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In Weißrussland liquidiert man unabhängige Gewerkschaften


Das Oberste Gericht von Weißrussland liquidiert die unabhängigen Gewerkschaften des Landes – eine nach der anderen. Für den 18. Juli ist eine Sitzung hinsichtlich des Weißrussischen Kongresses demokratischer Gewerkschaften, zu dem sie gehört hatten, anberaumt worden. Seine Führer befinden sich bereits hinter Gittern. Und ungeachtet der Proteste internationaler Organisationen haben die Herrschenden von Weißrussland augenscheinlich Kurs auf eine völlige Beseitigung der von ihnen nichtkontrollierten Arbeiterorganisationen genommen.

Das Oberste Gericht hat am 14. Juli einen Beschluss über die Liquidierung der Freien Weißrussischen Gewerkschaft (FWG) und der Freien Metaller-Gewerkschaft (FMG) gefasst. Am Vorabend hatte dieses Schicksal auch die Weißrussische Gewerkschaft der Beschäftigten der funkelektronischen Industrie (BFEI) und die Weißrussische Unabhängige Gewerkschaft (WUG) ereilt. All diese Organisationen gehörten zum Weißrussischen Kongress demokratischer Gewerkschaften (WKDG). Über sein Schicksal wird am 18. Juli entschieden.

Die Internetseite des WKDG konstatiert: „Die Liquidierung dieser Strukturen bedeutet, dass in Belarus die unabhängige Gewerkschaftsbewegung praktisch vollkommen bereinigt wird. Bisher sitzen mehr als zehn Spitzenkräfte und Aktivisten dieser Gewerkschaften hinter Gittern“.

Im Zusammenhang mit der entstandenen Situation hat die Globale Gewerkschaft IndustriALL – eine internationale Vereinigung von Industriearbeiter-Gewerkschaften, die 50 Millionen Menschen in 140 Ländern der Welt vertritt — eine spezielle Erklärung abgegeben. In diesem Dokument heißt es: „In Belarus dauern die harten Repressalien gegen die Gewerkschaften an. Die Offiziellen wollen den Weißrussischen Kongress der demokratischen Gewerkschaften und alle unabhängigen Gewerkschaften zu „extremistischen Organisationen“ erklären. Der Generalsekretär von IndustriALL, Atle Høie (aus Norwegen – Anmerkung der Redaktion), verurteilt zusammen mit der Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes, Sharan Burrow (aus Australien – Anmerkung der Redaktion) „die vollkommene Missachtung des Rechts auf eine gerechte gerichtliche Untersuchung und der Grundrechte der Arbeitnehmer seitens der weißrussischen Offiziellen“.

Der Generalsekretär der Organisation Atle Høie unterstrich besonders: „Die internationale Arbeiterbewegung steht fest auf der Seite der Arbeiter und Aktivisten von Belarus, die für die Realisierung ihrer wichtigsten Arbeitsrechte kämpfen“.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind mindestens 15 Führungskräfte und Aktivisten des Weißrussischen Kongresse der demokratischen Gewerkschaften festgenommen worden und befinden sich in Haft. Einige von ihnen sind bereits verurteilt worden.

So war am 19. April gleich eine Gruppe von Spitzenkräften und Aktivisten unter Führung von Alexander Jaroschuk – des Vorsitzenden des WKDG – festgenommen worden. Sie alle warten auf ihren Prozess. Und ihre Organisationen haben ihn derweil ihn schon erlebt und werden ihn in der nächsten Zeit erleben.

Den offiziellen Entscheidungen war eine informationsseitige Vorbereitung vorausgegangen. Auf dem staatlichen Fernsehkanal „Belarus 1“ wurde am Montag ein Film gezeigt, der die Gewerkschaftsführer entlarven sollte.  Die Autoren des Films behaupten: „Der WKDG gehört zum Internationalen Gewerkschaftsbund mit Sitz in Brüssel. Ihrerseits gehören die WUG, die Gewerkschaft der BFEI und der FMG als eigenständige Gewerkschaften auch der globalen Gewerkschaft IndustriALL (eine der Globalen Gewerkschaftsföderationen, die 2012 gegründet wurde – Anmerkung der Redaktion), deren Sitz sich in Genf befindet, an. Vertreter dieser internationalen Strukturen organisierten auch den widerrechtlichen Finanzierungskanal. Dies musste man geheim halten. Daher hatte die ausschließlich auf einer angeblich „freiwilligen Grundlage“ arbeitende Führung des WKDG aktiv an der illegalen Einfuhr von Geldern aus dem Ausland nach Belarus gearbeitet“.

