Am Donnerstag hat in Minsk ein Strafprozess gegen Vertreter des in Weißrussland als terroristische Organisation anerkannten Telegram-Kanals NEXTA – gegen Roman Protasewitsch und zwei seiner einstigen Mitstreiter – begonnen. Protasewitsch war im Mai 2021 nach einer erzwungenen Landung eines Flugzeugs der irischen Fluggesellschaft Ryanair in Minsk festgenommen worden. Derweil sind die Gerichtsverhandlungen gegen den Friedensnobelpreisträger von 2022 – den Menschenrechtler Ales Beljazkij – abgeschlossen worden. Er trat mit einem letzten Statement auf und erwartet nun das Urteil, das am 3. März verkündet werden soll. Der Staatsanwalt forderte für ihn zwölf Jahre Straflager. Und auf einer Pressekonferenz, die überraschend am Donnerstag erfolgte, erklärte Alexander Lukaschenko, dass er „die Seite in den Beziehungen mit jenen, die gegen ihn aufgetreten sind, umblättern“ wolle.
Das Minsker Gebietsgericht hat am 16. Februar die Behandlung einer Strafsache gegen die Vertreter des in Weißrussland als terroristische Organisation anerkannten Telegram-Kanals NEXTA Roman Protasewitsch, Stepan Putilo und Jan Rudik begonnen. Allen Angeklagten werden eine Reihe von Paragrafen angelastet, unter ihnen ein Schüren sozialer Feindschaft und Zwietracht, die Organisierung von Massenunruhen, öffentliche Aufrufe zur Ergreifung der Staatsgewalt, die Bildung einer extremistischen Formation und deren Führung, aber auch Verleumdung und öffentliche Beleidigung des Präsidenten Weißrusslands.
Allerdings ist die Situation der Angeklagten eine sehr unterschiedliche. Putilo und Rudik befinden sich im Ausland. Daher wird in Bezug auf sie eine spezielles Verfahrensprinzip angewandt. Beide setzen eine aktive oppositionelle Tätigkeit fort. Protasewitsch aber war zusammen mit seiner damaligen Freundin Sofia Sapega, die gleichfalls als Administrator eines oppositionellen Telegram-Kanals tätig gewesen war, im Mai 2021 auf dem Minsker Flughafen nach einer erzwungenen Landung ihres Ryanair-Fluges 4978 von Athen nach Vilnius festgenommen worden. Er hat vollkommen, mehrfach und darunter auch öffentlich Reue hinsichtlich seiner früheren Handlungen bekundet. Er verurteilte einstige Kollegen aus der Opposition, ließ seine inzwischen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilte Freundin hängen und erfüllte die Bedingungen der mit ihm abgeschlossenen vorgerichtlichen Vereinbarung. Im Zusammenhang mit allem oben Aufgezählten befindet er sich unter Hausarrest.
Charakteristisch ist, dass buchstäblich am Vorabend des Beginns der Behandlung des Protasewitsch-Falls das Gericht der Europäischen Union die Klage von „Belaeronavigazia“ aufgrund dessen Aufnahme in die Sanktionsliste wegen der erzwungenen Landung des Ryanair-Jets abgewiesen hatte. Nach diesem Zwischenfall hatte die EU die Gelder von „Belaeronavigazia“, das für die Kontrolle und die Flugleitung im Luftraum Weißrusslands verantwortlich ist, auf Eis gelegt. Als Antwort erhob das staatliche Unternehmen Klage im Europäischen Gericht, das seinen Sitz in Luxemburg hat, um die Anwendung dieser Sanktionen anzufechten. Am 15. Februar verkündete das Gericht seine Entscheidung: Der Klage ist nicht stattzugeben.
Der Zwischenfall mit dem Ryanair-Flugzeug wurde gleichfalls zur Ursache für die Entscheidung der EU über die Sperrung des europäischen Luftraums für weißrussische Liner.
Es sei daran erinnert, dass am 23. Mai 2021 ein Ryanair-Flugzeug auf dem Weg aus der griechischen Hauptstadt in die litauische gezwungen wurde, kurzfristig in Minsk zwischenzulanden, da die Piloten vom Boden die Information über eine sich angeblich an Bord befindliche Bombe erhalten hatten. Die Anweisung, in der Hauptstadt Weißrusslands zu landen, erfolgte buchstäblich wenige Minuten vor dem Erreichen des litauischen Luftraums. Für die Begleitung des Jets wurde sogar ein Jagdflugzeug der weißrussischen Luftstreitkräfte zum Einsatz gebracht. Nach der Landung in Minsk wurde natürlich keine Bombe an Bord des Flugzeugs gefunden. Dafür fand man aber Protasewitsch und Sapega, die unverzüglich festgenommen wurden. Später wurde das inzwischen 25jährige Mädchen zu sechs Jahren Lagerhaft aufgrund des Vorwurfs, als Administrator des Telegram-Kanals „Schwarzes Buch von Belarus“ tätig gewesen zu sein, verurteilt. Man hatte erwartet, dass die Staatsbürgerin Russlands Sofia Sapega durch Alexander Lukaschenko begnadigt wird. Dies ist jedoch nicht geschehen.
Dieser Tage teilte Sapegas Anwalt Anton Gaschinskij dem Internetportal „Zerkalo“ (deutsch: „Spiegel“) mit: „Keiner erklärt die Gründe für die Ablehnung. Wir werden darum bitte, sie zum Verbüßen der Strafe nach Russland zu schicken. Dort gibt es viele Varianten. Es gibt sowohl eine Entlassung auf Bewährung als auch eine Begnadigung des Präsidenten“.
