Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Innerhalb eines Jahres verringerte sich in Russland der Umfang medizinischer Hilfe um 25 Prozent


Den Kampf gegen die COVID-19-Pandemie hat das System von Russlands Gesundheitswesen mit einer Vielzahl von Problemen aufgenommen. Der Rechnungshof veröffentlichte sein Gutachten zum Bericht des Fonds für die Krankenpflichtversicherung, aus dem folgt, dass das Orientierungsziel des Präsidenten hinsichtlich einer Anhebung der Löhne für das medizinische Hilfsperson auch im Jahr 2020 nicht erreicht worden ist. Experten halten dies für einen äußerst ernsthaften Fehlschlag. Die Umfänge der spezialisierten medizinischen Hilfe unter den Bedingungen einer stationären Tages- und 24-Stunden-Behandlung sind um 16 bzw. 25 Prozent zurückgegangen. Zusätzlich dazu fand das russische Statistikamt Rosstat heraus, dass die durchschnittliche Wartezeit für schnelle medizinische Hilfe im Vergleich zu 2018 beinahe um das Doppelte zugenommen hat. Dabei erhöhte sich auch der Anteil der Bürger, die sich zwecks Hilfe an Polikliniken wandten, sie aber nicht erhalten konnten.

Der Rechnungshof hat ein Gutachten zum Report vorgelegt, der anhand der Ergebnisse der Realisierung des Haushalts des Fonds für die Krankenpflichtversicherung für das Jahr 2020 vorbereitet worden war. Dabei teilten die Rechnungsprüfer mit, wie gerade die Aufgaben realisiert wurden, die zuvor durch den Präsidenten gestellt worden waren.

Unter anderem ist der Parameter für das Informieren über das Recht auf eine prophylaktische Untersuchung erreicht worden. Solche Informationen haben 49,9 Millionen Menschen erhalten. Außerdem haben eine prophylaktische medizinische Untersuchung und Voruntersuchungen 28 Millionen Menschen durchlaufen. Somit ist der diesbezügliche festgelegte Zielwert erreicht worden. „Die Anzahl der Zyklen für eine extrakorporale künstliche Befruchtung für gesundheitlich bedingte kinderlose Familien hat den geplanten Wert um 14.600 Zyklen überstiegen, wobei insgesamt 74.600 Zyklen vorgenommen wurden. Hinsichtlich der Konsultationen und Konsilien unter Einsatz telemedizinischer Technologien sind 20.800 mehr als geplant durchgeführt worden, das heißt 70.800 Konsultationen“, zählten die Auditoren auf. „Für Patienten mit onkologischen Erkrankungen sind über 5,5 Millionen medizinische Leistungen erbracht worden“.

Derweil hat es auch Flops gegeben. Die geplante Höhe hinsichtlich der Löhne für die Beschäftigten der Kategorie „medizinisches Hilfspersonal“ ist im vergangenen Jahr beinahe erwartungsgemäß nicht erreicht worden. Und es war eigentlich angestrebt worden, die Löhne für das Hilfspersonal bis auf das regionale Mittel anzuheben. Und dieses Ziel sollte auch schon 2018 erreicht werden.

„Im Jahr 2020 belief sich das durchschnittliche Monatseinkommen der Mitarbeiter der ausgewiesenen Kategorie auf 41.037,70 Rubel (umgerechnet ca. 470 Euro), und der durchschnittliche monatlich berechnete Lohn – auf 42.366 Rubel (umgerechnet etwa 487 Euro)“, teilt der Rechnungshof unter Verweis auf Daten von Rosstat mit. „Somit machte der faktische Wert 96,9 Prozent aus, was mit 3,1 Prozent unter dem Wert lag, der durch den Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 7. Mai 2012 festgelegt worden war“. Die Rechnungsprüfer betonten, dass die „Informationen über die ermittelten Risiken für das Nichterreichen des Verhältnisses des Lohnes für die medizinischen Mitarbeiter im Jahr 2020 durch den Fonds an das Gesundheitsministerium weitergeleitet worden waren“.

Obgleich, wenn man anhand der Auskunftsinformationen urteilt, die der „NG“ im Rechnungshof zur Verfügung gestellt wurden, die Situation im Jahr 2019 schlimmer war. Damals lag der faktische Wert bei 89,9 Prozent. Das heißt: Die Löhne des Hilfspersonals lagen mit 10,1 Prozent unter dem Zielwert.

Daneben wies der Rechnungshof darauf hin, dass „die Umfänge spezialisierter medizinischer Hilfe, die der Bevölkerung der Russischen Föderation unter Bedingungen einer stationären Tages- und 24-Stunden-Behandlung gewährt wurden, im Jahr 2020 um 16,1 bzw. 25,4 Prozent zurückgegangen sind“.

Nach Analyse der Vornahme der Ausgaben aus dem Etat des Fonds der Krankenpflichtversicherung betonte der Rechnungshof, dass in ihrer Struktur 95 Prozent Transfers an die territorialen Vertretungen des Fonds ausgemacht hätten.

