Laut einigen Angaben bereite sich die israelische Regierung auf eine große Welle von Aussiedlern aus Russland vor. Erörtern würde man Möglichkeiten, die Anzahl der Flüge zum Ben-Gurion-Flughafen aufzustocken. Den Bewerbern für eine Staatsbürgerschaft der historischen Heimat würde inoffiziell empfohlen, die Dokumente in der Vertretung der staatlichen Behörden bereits nach Ankunft im Flughafen ausstellen zu lassen. 13.000 Bürger Russlands hätten bereits Visa für eine ständige Aufenthaltsgenehmigung in Israel erhalten.
Die israelische Regierung führte am Donnerstag eine Sondersitzung durch, die der zugenommenen Repatriation russischer Juden gewidmet war, melden einheimische Medien. Die Sitzung erfolgte online. An ihr nahmen Vertreter des Ministeriums für Alija und Integration (Alija ist die Rückkehr von Juden als Einzelne oder Gruppen ins Land Israel – Anmerkung der Redaktion), für auswärtige Angelegenheiten, Finanzen sowie der Agenturen Nativ und Sochnut teil.
Wie israelische Journalisten melden, wurden Fragen über die Bereitstellung zusätzlicher Mittel, Formen für eine Beförderung neuer Aussiedler aus Städten Russlands nach Israel, aber auch Methoden, um Wohnraum für die Neuankömmlinge zu finden, diskutiert.
Am Donnerstag richtete die Sochnut (Jewish Agency for Israel) eine spezielle Telefon-Hotline für alle Bürger Russlands mit jüdischen Wurzeln ein, die nach Israel ausreisen wollen. Es sei daran erinnert, dass das Justizministerium der Russischen Föderation Klage beim hauptstädtischen Basmany-Stadtbezirksgericht zwecks Liquidierung der Vertretung der Jewish Agency in Russland eingereicht hatte. Die nächste Gerichtsverhandlung ist für den 19. Oktober angesetzt worden.
Es gibt auch andere Anzeichen dafür, dass sich der jüdische Staat auf eine große Repatriierungswelle aus Russland vor dem Hintergrund der am 21. September verkündeten Mobilmachung vorbereitet. Am Mittwoch hatte sich Israels Premierminister Jair Lapid an die nationale Fluggesellschaft „El Al“ mit der Bitte gewandt, die Anzahl der Flüge nach Russland zu erhöhen. Nunmehr wird es täglich zwei Flüge geben. Laut unterschiedlichen Angaben seien bereits – beginnend seit Februar – rund 23.000 bis 24.000 Aussiedler aus der Russischen Föderation ins Land gekommen. Insgesamt sind in diesem Zeitraum 60.000 neue Bürger aus verschiedenen Ländern, vor allem aus der Ukraine, nach Israel gekommen. Israels Finanzministerium teilte auf der erwähnten Donnerstag-Sitzung mit, dass schon 13.000 Bürger Russlands mit jüdischen Wurzeln ein Einreisevisum hätten. Und weitere 20.000 würden auf eine Bestätigung seitens des Konsulats warten. In Vielem aufgrund der halbjährigen Repatriierungswelle ist der Wohnraum im Land um 17 Prozent teurer geworden.
In den thematischen sozialen Netzwerk-Gruppen werden Empfehlungen dafür verbreitet, wie man die Repatriierung vornehmen könne, ohne einen Antrag in einem jüdischen Konsulat in russischen Städten zu stellen. Laut Angaben der „NG“ werden derartige Anträge sehr lange bearbeitet. Die Antwort für die Bewerber für den Status eines Repatrianten und die Einladung zu einem Gespräch können erst nach einem halben Jahr folgen. Und gar auch später. Visuelle Beobachtungen hinsichtlich der jüdischen Organisationen zeigen, dass die meisten wohlhabenden Sponsoren der jüdischen Gemeinde die Russische Föderation bereits im Frühjahr verlassen haben. Dieser Tage tauchten Meldungen auf, dass in Israel angeblich der Unternehmer Lew Lewajew eingetroffen sei. Wahrscheinlich wird die neue Repatriierungswelle wenig wohlhabende junge Männer im Einberufungsalter tangieren. Dies können jedoch lediglich Vermutungen der israelischen Offiziellen und Einwanderungsagenturen sein. Die Nachrichten über die Aktivitäten zwecks Auswanderung gen Israel fielen mit Meldungen über angeblich stundenlange Warteschlangen an den Grenzen der Mongolei und Georgiens zusammen. Andererseits bereitet Israels Botschaft in Moskau in der russischen Hauptstadt neue Maßnahmen vor. Am Donnerstag begann im Moskauer Jüdischen Museum und Zentrum für Toleranz ein Festival des israelischen Dokumentarfilmkinos.
Post Skriptum
Derweil macht man sich auch in der EU und unter anderem in Deutschland Gedanken darüber, wie man den jungen Russen helfen kann, der von Präsident Wladimir Putin verkündeten Teilmobilmachung zu entgehen. Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) fordert Unterstützung für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Russland und der Ukraine und unterstützt daher einen Aufruf mehrerer Friedensorganisationen für eine Petition an die führenden Vertreter der EU, in der Schutz und Asyl für diese Personengruppe gefordert wird, wie die Arbeitsgemeinschaft am Freitag in Bonn mitteilte.
Es sei wichtig, Menschen, die nicht am russischen Angriffskrieg teilnehmen wollten, zu unterstützen und ihnen Schutz und Asyl zu gewähren, erklärte EAK-Geschäftsführer Wolfgang Burggraf. Gerade jetzt nach der russischen Teilmobilmachung würden viele russische Männer versuchen, das Land zu verlassen, um sich so dem Militäreinsatz zu entziehen. Aber auch in Belarus verließen Wehrpflichtige ihr Land, und in der Ukraine werde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht mehr garantiert.
Viele Menschen auf allen Seiten des Krieges würden sich durch Flucht dem Einsatz mit der Waffe entziehen, sagte Burggraf. «Diese Menschen dürfen wir nicht im Stich lassen», erklärte er.
Der Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigern soll nun auch auf EU-Ebene koordiniert werden. Die derzeitige tschechische EU-Ratspräsidentschaft berief für kommenden Montag eine Sitzung der 27 EU-Botschafter unter dem sogenannten Krisenreaktionsmechanismus ein, wie eine Sprecherin am Freitag mitteilte. Dies zeige, «wie ernst wir die aktuellen Entwicklungen in Russland und der Ukraine nehmen und wie entschlossen wir sind, eine wirksame Reaktion zu koordinieren».
Die Botschafter sollten von Experten gebrieft werden. Zudem sollten die «Perspektiven und Bedenken» der verschiedenen Länder berücksichtigt werden. Bislang sind die 27 Staaten weit von einer gemeinsamen Linie im Umgang mit jenen Männern, die nicht für Russland gegen die Ukraine kämpfen wollen, entfernt. Die Bundesregierung unter Führung von Olaf Scholz dringt auf eine einheitliche Position.