Wie die „NG“ herausgefunden hat, ist die Partei „Jabloko“ gegenwärtig von einer neuen Welle des Kampfes der Herrschenden gegen die pazifistische Opposition erfasst worden. Vorerst werden Ordnungsstrafverfahren aufgrund einer angeblichen Diskreditierung der Armee eingeleitet, aber die ausgeschriebenen Strafen sind raue. Die „Jabloko“-Vertreter werden vor allem wegen alter Äußerungen verfolgt. Jedoch ist unklar – wozu? Von den Wahlen sind scheinbar schon alle unliebsamen Kandidaten ausgeschlossen worden. Neue können nicht aufgestellt werden. In der Partei an sich ist man der Auffassung, dass der Druck mit ihrer konsequent prinzipiellen Haltung zu erklären sei. Experten sind aber dazu geneigt, darin eine Belehrung für alle zu sehen, die nicht mit der Sonderoperation einverstanden sind.
Die Aktivierung der Aufmerksamkeit der Rechtsschützer für „Jabloko“ ergänzt gut die Initiative des Staatsduma-Abgeordneten Jewgenij Fjodorow (Kremlpartei „Einiges Russland“). Er hat den Vertretern der Rechtsschutzorgane vorgeschlagen, die sogenannten ausländischen Agenten und anderen außerparlamentarischen Kräfte sofort aufgrund einer Diskreditierung der Armee mit einem Freiheitsentzug anstelle von Ordnungsstrafen zu bestrafen.
Laut Informationen der „NG“ bewahrt die Verfolgung von „Jabloko“-Vertretern aufgrund von Pazifismus einen punktuellen Charakter, dehnt aber die geografische Reichweite aus. Nach einer zweiwöchigen Unterbrechung, als es ab dem 29. Juli keine neuen Fälle gegeben hatte, ist sie jetzt wieder aufgenommen worden. Allein im Zeitraum vom 15. bis 17. August sind gegen Mitglieder der Partei von Grigorij Jawlinskij gleich vier Gerichtsbeschlüsse gefällt worden. In Moskau beispielsweise sind gleich mehrere Oppositionelle bestraft worden. Das Twerskoi-Stadtbezirksgericht bestrafte so Maria Woloch, der man kurz zuvor den Kandidatenstatus für die anstehenden Kommunalwahlen aberkannt hatte, mit einer Geldstrafe in einer Höhe von 60.000 Rubel (umgerechnet etwa 1006 Euro) gemäß Artikel 20.2 des Ordnungsstrafrechts der Russischen Föderation „Verletzung der Regeln für die Durchführung öffentlicher Veranstaltungen“ und Artikel 20.3.3 des Ordnungsstrafrechts „Diskreditierung der Streitkräfte der Russischen Föderation“ für eine Aktion „gegen Zensur und Repressalien“. In der russischen Teilrepublik Karelien hat das Petrosawodsker Stadtbezirksgericht Jelena Neronowa – Assistentin der „Jabloko“-Abgeordneten im Stadtrat Olga Tuschikowa – der „Diskreditierung der Armee“ für schuldig befunden. Die Strafe betrug gemäß Teil 1 des Artikels 20.3.3 des Ordnungsstrafrechts 30.000 Rubel. Zu Beweisen für die Schuld wurden Screenshots von 22 Veröffentlichungen, die auf der Internetseite von Neronowa seit Beginn des Frühjahrs gepostet worden waren. In Sotschi hat das Stadtbezirksgericht Lasarewskoje Daniil Chegman, den Vorsitzenden der Ortsorganisation der Partei, der „Diskreditierung der Streitkräfte“ für schuldig befunden und mit einer Geldstrafe von 30.000 Rubel aufgrund eines pazifistischen Bildchens auf seiner Internetseite bestraft.
