Kiew signalisiert, dass die Entwicklung von Kriegsszenarios im Südosten der Ukraine nicht wünschenswert sei, doch die Spannungen an der Grenze zur Krim und im Donbass nehmen zu. In den letzten 24 Stunden wurden Granatwerferduelle in Vororten von Donezk und an den Ausläufern von Lugansk fixiert. Kiew setzt laut Meldungen aus den nichtanerkannten Republiken durch die Minsker Vereinbarungen verbotene Granaten mit einem Kaliber von 120 Millimetern ein. Und im Gebiet von Cherson haben die Streitkräfte der Ukraine Manöver zum Training von Offensivoperationen durchgeführt.
Das Geschehen macht Moskau Sorgen. Obgleich die Landesführung erklärt, dass sie nicht plane, sich in den Konflikt in der Ukraine einzumischen, forciert das russische Verteidigungsministerium demonstrativ die Gruppierung der Truppen und Seestreitkräfte in der strategischen südwestlichen Richtung.
Die Seriosität solcher Absichten belegt beispielsweise die offizielle Mitteilung des russischen Verteidigungsministeriums, wonach aktive Manöver in ganz Russland stattfinden. Dabei lenken die Medien erstrangige Aufmerksamkeit auf die Manöver, Prüfungsaktivitäten und kilometerlangen Märsche, die in den an die Ukraine angrenzenden Verwaltungsgebieten durchgeführt werden.
Beobachtung löst aus, dass Generaloberst Alexander Shurawljow, der Befehlshaber des Westlichen Militärbezirks der Streitkräfte der Russischen Föderation, den an die Ukraine angrenzenden Streifen inspizierte. Er bewertete den Stand der Gefechtsausbildung der Truppen, die in den Verwaltungsgebieten Brjansk, Belgorod und Woronesch disloziert sind. Dabei kontrollierte er auch die Durchführung des Gefechtsschießens durch Besatzungen der Panzer vom Typ T-72B3 sowie der Schützenpanzerwagen vom Typ BMP-2 und BTR-82A. Gleichzeitig haben auf dem Territorium des Moskauer Gebietes sowie der Verwaltungsgebiete Nishnij Nowgorod, Smolensk, Jaroslawl und Iwanowo Manöver mit über 15.000 Militärangehörigen der Garde-Panzerarmee, die auch zum Westlichen Militärbezirk gehört, begonnen. Insgesamt sind über 2.000 Fahrzeuge, Gefechts- und Spezialtechnik sowie Waffen aus Panzer-, Mot.-Schützen-, Aufklärungs-, Luftabwehr-, Artillerie- und Raketeneinheiten des Westlichen Militärbezirks auf den Truppenübungsplätzen im Einsatz. Dies sind bedeutende Kräfte.
Zusammen mit ihnen wird auch die Flottengruppierung der russischen Streitkräfte im Süden des Landes aufgestockt. Der Pressedienst des Südlichen Militärbezirks meldete, dass über zehn Landungsboote und Schiffe der Kaspi-Flottille vom Kaspischen Meer zum Schwarzen Meer verlegt werden. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR wird erstmals solch eine großangelegte Verlegung von Kräften der Seekriegsflotte Russlands über dessen zentralen Arterien (vom Kaspischen Meer über die Wolga, durch den Wolga-Don-Kanal und über den Don bis zum Asowschen Meer und weiter durch die Meerenge von Kertsch vorgenommen.
Wie der „NG“ der Militärexperte und Generalleutnant Jurij Netkatschjow erklärte, „erfolgen solche großangelegten Verlegungen von Truppen und Kräften der Flotte nicht nur im westlichen Landesteil, sondern auch auf dem gesamten Territorium Russlands. In dieser Zeit werden stets Trainings- und Prüfungsübungen zur Kontrolle sowie Manöver, die mit Bewertungen der Gefechtsausbildung der Streitkräfte des Landes in der Winterausbildungszeit verbunden sind, organisiert. Und wie durch Verteidigungsminister Sergej Schoigu unterstrichen wurde: Sie alle sind planmäßige, das heißt: hängen nicht mit der jüngsten Zuspitzung der Konfliktsituation im Donbass zusammen“.
„Obwohl man in Russland natürlich die Situation adäquat beurteilt. Und im Verteidigungsministerium der Russischen Föderation wird man nicht in den Wolken schweben. Unsere militärischen Führungskräfte räumen die Möglichkeit einer militärischen Aggression Kiews gegen den Donbass und die Krim ein. Und in diesem Fällen ist die Verlegung von Truppen in den Südwesten der Russischen Föderation nicht nur eine Demonstration der Stärke der russischen Armee, sondern auch deren reale Vorbereitung auf die Abwehr einer möglichen Aggression seitens der Streitkräfte der Ukraine“, meint Netkatschjow. In dieser Hinsicht störe nach seiner Meinung eine Verstärkung der Schwarzmeerflotte im Landessüden offenkundig nicht.