Und anhand der Ergebnisse ihrer Analyse lenkte der Rechnungshof das Augenmerk auf die Tendenz eines Rückgangs der Anzahl der Mitarbeiter in den medizinischen Einrichtungen, darunter der Beschäftigten der untersten Ebene. Und dies vor dem Hintergrund einer erheblichen Zunahme der Ausgaben für die Transfers an die Regionen zwecks Entlohnung der medizinischen Mitarbeiter.

„So sind im Jahr 2020 in den medizinischen Einrichtungen ganze 44.700 Menschen eingestellt worden, was um 2.500 Menschen (5,3 Prozent) weniger war als im Jahr 2019“, heißt es in den Materialien des Rechnungshofs. „Die Anzahl der Mitarbeiter der untersten Ebene in den medizinischen Einrichtungen ist insgesamt um 3.500 Menschen (0,8 Prozent) zurückgegangen und belief sich zum Jahresende auf 450.000 Menschen“.

Dieses Bild ergänzen die Ergebnisse einer Komplexen Beobachtung der Lebensbedingungen der Bevölkerung, die Rosstat einmal in zwei Jahren vornimmt (erfasst werden dabei 60.000 Haushalte in allen Subjekten der Russischen Föderation).

Rosstat ermittelte, dass im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2018 der Anteil der Bürger im Land zurückgegangen ist, die medizinischer Hilfe bedurften sich dennoch aber nicht an medizinische Einrichtungen wandten. Er machte im Jahr 2020 rund 29 Prozent gegenüber den fast 35 Prozent zwei Jahre zuvor aus.

Dabei hatten im Jahr 2018 etwa 30 Prozent von ihnen mitgeteilt, dass sie mit der Arbeit der medizinischen Einrichtungen unzufrieden gewesen seien. Jeder vierte verwies auf einen Mangel an Zeit, jeder fünfte erklärte, dass er nicht mit einer effektiven Heilbehandlung rechne. Im Jahr 2020 erklärten von denjenigen, die sich nicht um medizinische Hilfe bemüht hatten, lediglich 16 Prozent, dass es an Zeit gemangelt hätte. Insgesamt aber dominierte unter ihnen auch eine skeptische Einstellung.

Derweil, wenn man gerade über ambulatorische Hilfe in Polikliniken spricht, hatten sich zwecks dieser im vergangenen Jahr etwas weniger Menschen an die entsprechenden medizinischen Einrichtungen als im Jahr 2018 gewandt – rund 40 Prozent gegenüber von etwa 42 Prozent.

Gleichzeitig damit war der Anteil der Bürger, die sich zwecks Hilfe an Polikliniken gewandt hatten, sie dort aber nicht erhalten konnten, ein relativ geringer. Man kann aber als eine besorgniserregende Tendenz das ansehen, dass er sich im Vergleich zu 2018 fast verdoppelte. Im Jahr 2020 machte dieser Anteil rund fünf Prozent derjenigen Patienten aus, die sich an die Polikliniken gewandt hatten. Zwei Jahre zuvor waren es etwa drei Prozent gewesen. Und während im Jahr 2018 die Hauptursache für den Nichterhalt von Hilfe das Fehlen eines notwendigen Facharztes war (41 Prozent der Fälle), so waren es im vergangenen Jahr in 38 Prozent aller Fälle die Quarantänemaßnahmen in den Polikliniken.

Außerdem machte, wie das Statistikamt mitteilte, die durchschnittliche Zeit des Wartens auf schnelle medizinische Hilfe insgesamt landesweit fast 40 Minuten aus. Dabei wartete fast jeder zehnte Patient länger als eine Stunde auf sie. Dies ist wesentlich schlechter als im Jahr 2018, als die durchschnittliche Zeit des Wartens auf schnelle medizinische Hilfe rund 26 Minuten betrug. Und lediglich knapp drei Prozent der Patienten mussten über eine Stunde auf sie warten. Und selbst solche Daten vor dem Hintergrund jener Meldungen, die im vergangenen Jahr kursierten, scheinen bescheidende Schätzungen zu sein.

Auch hat sich im Jahr 2020 die durchschnittliche Wartezeit zwecks Aufnahme zu einer stationären Behandlung auf der Grundlage von Überweisungen von etwa elf Tagen im Jahr 2018 bis auf 14 Tage erhöht. Der Anteil der Patienten, die noch an dem Tag, an dem sie sich zwecks Hilfe an eine medizinische Einrichtung gewandt hatten, zur stationären Behandlung aufgenommen wurden, machte im vergangenen Jahr etwa 43 Prozent aus. Im Jahr waren es ungefähr 72 Prozent.

