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Kampf um die Arktis


Die Klimaerwärmung hat eine signifikante Neubewertung hinsichtlich der Bedeutung der Arktis in den Plänen der führenden Großmächte ausgelöst. Dies hängt mit zwei Faktoren zusammen. Zum ersten gehört die Möglichkeit der Nutzung des Nördlichen Seeweges für Transportzwecke, der der kürzestes Seeweg zwischen dem europäischen Teil Russlands und dem Fernen Osten ist. Durch die Gesetzgebung Russlands ist er als eine „historisch entstandene nationale einheitliche Transportarterie Russlands in der Arktis“ definiert worden. 

1991 wurde der Nördliche Seeweg (NSW) für die internationale Schifffahrt freigegeben. Doch erst 15 Jahre später begann diese Route infolge des Tauens der arktischen Eismassen, ausländische Unternehmen zu interessieren. Die Vorteile der Nutzung des NSW für Transittransporte sind:  

  • eine Einsparung von Kraftstoffen;
  • eine Verringerung der Transportdauer und damit eine Reduzierung der Personalkosten und Frachtkosten; 
  • ein Wegfall von Lotsenkosten (im Unterschied zum Suez-Kanal);
  • keine Wartezeiten für das Passieren (wie im Fall mit dem Suez-Kanal);
  • keine Risiken hinsichtlich eines Überfalls durch Piraten.

2012 hatte man angenommen, dass der Güterstrom über den NSW von 2012 bis 2019 um das 10fache und in der Perspektive gar um das 20fache bis 50 Millionen Tonnen im Jahr ansteigen könne. Das Schicksal des Nördlichen Seeweges hängt aber auch in erheblichem Maße von der Erschließung der in seinem Einzugsbereich erkundeten mineralischen Ressourcen ab. Im am stärksten erschlossenen Teil der Region – der arktischen Zone Russlands – befinden sich ebenfalls reiche Lagerstätten an Nickel, Kupfer, Kohle, Gold, Uran, Wolfram und Diamanten. In der an der Arktis angrenzenden Zone sind bedeutende Gasvorräte gefunden worden und werden bereits erschlossen. Nach Schätzungen von Russlands Präsident Wladimir Putin belaufe sich der Gesamtwert der Bodenschätze, die sich in der arktische Region Russlands befinden, auf rund 30 Billionen US-Dollar. Daher betrachte Russland die Arktis als seine.   

Aus diesem Grunde ist Russland an einer exklusiven Nutzung des Nördlichen Seeweges interessiert. Seit 2019 müssen ausländische Militärs Russland über ihre Pläne hinsichtlich eines Befahrens des Nördlichen Seeweges 45 Tage im Voraus in Kenntnis setzen, russische Lotsen an Bord nehmen, aber auch den Namen des jeweiligen Schiffs, seine Hauptparameter sowie den militärischen Rang und Namen des Kapitäns mitteilen. 

Jedoch werde, so das chinesische Internet-Portal Sohu, eines der bestimmenden Prinzipien jeglicher Aktionen der USA und der anderen Länder der NATO im Nördlichen Eismeer ein Entgegenwirken hinsichtlich der russischen staatlichen Gesetzgebung sein, die nach Meinung dieser Länder einen übermäßig restriktiven Charakter in Bezug auf die Handlungen in den arktischen Gewässern auf der Grundlage des Artikels 234 der UN-Seerechtskonvention trage. Entsprechend der gegenwärtigen Situation ist Russland der Auffassung, dass der Nordöstliche Seeweg (der in Russland als Nördlicher Seeweg bekannt ist) durch seine Territorialgewässer verläuft, weshalb das traditionelle Recht auf eine freie Schifffahrt hier nicht gelte.  Mehr noch, im Land sind eine Reihe von Gesetzen verabschiedet worden, die das Recht auf eine freie Schifffahrt praktisch ausschließen, wobei Bauarbeiten, eine maritime Navigation und Lizenz-Anforderungen eingeschränkt werden. Dabei muss betont werden, dass diese Gesetze in Vielem den entsprechenden Gesetzen Kanadas ähneln. Wie auch Russland hat Kanada auf der Grundlage des Artikels 234 der UN-Seerechtskonvention ein Gesetz verabschiedet, das den Transit von Schiffen durch seine arktischen Gewässer einschränkt.    

