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Ist ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen Moskaus mit Warschau möglich?


Polnische Soziologen aus der Agentur SW Research haben im Auftrag der Zeitung „Rzeczpospolita“ eine Umfrage zum Thema eines möglichen Abbruchs der diplomatischen Beziehungen mit Russland durchgeführt. Das Thema ist zu einem aktuellen geworden, nachdem die polnischen Behörden die Anweisung zur Schließung des russischen Konsulats in Gdansk bis 24.00 Uhr des 23. Dezember erteilt hatten (bis dahin sind bereits die Konsulate in Poznan und Krakow geschlossen worden) und Russland als Antwort bekanntgab, dass das polnische Konsulat in Irkutsk bis zum Jahresende seine Arbeit einstellen muss. Die Beziehungen, die auch so schon krisengeschüttelte sind, spitzten sich nach einem Sprengstoffanschlag gegen eine Bahnstrecke zwischen Warschau und Lublin zu. Die polnischen Behörden lasten dies zwei Ukrainern an und schreiben ihnen Verbindungen mit der Russischen Föderation zu.

Wie sich nun herausstellte, unterstützen 42,6 Prozent der Befragten den Gedanken von einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Moskau, und dies ungeachtet dessen, dass zuvor Polens Außenminister Radosław Sikorski unterstrichen hatte, dass Warschau nicht vorhabe, dies zu tun. 28,5 Prozent sprachen sich gegen diese Idee aus. Und 28,8 Prozent hatten keine klare Meinung dazu. Die Daten sind bezeichnend: Wenn auch nicht die überwiegende Mehrheit so sind dennoch sehr viele Bürger Polens bereit, Handlungen zu unterstützen, die die Regierung an sich für verfrühte, wenn nicht gar für radikale hält.

Die Soziologen skizzieren auch ein Gesamtporträt der Befragten. Beispielsweise bekunden jene den geringsten Enthusiasmus aufgrund eines möglichen Abbruchs der diplomatischen Beziehungen, die jünger als 24 Jahre sind. Die Hauptanhänger der Idee sind 25 bis 49 Jahre alt. 48,7 Prozent der Bürger mit einer sogenannten allgemeinen Ausbildung . Doch auch Menschen mit einer Hochschulausbildung unterstützen einen möglichen Abbruch (42,9 Prozent). 46 Prozent der befragten Einwohner von Dörfern sind für eine Einstellung der diplomatischen Beziehungen. Aber auch in den Städten mit einer Bevölkerung von bis zu 500.000 Einwohnern und in den größten Städten ist dieser Wert ein sehr hoher (47,2 Prozent bzw. 45,9 Prozent). Hinsichtlich der Einkommen ist eine zu erwartende Abhängigkeit zu beobachten: Je mehr der Befragte verdient, desto häufiger äußert er sich skeptisch über einen Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Moskau. Wenn aber Personen mit einem Einkommen von mehr als anderthalb Tausend Euro im Monat befragt werden, so unterstützen 46 Prozent  die Idee.

Anders gesagt: Die traditionellen politisch-soziologischen Schemata funktionieren nicht. Noch vor fünf Jahren konnte man sagen, dass in Polen tatsächlich betont antirussisch eingestellte Politiker an die Macht gekommen sind und kommen, aber ihre Wählerschaft sind die Einwohner von Dörfern und Kleinstädten, Menschen mit keinem hohen Bildungsgrad und geringen Einkommen, während die gebildeten und nicht schlecht verdienenden Städter nicht mit Stereotypen leben und Russland gelassener und rational wahrnehmen, ohne den Geistern der Vergangenheit zu verfallen. Der Ukraine-Konflikt hat vieles verändert. Der antirussische Diskurs wurde populärer, einflussreicher. Argumente dagegen sind weniger zu vernehmen und werden schlechter aufgenommen. Die Haltung gegenüber Russland ist in den letzten Jahren spürbar verdorben worden. Und dies beeinflusst alle politischen Kräfte. Es genügt sich dessen zu erinnern, dass Donald Tusk während seiner ersten Amtszeit als Premier sehr pragmatische und konstruktive Beziehungen mit Moskau gestaltete, weshalb ihn die Rechtspopulisten gnadenlos kritisierten.

Die Schließung von Konsulaten ist ein unfreundlicher Schritt, zumal er sich in die Abfolge anderer Schritte einfügt. Wie dem auch immer sein mag: Dies ist ein reversibler Schritt. Der Abbruch diplomatischer Beziehungen ist eine drastischere, eine radikale Entscheidung. Sie bedeutet, dass man im Weiteren die Kontakte beinahe von Null an gestalten muss. Wobei dies Verbindungen zwischen Nachbarstaaten sind. Die russischen Offiziellen werden wohl kaum als erste solch eine Entscheidung treffen. Und die polnischen Behörden tun dies auch nicht. Sie müssen die aufgeheizten Stimmungen der Massen ins Kalkül ziehen, da die herrschende Elite im Regime einer heftigen Konkurrenz mit der Opposition verbleibt (und in Bezug auf sie die Präsidentschaftswahlen verloren hat). Dabei müssen sie begreifen, dass zu einer Triebkraft jeglicher Entscheidung Emotionen werden können. Jedoch kann der Inhalt solch einer Entscheidung, wenn sie eine verantwortungsbewusste ist, keine emotional gefärbte sein. Es wird aber keinerlei positive Konsequenzen eines Abbruchs der diplomatischen Beziehungen geben.