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Internetressourcen kommen in Russland unter staatliches Zählwerk


Der Staatsduma-Abgeordnete der Kremlpartei „Einiges Russland“ Anton Gorelkin hat einen Gesetzentwurf über ein einheitliches „Zählwerk“ für die Internet-Ressourcen, die auf dem Territorium der Russischen Föderation tätig sind, vorgelegt. Vorgesehen ist, dass es ab 1. August zu arbeiten beginnen wird, wenn die Aufsichtsbehörde für Fernmeldewesen und Internet Roskomnadzor die Institution bzw. Organisation bestimmen wird, die zwangsweise das Auditorium der Netzressourcen, die in einem speziellen Register ausgewiesen werden, messen wird. Der Umfang des Traffics bestimmt die Höhe der Einnahmen, die vor allem bei den regierungstreuen Projekten zunehmen sollen. Die oppositionellen Kanäle und Seiten wird man aber unter Druck setzen können, dabei aber über sie eine vollkommene Statistik, darunter auch bezüglich konkreter Nutzer haben.

Im Erläuterungsschreiben zur Gesetzesvorlage Gorelkins heißt es, dass sie „zwecks Gewährleistung einer Vergleichbarkeit, Offenheit, Glaubwürdigkeit und Vollständigkeit der Daten“ ausgearbeitet worden sei.

Diese Daten sollen nun „im Ergebnis von Untersuchungen des Umfangs des Auditoriums von Fernsehkanälen (Fernsehprogrammen und -sendungen), Internetmedien, audiovisuellen Service-Anbietern, Nachrichten-Aggregatoren und anderen Informationsressourcen im Internet, die Produkte von Massenmedien sowie audiovisuelle Werke und andere allgemein zugängliche Informationen verbreiten“, gewonnen werden. Und natürlich weist der Vertreter von „Einiges Russland“ auf die „gesellschaftliche Relevanz der Anwendung der Daten, die im Ergebnis solcher Untersuchungen gewonnen werden“, hin.

Nach Aussagen Gorelkins sei derzeit eine Berichterstattung über das Auditorium von Internetplattformen aus völlig verschiedenen Quellen zugänglich, deren Glaubwürdigkeit man nicht überprüfen könne. Und folglich könne man auch kein „adäquates Bild vom Auditorium des einen oder anderen Ereignisses“ erstellen. Es ist klar, dass „dies dem Business – sowohl den Werbekunden als auch den Content-Produzenten – schadet, der Staat sieht auch nicht, was in diesem Bereich passiert“. Daher bestehe in Russland weiterhin das Problem von Raubkopien, die „nach wie vor einen signifikanten Anteil am Media-Konsum der Bürger Russlands ausmachen“, betont der Volksvertreter.

Gemäß dem Wortlaut des Gesetzentwurfs soll Roskomnadzor bis zum 1. August 2021 eine Auswahl einer bevollmächtigten Organisation zur Untersuchung des Umfangs des Auditoriums vornehmen. Das Verzeichnis der Daten, die für die Vornahme der Analyse erforderlich sind, und die Modalitäten für deren Vorlage durch die Besitzer der Informationsressourcen wird die Regierung der Russischen Föderation festlegen. Im Dokument ist aber bereits präzisiert worden, dass die so seitens des Staates zu kontrollierenden Ressourcen in einem separaten Register erfasst werden. Alle in ihm erfassten Ressourcen haben eine entsprechende Monitoring-Software zu installieren.

Da Gorelkin selbst vom Business sprach, kann angenommen werden, dass eine neue Etappe im Kampf um die Werbeeinnahmen beginnen wird. Ein Großteil von ihnen fällt bereits jetzt den regierungsnahen Projekten zu. Und von nun an wird augenscheinlich Kurs auf ein totales Dominieren genommen. Um dies zu erreichen, muss gezeigt werden, dass andere Ressourcen, beispielsweise oppositionelle, tatsächlich keinen großen Traffic generieren. Von daher ergibt sich aber die Vermutung, dass die Initiative Gorelkins auch auf eine Lösung einer Reihe politischer Fragen, die vor den Offiziellen stehen, abzielt. Dies ist – sagen wir einmal – der Streit darüber, wer im Internet einflussreicher ist – die Anhänger der Herrschenden oder deren Gegner. Den von Gorelkin vorgeschlagenen Mechanismus wird man überdies augenscheinlich auch für die Ausübung von Druck auf die internationalen Netzwerke und Messenger-Dienste ausnutzen können. Ganz nach dem Motto: Sie pushen doch die Popularität eben jener Nawalny-Leute. Dem ist objektiv nicht so (die Popularität). Und daher bereiten Sie sich auf Strafen und andere Sanktionen vor.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow bestätigte, dass „dies in einem größeren Maße ein Kampf um einen neuen Markt neben der Telemetrie ist. Dies ähnelt einen Lobbyisten-Gesetzentwurf“. Aber obgleich das Problem schon seit langem herangereift sei, bräuchten sowohl der Staat als auch die Werbekunden bestimmt glaubwürdige Daten. „Die Hauptfrage ist, wer wird messen.“ Der Experte stimmte auch dem zu, dass jegliche derartige Initiativen etwas mit der Politik zu tun hätten. Der Staat beobachtet schon jetzt die Internetressourcen aus der Sicht der Inhalte. Ergo ziehen – sagen wir einmal – die Seiten der ausländischen Agenten schon keine Werbekunden an. Das heißt, ein derartiger telemetrischer Analysator kann für den Staat auch zu einem Instrument werden, „um die seinen zu promoten und Fremde absacken zu lassen“, wie dies bereits durch das System von Top-Nachrichten eines der Aggregatoren getan wird. „Das Wichtigste aber ist dennoch der Inhalt und nicht das Auditorium. Eine Ressource kann eine Million Nutzer haben, aber die Offiziellen absolut nicht interessieren. Sie kann aber auch ein Auditorium von 50.000 haben und den Kreml stark beunruhigen, da man dort Schlechtes über ihn schreibt“, erläuterte Kalatschjow. Außerdem werde für die Kuratoren der Innenpolitik und die Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane „ein ausgezeichnetes Instrument für die Erfassung von Informationen darüber, wer welche Seiten aufsucht“, merkte der Experte an. „Und davon werden die Geschwindigkeit und die Stärke der Reaktion der Offiziellen abhängen“. Das heißt, man wird, nachdem man objektiv die Risiken und Gefahren abgewogen hat, beispielsweise akkurat und rechtzeitig eine populäre oppositionelle Internetseite vor deren Anklicken blockieren oder zumindest bekanntgeben können, dass „real ihr Rating weitaus geringer ist als die Oppositionellen sie pushen“.

