fache angestiegen sind. Angeführt wurden auch nicht weniger ernsthafte Angaben darüber, dass der Dienst in den Organen des Innern heutzutage zu einer Frauensache werde. „Ein Drittel unserer Mitarbeiter sind Frauen. In einer Reihe von Regionen nähert sich deren Anteil den 50 Prozent hinsichtlich des Personalbestands. Und sie haben aber Kinder und Familien. Zur Kenntnisnahme: In den Organen für die Voruntersuchungen machen 68 Prozent der Mitarbeiter Frauen aus, in den Migrationsabteilungen – 77 Prozent, in den Ermittlungsabteilungen – 81 Prozent“. Dennoch versicherte der Chef des Innenministers dem russischen Präsidenten: „Der Personalbestand wird auch künftig alle Anstrengungen für eine Erfüllung der gestellten Aufgaben unternehmen“. 62