Eine ähnliche Meinung vertritt auch der Kapitän 1. Ranges Oleg Schwedkow, Vorsitzender der Gesamtrussischen Gewerkschaft der Militärangehörigen. Wie er der „NG“ erzählte, sei am wahrscheinlichsten, dass „vom Kaspischen zum Schwarzen Meer gerade Landungsboote verlegt werden. Im Bestand der Kaspi-Flottille gibt es laut offenen Quellen vor allem Landungsboote des Projekts 11770 „Gemse“ (acht Schiffe), die die modernsten sind (sie alle sind auf Luftkissen) und jeweils ein bis zwei Panzer oder eine Marineinfanterie-Kompanie aufnehmen können. Eine Verlegung von Artilleriebooten aus dem Kaspischen Meer, die hauptsächlich 40 bis 50 Jahre alt sind, hat keinen besonderen Sinn. Da ist aber die Variante mit einer Verlegung von kleinen Raketenbooten des Projekts 21631 „Bujan-M“ („Raufbold-M“; von denen gibt es drei in der Kaspi-Flottille) zum Schwarzen Meer möglich. Sie sind mit „Kaliber“-Flügelraketen bewaffnet. Es scheint aber, dass es dafür keinen großen Bedarf gibt, da es in der Schwarzmeerflotte Schiffe eines analogen Projekts gibt. Und sie sind in der Lage, die Aufgaben zu erfüllen, die mit der Gewährleistung der militärischen Sicherheit der Russischen Föderation in der strategischen südwestlichen Richtung zusammenhängen“.
Seinerseits erläuterte Generalleutnant Netkatschjow der „NG“, dass die mögliche Verlegung von Landungsschiffen der Kaspi-Flottille in den Bereich des Schwarzen Meeres vor allem eine Überprüfung der Fähigkeit der Streitkräfte des Landes sei, durch Ausnutzung der inneren Wasserwege deren Gefechtspotenzial erheblich zu erhöhen. „Schließlich zeigen die gröbsten Schätzungen, die sich aus den offiziellen Mitteilungen des Südlichen Militärbezirks ergeben, dass in das Gebiet der Region des Asowschen und des Schwarzen Meeres ein ganzes Marineinfanterie-Regiment der Kaspi-Flottille verlegt werden kann. Außerdem können dorthin Schiffe und kleine Raketenboote des Projekts 21631 (dies sind die kleinen Raketenboote „Uglitsch“, „Stadt Swijaschsk“ und „Welikij Ustjug“) verlegt werden“, betonte der Experte. Diese Verlegung sei seines Erachtens auch dadurch wertvoll, dass gerade die kleinen Raketenboote der Kaspi-Flottille als einzige in den Seestreitkräften der Russischen Föderation Gefechtserfahrungen aus dem Einsatz der seegestützten Flügelraketen 3M14 „Kaliber“ besitzen. Bekanntlich haben sie im Herbst des Jahres 2015 aus der Region des Kaspischen Meeres eine Serie erfolgreicher mächtiger Schläge gegen Objekte der in Russland verbotenen terroristischen Organisation „Islamischer Staat“ in Syrien geführt. „Ich denke, diese Informationen werden helfen, die Kiewer Führung vor aggressiven Absichten zu warnen“, betonte Netktaschjow.
Autoren russischer Telegram-Kanäle haben ihre Aufmerksamkeit auf die Erklärung des stellvertretenden Leiters der russischen Präsidialadministration Dmitrij Kosak gelenkt, wonach „der Beginn von Kampfhandlungen im Donbass der Beginn vom Ende der Ukraine wird“. „Kosaks Erklärung, dass Russland die Einwohner des Donbass verteidigen könne, wenn es gezwungen werde, ist wie ein letztes Signal „mach keinen Ärger, das geht schlecht aus“. Und gerichtet ist dies offenkundig nicht an Kiew, sondern an diejenigen, die weiter im Westen eine Entscheidung über eine Unterstützung für die Kiewer Abenteuer treffen können. Oder auch nicht treffen können“, konstatiert „Adäquat“ (https://t.me/politadequate).
„Der gesamte heutige Diskurs seitens Kosaks hinsichtlich des Donbass-Cases ist der schärfste in der ganzen Zeit der Erörterung der Minsker Vereinbarungen“, meint „Temnik“ (https://t.me/polittemnik). „Zusammen mit dem offenkundig interessierten Anruf Merkels bei Russlands Präsident und dem Besuch Selenskijs an der Trennungslinie kann man die Ereignisse des heutigen Tages als einen gewissen „Moment der Wahrheit“ im Verlauf der aktuellen Eskalation der Spannungen im Osten der Ukraine ansehen. Weiter muss entsprechend der Logik entweder eine Entspannung oder ein endgültiges Abrutschen in eine heiße Phase der Krise folgen. Bisher gibt es mehr Anzeichen dafür, dass sich die Waage in Richtung einer Wiederaufnahme des Regimes der Feuereinstellung neigen wird. Es ist aber verfrüht, endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen“.