Während die Anhörungen zum Fall von Protasewitsch erst begonnen haben, ist die Behandlung des Falls des Friedensnobelpreisträger von 2022, des Leiters der Menschenrechtsorganisation „Wesna“ (deutsch: „Frühling“), Ales Beljazkij und drei seiner Mitstreiter gerade abgeschlossen worden. Beantragt wurden für sie neun bis zwölf Jahre Freiheitsentzug (u. a. aufgrund von Betrugshandlungen und Verstößen gegen die Devisengesetzgebung – Anmerkung der Redaktion). Das Urteil wird am 3. März verkündet.
In seinem Schlusswort erklärte Ales Beljazkij: „Das Strafverfahren gegen uns – Menschenrechtler von „Wesna“ – ist politisch motiviert. Diese ganze Epopöe in 284 Aktenbänden, hunderten Durchsuchungen und Verhören im ganzen Land hat nichts mit einer Voruntersuchung gemein. Und dazu kommt der politische Background. Und danach gab es auch keine gerechte gerichtliche Untersuchung“. Beljazkij beendete seine Rede mit dem folgenden Appell: „Wenn wir eine Chance für eine wirtschaftliche, soziale, gesellschaftspolitische und ökologische Entwicklung unseres Volkes erhalten wollen, müssen wir einen gesellschaftlichen Dialog beginnen. Es reicht. Man muss diesen Bürgerkrieg stoppen! Ich hoffe, dass man mich vernimmt“.
Am Donnerstag erklärte Alexander Lukaschenko auf seiner überraschend organisierten Pressekonferenz: „Nennen Sie jeden beliebigen sogenannten politischen Gefangenen! Wir werden erklären, was er verübte, warum er sich dort (hinter Gittern – Anmerkung der Redaktion) befindet. Wir haben einen Schritt nicht nur auf unsere inländischen (Einsitzenden) hinzu getan, sondern auch in Bezug auf jene, die geflohen sind, nachdem sie hier eine Rechtsverletzung begingen. Lassen Sie uns die Seite umblättern, kommen Sie! Wir werden uns Klarheit verschaffen!“
Hauptsächlich galt das Gespräch mit weißrussischen und scheinbar handverlesenen ausländischen Journalisten den Versicherungen, dass Weißrussland nur Frieden und eine gute Nachbarschaft mit allen angrenzenden Ländern wolle, aber auch den Aufrufen zu einer Beendigung der Konfrontation in der Ukraine. Aber auch hier gelang es nicht, das Thema der Beziehungen zu den Gegnern seiner Herrschaft, die sich sowohl in Haft als auch in der Emigration befinden, zu umgehen.
„Ich persönlich möchte nicht, wie auch viele hier, hier die weißrussischen Journalisten, dass unsere Landsleute irgendwo bei Ihnen im Ausland herumlungern. Nicht nur in England, nicht nur in Frankreich und gar in Polen, wo es heute in den Krankenhäusern keine Arbeitskräfte gibt. Ja, aber das „schlechte Belarus“ – unsere Ärzte – die sind dort gefragt. Ich möchte, dass sie hier leben und hier arbeiten. Und wir sind bereit, das zu vergeben, was man vergeben kann. Ja, solch eine demokratische Diktatur haben“, erklärte der Präsident.
Post Scriptum
Derweil verfolgt man im Ausland sehr aufmerksam, wie sich Minsk in Bezug auf den Ukraine-Konflikt weiter verhalten wird. Vor allem nach dem Freitagtreffen von Kremlchef Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko vor den Toren Moskaus. Aufhören ließ dabei unter anderem eine Erklärung des weißrussischen Gastes, wonach weißrussische Spezialisten bereit seien, die Herstellung russischer Kampfflugzeuge zu beginnen. Die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS sendete dazu folgendes Zitat: „Wie mir in der Regierung berichtet wurde, ist man bereit, die Herstellung eines Flugzeuges aufzunehmen, dass sich in der Ukraine gut bewährt. Es ist ein Kampfflugzeug, ein Arbeitspferdchen. Wir sind bereit, es in Belarus bei einer entsprechenden geringen technologischen Unterstützung der Russischen Föderation zu bauen“, sagte das weißrussische Staatsoberhaupt.
Und bei dem bereits erwähnten Pressetermin Lukaschenkos am Donnerstag gab es ebenfalls interessante Informationen. „In Belarus gibt es allein unter den Bedingungen der Friedenszeit 75.000 (Menschen) in der Armee. Aber bei Bedarf kann man in mehreren Etappen unter Kriegsbedingungen ihre Stärke bis auf eine halbe Million erhöhen“. „Keiner braucht einen Krieg. Solange es heute keine Ausdehnung dieser Aggression gibt, lassen Sie uns sich über einen Frieden einigen“, sagte das 68jährige Staatsoberhaupt. Zur gleichen Zeit bekundete der Präsident die Gewissheit, dass der Westen und die Ukraine bisher nicht dazu bereit seien. „Sie sind nicht bloß nicht bereit. Dies wäre für Sie eine schreckliche Tragödie und Katastrophe, wenn jetzt Friedensverhandlungen beginnen würden. Sie brauchen einen Krieg“, behauptete Lukaschenko. Ein Narrativ, das in Moskau ständig in den Medien und aus dem Munde offizieller Vertreter zu vernehmen ist.