Weiter wird über die (angeblichen) kriminellen Taten der im April verhafteten Gewerkschaftsaktivisten informiert: „Bis zum Jahr 2020 sind die Führer des Weißrussischen Kongresses der demokratischen Gewerkschaften, Alexander Jaruschuk und sein Stellvertreter Sergej Antusjewitsch zu unterschiedlichen Seminaren und Konferenzen ins Ausland gereist. Von dort haben sie Geld mitgebracht. Um den Gesetzesverstoß zu verheimlichen, hatten die westlichen Kuratoren für Antusjewitsch eine Kreditkarte in der belgischen Bank Belfius eingerichtet. Das Geld hob er von der Karte im Ausland und an weißrussischen Geldautomaten ab. Und danach teilte er es zusammen mit Jaroschuk unter den „eigenen Leuten“ auf“.

Und es wird die Schlussfolgerung gezogen: „Die durch internationale Organisationen in widerrechtliche Finanzierungsschemas hineingezogenen weißrussischen Gewerkschaftsfunktionäre hatten sich bei der Auszahlung des „Gehalts in Umschlägen“ nicht einmal über die Notwendigkeit der Zahlung der Einkommenssteuer, aber auch der entsprechenden Versicherungs- und Rentenbeiträge an den Haushalt Gedanken gemacht“.

Die aktuellen Ereignisse kommentierte für das Internetportal „Salidarnasz“ (deutsch: „Solidarität“) das frühere Mitglied des Rates der Gewerkschaften der Beschäftigten der funkelektronischen Industrie, der Menschenrechtler Andrej Strischak. Er unterstrich unter anderem: „Die Situation habe ich bereits im Jahr 2021 beschrieben, als ich davon sprach, dass das absolut gesamte lebendige Feld, das geblieben ist, gesäubert werde. Es werden nur prostaatliche oder absolute tote Strukturen bleiben, die nichts tun können. Was die Säuberung der Gewerkschaften angeht, so ist dies bereits eine reine Formalität, denn unter Berücksichtigung der Situation, die sich in den letzten zwei Jahren ergeben hat, würde keiner den unabhängigen Gewerkschaften erlauben, normal zu arbeiten“.

Der Menschenrechtler betont, dass sich die Offiziellen früher nicht auf solche Handlungen eingelassen hätten. Und dies unter Berücksichtigung der Meinung ausländischer Organisationen und insbesondere der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die bei der UNO wirkt. Jetzt aber habe sich die Situation offenkundig verändert.

Strischak konstatiert: „Die Liquidierung der Gewerkschaft der BFEI und das Einsperren der Führungskräfte des WKDG, Alexander Jaroschuk und Sergej Antusewitsch, wären früher einfach undenkbare gewesen, denn Belarus versuchte, für die ILO irgendwie eine gute Miene bei einem schlechten Spiel zu wahren. Jetzt pfeifen die Offiziellen einfach auf alle internationalen Strukturen. Sie haben den Köder geschluckt, und nun hat es sie mitgerissen. Für sie gibt es diese Verteidigungslinie, die entsprechend den Grenzen der Föderation der Gewerkschaften Weißrusslands, der Organisation „Weiße Rus“, des Weißrussischen Republikanischen Jugendverbands (auch: Belarussische Republikanische Junge Union), der Pionierorganisation, des Frauenverbands – all dieser prostaatlichen Strukturen – verläuft. Das Übrige wird nur im Format von Dissidentengruppen und Partisaneneinheiten existieren. Es wird für wirklich unabhängige Organisationen keine Möglichkeit im Land geben, normal zu arbeiten“.

P.S.

Derweil werden in Weißrussland nicht nur die unabhängigen Gewerkschaften plattgemacht. Innerhalb eines Jahres sind nach einer berüchtigten Welle von Durchsuchungen bei weißrussischen Menschenrechtlern und Aktivisten sowie von Verhaftungen 857 Menschenrechts-, nichtkommerzielle Organisationen und gesellschaftlichen Stiftungen liquidiert worden oder befinden sich im Stadium einer Liquidierung. Darüber informierten am Donnerstag die weißrussische nichtkommerzielle Organisation OEEC, die zusammen mit der Vereinigung Lawtrend entsprechende Daten ermittelte und vorstellte.