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In Washington bereitet man neue Sanktionen gegen Russland vor


Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat erklärt, dass die Russische Föderation die USA für einen unzuverlässigen Partner halte und auf jegliche unfreundlichen Schritte der Administration von Joseph Biden antworten werde. Die Sache ist die, dass laut Medienberichten die Übersicht über die „feindselige Aktivität“ Moskaus, die Biden bereits im Verlauf des Wahlkampfes zu erstellen versprochen hatte, abgeschlossen wurde. Dies bedeutet, dass die Vereinigten Staaten bald neue Sanktionen verhängen werden. Wobei unter ihnen auch, wie die US-amerikanische Presse berichtet, eine Ausweisung russischer Diplomaten sein werde.

Über den Abschluss der Übersicht berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg. Am Donnerstag hat das Weiße Haus diese Information nicht bestätigt, sie aber auch nicht dementiert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Biden persönlich die Verhängung der Sanktionen gegen die Russische Föderation verkünden möchte. Er hatte doch bereits am ersten Tag nach dem Amtsantritt die Absicht bekanntgegeben, eine Übersicht über die feindselige Politik Moskaus zu erstellen.

Den Erklärungen offizieller amerikanischer Persönlichkeiten nach zu urteilen – insbesondere von Außenminister Antony Blinken -, wird dieses Dokument ein vollständiges Verzeichnis der Beanstandungen enthalten, die die USA gegenüber dem Kreml haben. Es war die Rede davon, dass die Übersicht aus vier Blöcken bestehe: über die Einmischung der Russischen Föderation in die amerikanischen Wahlen, über die Belohnung afghanischer Rebellen durch die russische Aufklärung für Überfälle auf US-amerikanische Soldaten, über die Hacker-Attacken gegen amerikanische Behörden und über den „Fall von Alexej Nawalny“.

Bloomberg behauptet, dass neben den Sanktionen aus den Vereinigten Staaten die russischen Diplomaten ausgewiesen werden würden, deren Tätigkeit nicht dem Status entspreche. Es sei daran erinnert, dass die Botschaft der Russischen Föderation in diesem Land ohnehin in einem beschnittenen Format arbeitet. Aus Washington wurde zwecks Konsultationen der russische Botschafter Anatolij Antonow nach dem Biden-Interview, in dem dieser Wladimir Putin als einen Mörder bezeichnet hatte, abberufen. Der stellvertretende Außenminister Sergej Rjabkow erklärte in einem Interview der Nachrichtenagentur RIA Novosti am 7. April, dass die Rückkehr des Botschafters in Abhängigkeit davon erfolgen werde, welche Schritte Washington unternehmen werde. Wenn die Übersicht fertig ist und neue amerikanische Sanktionen folgen, kann man erwarten, dass Antonow nicht bald in die USA zurückkehren wird.

Auf einer Pressekonferenz zu den Ergebnissen seiner Gespräche in Kasachstan sprach sich der russische Außenminister Sergej Lawrow über die Bloomberg-Meldung aus: „Dies ist schwer zu kommentieren. Antworten werden wir auf jegliche unfreundlichen Schritte. Dies versteht sich von selbst“, sagte er. Lawrow bezeichnete die Verhaltenslinie der Vereinigten Staaten in Bezug auf Russland als eine „blödsinnige“, und Amerika und dessen Verbündeten – als unzuverlässige Partner. „Und in den für die Lebenssicherung eines Staates entscheidenden Bereiche können wir uns nicht auf deren Stimmungen und darauf verlassen, mit welchem Bein sie am Morgen zuerst aufstehen“, merkte Lawrow an. Das Statement des Ministers hatte dem Pressesekretär des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow, sehr gefallen. Er betonte, dass Lawrow „wie immer in seinen Formulierungen treffend ist“.

Obgleich die sich in Vorbereitung befindende Übersicht von der Biden-Administration als eine finale und endgültige Liste von Beanstandungen gegenüber Moskau positioniert wird, ist dies wohl tatsächlich kaum der Fall. Wladimir Wassiljew, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Fragen der USA und Kanada, äußerte in einem Gespräch mit der „NG“ die Vermutung, dass die Amerikaner eine – wie er sich ausdrückte – „portionsweise Methode“ anwenden werden. Eventuell werden Sanktionen gegen irgendwelche Personen verhängt, die nach Meinung der Amerikaner an Cyberattacken, an Verletzungen der Menschenrechte und an einer Einmischung in die Wahlen beteiligt gewesen seien. Danach aber würden auch andere Sanktionen folgen. Wassiljew schließt nicht aus, dass die Ausweisung russischer Diplomaten eine größere sein werde als einfach Maßnahmen gegen konkrete Personen.

„Ich nehme an, dass es um eine mögliche Heruntersetzung des Status der diplomatischen Beziehungen gehen wird. Möglicherweise wird auch Russland andeuten, dass eine Anwesenheit des USA-Botschafters Jake Sullivan in Moskau ebenfalls unangebracht ist“, meint der Experte. Nach Auffassung Wassiljews werde all dies schon keine so großen Probleme in den bilateralen Beziehungen nach sich ziehen. Die Ausweisung russischer Diplomaten könne man, wie er meint, als eine gewisse PR-Aktion ansehen, die eher für die europäischen Verbündeten der USA bestimmt sei. Schließlich würden sich die Amerikaner darauf vorbereiten, Russland unter anderem auch in Europa Paroli zu bieten. Bald seien Maßnahmen der USA gegen das Projekt „Nord Stream 2“ zu erwarten. „Dieses Problem ist in aller Munde, was die amerikanischen Medien angeht. Darüber sprechen Politiker. Dies sind für die Amerikaner keine unbekannten russischen Politiker und Militärs“, sagt der Experte.

Eine gesonderte Intrige birgt die amerikanische Antwort auf die angenommenen Aktionen der russischen Aufklärung in Afghanistan in sich. Entsprechend der in den USA üblichen Tradition ist hier nicht nur seitens des Pentagons eine Antwort möglich. „Ich schließe nicht aus, dass die Amerikaner erklären können, dass sie nicht in den Open-Skies-Vertrag (OSV) zurückkehren werden“, vermutete Wassiljew. Unter Donald Trump waren die Vereinigten Staaten aus diesem Vertrag ausgestiegen, der erlaubt, Inspektionsflüge über dem Territorium eines Unterzeichnerlandes durchzuführen. Die Demokraten hatten diese Entscheidung kritisch bewertet. Doch beeilt sich die Biden-Administration nicht, in den OSV zurückzukehren. Möglicherweise werden die Übersicht und deren afghanischer Teil von ihr als Anlass genutzt werden, um endgültig aus diesem Vertrag auszuscheiden, nimmt der Experte an.