All diese Faktoren verursachen den Beginn einer neuen Runde im Konkurrenzkampf zwischen Russland und den USA in der Arktis. Es sei angemerkt, dass D. Trump mehrfach das Augenmerk auf die Wichtigkeit dieses Teils des Planeten für die Vereinigten Staaten gelenkt hat, wobei er dies in einer recht originellen, wenn nicht gar schockierenden Form getan hat. Erinnert sei an seine Erklärung vom August 2019, wonach die Vereinigten Staaten bereit seien, von Dänemark die Insel Grönland zu erwerben, unter anderem, weil dies für die Dänen, wie sich herausstellt, sehr teuer sei, dieses Territorium zu unterhalten. Sohu hebt hervor, dass die USA jüngst die Patrouillenfahrten in der Barentssee wiederaufgenommen hätten. Diese Aktionen würden in Russland als eine beispiellose Demonstration der Stärke seitens der Vereinigten Staaten und deren NATO-Verbündeten seit dem Ende des Kalten Krieges gewertet werden. Die Sache ist die, dass die US-Navy sich darauf vorbereite, eine Operation zur Gewährleistung der freien Schifffahrt in der Arktis durchzuführen, die die wirtschaftlichen Interessen und die nationale Sicherheit Russland bedrohen werde. In Moskau betrachtet man aber den Großteil der Barentssee als einen Teil seiner Territorialgewässer. Moskau hat den Amerikanern und der internationalen Staatengemeinschaft klar zu verstehen gegeben, dass Russland alle möglichen Mittel für eine Verteidigung der Wirtschaftsinteressen und nationalen Sicherheit einsetzen wird. Unter Berücksichtigung der damit verbundenen Risiken besteht die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts zwischen Washington und Moskau, wenn die Vereinigten Staaten nach einer aktiveren Erweiterung ihrer militärischen Positionen in der Arktis streben werden. Seit 1983 hat die US-Navy über 400 Operationen zur Gewährleistung einer freien Schifffahrt durchgeführt, die auf eine Infragestellung der übermäßigen Ansprüche Russlands abzielten. Die Verfechter einer Erweiterung der freien Schifffahrt in der Arktis sind der Auffassung, dass derartige Manöver eine notwendige Bedingung für ein Entgegenwirken gegen das Dominieren Russlands in dieser Region seien.

Wie die „Nesawisimaya Gazeta“ schreibt (http://www.ng.ru/world/2020-06-10/1_7883_arctic.html), hat Donald Trump am 9. Juni ein Memorandum über die Schaffung einer eigenen starken Eisbrecher-Flotte durch die USA unterschrieben. Sie werde den Amerikanern helfen, ihre Positionen in der Arktis und Antarktis verstärken, wobei die Konkurrenten bei der Erschließung dieser Regionen – und zwar China, besonders aber Russland – überholt werden würden. In dem von Trump unterzeichneten „Memorandum über den Schutz der nationalen Interessen der USA in der Arktis und Antarktis“ („Memorandum on Safeguarding U.S. National Interests in the Arctic and Antarctic Regions“) heißt es, dass das Land für die Verteidigung der eigenen Interessen und der Interessen ihrer Verbündeten eine „funktionstüchtige Eisbrecher-Flotte“ brauche, die bis zum Finanzjahr 2029 einsatzbereit sein müsse. Durch das Memorandum wird die Schaffung von mindestens mehreren ständigen polaren Stützpunkten – zwei auf dem Territorium des Landes und zwei im Ausland – vorgesehen. „Die Vereinigten Staaten entwickeln und realisieren das Programm zur Schaffung einer Eisbrecher-Flotte zwecks Gewährleistung der Sicherheit in den polaren Gebieten, die unseren nationalen Interessen in der Arktis und Antarktis entspricht“, wird in dem Dokument betont. Gemäß dem Memorandum beauftragte der Präsident den Minister für innere Sicherheit (Secretary of Homeland Security), zusammen mit dem Verteidigungsminister, dem Leiter des Küstenschutzes und dem Energieminister die „Vorteile und Risiken“ des Einsatzes einer Flotte von mindestens drei schweren Eisbrechern zu untersuchen.  