Die Regierung stattet derweil weiter die Medizin finanziell aus. Premier Michail Mischustin unterzeichnete eine Anweisung über die Bereitstellung von über 85 Milliarden Rubel für die Regionen zwecks Unterstützung des Systems des Gesundheitswesens, hieß es am vergangenen Mittwoch im Ministerkabinett. Das von Michail Muraschko geleitete Gesundheitsministerium soll innerhalb von dreißig Tagen alle Abkommen mit den Regionen abschließen und die Effektivität der Ausgaben kontrollieren.

Ljubow Chrapylina, Direktorin des wissenschaftlichen und Bildungszentrums für soziale Entwicklung der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst, betonte, dass das russische Gesundheitswesen eine Vielzahl von Problemen habe, die sich im Verlauf vieler Jahre angehäuft und verstärkt hätten.

Erstens ist dies „der physische und moralische Abnutzungsgrad der Objekte des Gesundheitswesens, was die Errichtung und grundlegende Instandsetzung einer großen Anzahl von Polikliniken, Krankenhäusern sowie Feldscher- und Hebammen-Punkte erfordert“. Zweitens seien dies nach Aussagen der Expertin „die veraltete technische Sicherstellung und im Zusammenhang damit die Notwendigkeit einer Modernisierung von Anlagen und Ausrüstungen sowie die Implementierung prinzipiell neuer diagnostischer und medizinischer Behandlungstechnik sowie neuer Heilpräparate“.

Drittens ist dies die „Personalpolitik, die in der heutigen Form zu keiner effektiven Erhöhung der Qualifikation und Kompetenz des Personals führt“. Chrapylina wies besonders auf die Notwendigkeit einer Ausbildung von Leitungspersonal hin.

„Zweifellos ist es für Patienten mit chronischen Erkrankungen sehr schwer geworden, real medizinische Hilfe zu bekommen. Schließlich ist sie in der Coronavirus-Pandemie in den staatlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens offiziell drastisch verringert worden“, fuhr Chrapylina fort. „Die Menschen (die Mittel haben) sind gezwungen, sich an private Einrichtungen zu wenden und kostenpflichtige Leistungen zu erhalten“. „Eine Lösung der ausgewiesenen Probleme ist mittelfristig (ganz zu schweigen von einer kurzfristigen Perspektive) selbst bei Bereitstellung wesentlicher finanzieller Ressourcen unmöglich“, meint die Expertin.

„Medizinische Hilfe ist im Zusammenhang mit der Reformierung des gesamten Systems des Gesundheitswesens zu einer schwer zugänglichen geworden. Viele medizinische Einrichtungen wurden einer Optimierung unterzogen. Aus den mehr oder weniger kleinen Einrichtungen hat man die Ärzte mit einer begrenzten Spezialisierung und andere Spezialisten in größere abgezogen“, fuhr die Leiterin des wissenschaftlichen Labors der Russischen G.-V.-Plechanow-Wirtschaftsuniversität, Jelena Jegorowa, fort. „Zugenommen hatte die Wartezeit für eine Konsultation. Das Fahren in den Nachbarkreis oder in die Nachbarstadt ist zu einer Notwendigkeit geworden“.

„Natürlich, die Krise hat nicht in der Zeit der Pandemie begonnen, sondern erheblich früher. Und dass in der Zeit der Pandemie eine „Versetzung“ von Ärzten für die Pandemie-Bekämpfung erforderlich wurde, die Selbstisolierung, in deren Folge sich die chronischen Erkrankungen in der Bevölkerung zuspitzte und neue spät festgestellt wurden, dies hat nur die bereits vorhandenen Probleme verschlimmert“, fügte Jegorowa hinzu.

Chrapylina ging gleichfalls auf das Problem des medizinischen Hilfspersonals ein. „Dazu gehören Sanitäter, Sanitäter-Fahrer, Hilfsschwestern für die Krankenpflege und Schwestern, die sich mit Wirtschaftsfragen befassen. Diese MitarbeiterInnen sind mit einer außerordentlich wichtigen Sache für die konkreten Krankenhäuser und Struktureinheiten der medizinischen Einrichtungen befasst“, sagt die Expertin. „Ungeachtet der offenkundigen Wichtigkeit solcher Mitarbeiter war ihre Arbeit stets ein gering bezahlte, was einen Mangel an diesen Mitarbeitern auslöste“.

Mehr noch, „aufgrund unverständlicher Ursachen haben in der letzten Zeit die Leiter von Einrichtungen begonnen, solche Mitarbeiter abzubauen, deren Status zu verändern, indem sie diese als Reinigungskräfte mit einem noch geringeren Lohn einstuften“, betonte Chrapylina.

Und an die Stelle dieser Mitarbeiter seien Personen aus privaten Organisationen in die medizinischen Einrichtungen gekommen, „die begonnen haben, sich mit der Pflege konkreter Patienten für recht große Summen zu befassen, die sie von den Patienten oder deren Verwandten erhalten“, präzisierte sie.

„Das Problem der Bewahrung des medizinischen Hilfspersonals, besonders in den Krankenhauseinrichtungen, ist ein äußerst akutes“, meint Chrapylina. „Es verlangt die Aufmerksamkeit der staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen“.