Alexej Makarkin, 1. Vizepräsident des Zentrums für politische Technologien, merkte an, dass „man vieles messen kann, aber es ergeben sich die Fragen: Für wen ist dies und wen wird man messen?“. Obgleich im Erläuterungsschreiben zum Gesetzentwurf die Notwendigkeit von einer Offenheit der Informationen und einer Veröffentlichung objektiver Daten mit einem Bedürfnis seitens der Gesellschaft begründet wird, kommen Zweifel auf, ob dies gerade ihr Bedürfnis ist und nicht seitens des Staates. Schließlich hat man auch früher viele Initiativen, die gerade für die Herrschenden von Vorteil sind, mit gesellschaftlichen Bedürfnissen begründet – zum Beispiel die Gesetze über die ausländischen Agenten. „Ein reales Bedürfnis seitens der Gesellschaft bezüglich der Einrichtung eines Internet-Zählwerkes ist nicht auszumachen, ja und dann auch noch ein so rasantes – zum 1. August“, erklärte der Experte. Nach Meinung von Makarkin ähnele dies alles mehr einer Zunahme der staatlichen Kontrolle des Internetbereichs, der politischen und wirtschaftlichen Kontrolle. „Ins Auge fällt die Nähe des Inkrafttretens zu den Wahlen. Und wozu dies getan wird, wird nicht erklärt. Vielleicht wollen die Offiziellen sehen, wohin die Wähler schauen und was sie gerade dort ansehen. Klar ist eines: Das Internet wird man noch mehr regulieren. Was den Anlass für die Initiative Gorelkins angeht, so wird bei uns alles „für den Menschen“ und „im Namen des Menschen“ getan. Bleibt nur zu verstehen, was das für ein Mensch ist“, scherzte Makarkin.

Der Blogger Oleg Kosyrjew spricht direkt davon, dass das „Ziel der Gesetzesvorlage eine Beobachtung der Internetressourcen ist“. Die Offiziellen würden darüber Daten erhalten, welche von ihnen wachsen und welche einbrechen. Und überhaupt – wer welche aufsucht. Das heißt: „Die Schlüsselaufgabe ist, populäre unabhängige Blogs und Kanäle aus der Sicht des Aufsuchens bzw. der Anzahl der Besucher zu kontrollieren“. Das Instrument zum Messen verursache an sich für jegliche Seiten Schwierigkeiten, selbst für die, die weit von der Politik sind, da es diese Seiten verpflichte, bei sich eine gewisse Software zwecks Verfolgung des Traffics zu installieren. Es sei zu bezweifeln, dass sich die Ressourcen freiwillig darauf einlassen werden. Und dies bedeute, dass man sie verpflichten könne. Und solch eine Situation werde ein weiteres Mal den russischen IT-Bereich in eine schwierigere Lage als ihre westlichen Konkurrenten bringen. „Die zweite Schicht der Gefahr ist eine für die Gesellschaft und die Opposition. Man kann beispielsweise Altersbegrenzungen für das Aufsuchen/Anklicken populärer Blogs und unabhängiger Medien festlegen und sie nötigen, endlose Berichte vorzulegen. Gleichfalls können Verfolgungscodes unliebsame Seiten beim Aufrufen theoretisch verlangsamen sowie einen Zugang zu Daten über Werbekunden verschaffen, um einen Druck auf sie zu organisieren, schon ganz zu schweigen von einer Suche anhand von Schlüsselworten“, unterstrich Kosyrjew.