Im Verwaltungsgebiet Pskow im Nordwesten Russlands hat das Kreisgericht von Puschkinogorje Sofia Pugatschowa, die von der „Jabloko“-Partei als Leiterin des Kreises Noworschew gewählt worden war, doch einer „Diskreditierung der Armee“ für schuldig befunden. Sie hatte angewiesen, von den Fenstern des Kreiskulturhauses die Buchstaben „V“ und „Z“, die als Symbole der Sonderoperation Russlands in der Ukraine gelten, offiziell aber nicht als solche eingestuft worden sind, zu entfernen. Einheimische Vertreter der Kremlpartei „Einiges Russland“ hatten sich an die Staatsanwaltschaft gewandt, dort ein offenes Ohr gefunden. Und das Gericht verhängte eine Geldstrafe von 50.000 Rubel. (Es geht doch nichts über politische Seilschaften in Russland. – Anmerkung der Redaktion)
Die „NG“ erkundigte sich bei „Jabloko“-Vertretern, womit solch eine neue Runde von Verfahren verbunden sei. Darauf merkte das Mitglied des „Jabloko“-Politkomitees Emilia Slabunowa an: „Augenscheinlich laufen die Sachen in der Innenpolitik schlecht. Ja, und an der außenpolitischen Kontur ist nicht alles so, wie es die Offiziellen gerne gehabt hätten. Daher muss man jeglichen Unmut kupieren und jegliche kritischen Äußerungen sowohl hinsichtlich der Herrschenden als auch bezüglich der Sonderoperation vorbeugen. Die Person, die sich so äußert, kann eine ganze Gruppe von Menschen darstellen. Und dann werden sie sich auch zu anderen innenpolitischen Fragen konsolidieren. Dies aber will keiner an der Macht haben“.
Der Leiter des Analytischen Zentrums der KPRF, Sergej Obuchow, erläuterte der „NG“, dass trotz „aller Rufe darüber, dass wir ein superautoritäres und diktatorisches Regime haben, reichen die Kräfte für alle Gegner des Regimes nicht aus“. Daher würden nach seinen Worten die Rechtsschützer punktuell einzelne herausgreifen und sie demonstrativ verurteilen, sicherlich „zwecks Einschüchterung der Übrigen“. Und natürlich müsse man die gegenwärtigen Verfolgungen im Kontext der Wahlen sehen. Obgleich die „Jabloko“-Vertreter wenig Kandidaten haben. Es gibt aber eine Medienberichterstattung zur Kampagne. Es gibt viel Rummel aufgrund von Einzelfällen. Beispielsweise hat man in Moskau, wie Obuchow erinnerte, rund einhundert Kandidaten der KPRF aufgrund von Klagen der Gegner aus dem Rennen genommen. Die gerichtlichen Untersuchungen laufen in verschiedenen Regionen seit dem unmittelbaren Beginn der Wahlkampagne. Ihn überraschen nicht die retrospektiven Anlässe für die Verfahren. „Gegen die Kandidaten von der Opposition finden sich Artikel. Wenn es sein muss, gräbt man Veröffentlichungen in den sozialen Netzwerken von vor vielen Jahren aus. Die alles ist ein Routine-Plan zur elektoralen Säuberung des politischen Feldes für die machttreuen Kandidaten. „Jabloko“ ist einfach am schärften in der Kritik an der Sonderoperation. Daher sind alle diese Verfahren solche demonstrativen“.
Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow sieht mehrere Faktoren, die der neuen Welle zugrunde liegen: „Irgendeine einzige Ursache kann man nicht nennen. Erstens dient die Partei nach wie vor als ein Reizfaktor für die Offiziellen, obgleich sie ihre Aktivität gezügelt hat. Da gibt es Sprecher, die genau solch eine Mediaressource wie die gesamte „Jabloko“-Partei hat. Und als die Offiziellen „Jabloko“-Kandidaten bei den Wahlen unterschiedlicher Ebene – mit Ausnahme natürlich der Gouverneurswahlen – registrierten, hat sich ergeben, dass es in diesem Jahr keine besondere Nichtzulassung gegeben hat. Man hatte aber von der Partei eine Gegenseitigkeit erwartet. Und zwar, dass sie die informationsseitigen Aktivitäten verringert, die kritischen Äußerungen zur Sonderoperation reduziert. Für die Jawlinskij-Anhänger hat sich dies aber als eine prinzipielle Frage herausgestellt“. Zweitens hätten die Vertreter der Rechtsschutzorgane keine – wie der Experte anmerkte – keine Anweisungen erhalten, „Jabloko“ nicht anzutasten. Und sie würden davon ausgehen, dass, wenn es einen äußeren Feind gibt, so gibt es auch seine Einflussagenten innerhalb des Landes. „Daher wirkt die Trägheit der Rechtsschutzmaschinerie. Und es gibt auch den Wunsch einzelner Vertreter der Rechtsschutzorgane, neue Sternchen (für die Schulterstücken – „NG“) zu bekommen“, meint Kalatschjow. Und drittens erinnerte: „Jegliche Bestrafung dient bei uns sowohl als eine Prophylaxe als auch eine Belehrung für andere Nichteinverstandene“.
Alexej Kurtow, Vizepräsident der Russischen Vereinigung politischer Konsultanten, ist der Auffassung, dass „es doch keine Welle gibt. Es erfolgt eine planmäßige Arbeit der Rechtsschützer zur Säuberung des Informationsfeldes“. Nach seiner Meinung würden diese Fälle nicht mit den Wahlen zusammenhängen. Roskomnadzor (Russlands Aufsichtsbehörde für das Internet, Fernmeldewesen und die Medien – Anmerkung der Redaktion) und die Staatsanwaltschaft würden simpel weiterhin Veröffentlichungen von Menschen ermitteln, die nicht die Staatspolitik teilen. „Dies erfolgt nicht nur hinsichtlich von „Jabloko“-Aktivisten. Die Partei nutzt einfach auffälliger als die anderen die Sonderoperation für eine Kritik aus. Es besteht nicht das Ziel, sie aus dem politischen Raum zu verdrängen. Andernfalls hätte man ganz und gar keine „Jabloko“-Vertreter zu den Wahlen zugelassen. Die Herrschenden wollen einfach eine maximale Anzahl ihrer Kritiker zur Verantwortung ziehen“.
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Am Freitag erfolgte eine erste Sitzung des Petrograder Stadtbezirksgerichts von Sankt Petersburg, vor dem sich der Fraktionschef von „Jabloko“ im Stadtparlament, Alexander Schischlow, mit der absurden Anklage der Staatsanwaltschaft herumschlagen muss, die russische Armee damit diskreditiert zu haben, dass er sich über die Verwendung des Georgsbandes als Buchstabe „Z“ geäußert und seine eigene Meinung zur gegenwärtigen Sonderoperation in der Ukraine bekundet hatte. Die Staatsanwaltschaft stützte sich in ihrer Anklage auf eine unprofessionelle Expertise, was durch den zuständigen Richter im Grunde genommen anerkannt wurde (doch ist sie nicht aus den Unterlagen ausgeschlossen worden). Die Verteidigung erreichte aber, dass zwei neue linguistische (sprachwissenschaftliche) Expertisen von anerkannten Fachleuten erstellt werden, denen schon jetzt nur ein Lächeln über die Qualität ihrer Pseudo-Kollegin, der Dozentin Veronika Abakanowa vom Lehrstuhl für Strafprozesse der Russischen staatlichen pädagogischen A.-I.-Gerzen-Universität, übers Gesicht huschte. Freilich in russischen Gerichten kein Einzelfall, dass der Bock zum Gärtner gemacht wird. Am 2. September geht es weiter im Prozess gegen den „Jabloko“-Politiker, der vor einigen Jahren erfolgreich als Menschenrechtsbeauftragter in der Newa-Metropole gewirkt hatte.