Gegenwärtig sind die USA bei weitem kein Spitzenreiter hinsichtlich der Anzahl solcher Schiffe. Die US-amerikanische Polarflotte besteht aus drei Eisbrechern. Wobei nur zwei von ihnen funktionstüchtig sind und zur US-Küstenwache gehören. Einer von ihnen, der mittelschwere Eisbrecher „Healy“, ist für Forschungszwecke bestimmt. Er lief 1999 vom Stapel. Für das Bahnen von Routen für Transportschiffe haben die USA vom Wesen her nur den schweren Eisbrecher „Polar Star“, der bereits 1977 in Dienst gestellt wurde. Sein Schwesterschiff „Polar Sea“ (das von der Konstruktion fast identisch ist) läuft seit 2010 aufgrund von Problemen mit den Motoren nicht aus. 

Im Jahr 2012 starteten die Küstenwache und die US-Navy das Programm „Polar Security Cutter“ (das etwa mit „Polare Sicherheitsschneider“ übersetzt werden kann), in dessen Rahmen sechs schwere Eisbrecher gebaut werden sollen. Doch bevor Trump Präsident der USA wurde, wurde es äußerst schleppend verwirklicht, vor allem aufgrund von Finanzierungsproblemen. Erst im Januar 2019 schloss die US-Küstenwache einen Vertrag mit dem Unternehmen VT Halter Marine über den Bau des ersten der sechs Schiffe des Projekts – eines Eisbrechers mit einem dieselelektrischen Antrieb – ab. 

Die Vertragssumme beläuft sich auf 745 Millionen Dollar. Der Beginn der Bauarbeiten wird im Jahr 2021 erwartet, der Abschluss – im Jahr 2024. Das bedeutet, wenn die USA beabsichtigen, die im Memorandum ausgewiesenen Fristen einzuhalten, so werden in den nächsten ein, zwei Jahren gleich mehrere Eisbrecher auf Kiel gelegt. Nach Auffassung des Vorsitzenden des ZK der Gesamtrussischen Gewerkschaft der Militärs, des Kapitäns 1. Ranges i. R. Oleg Schwedkow, der selbst lange Zeit auf U-Booten der Russischen Föderation diente, kehre die Welt zu den Zeiten des Kalten Krieges zurück. Die Konfrontation der NATO und Russlands nehme zu, darunter in der Arktis-Region. „Augenscheinlich hat die Allianz beschlossen, ihre ständige Militärpräsenz in der Nähe der arktischen Grenzen der Russischen Föderation kenntlich zu machen. Damit wird die Aufgabe gestellt, die russische Nordmeerflotte in einer ständigen Anspannung zu halten.“ 

 Nach Meinung des Experten werden wir in der nächsten Zeit nach der französischen Fregatte (Fregatte „Aquitaine“ erreichte am 5. Juni die Barentssee und wurde sofort durch die russische Marine unter Beobachtung gestellt – Anmerkung der Redaktion) unweit des Nördlichen Seeweges auch Militärschiffe anderer NATO-Länder zu sehen bekommen. „Als Antwort wird die Russische Föderation weiter ihre militärischen Möglichkeiten zur Gewährleistung der Sicherheit der arktischen Region fortsetzen“, sagte Schwedkow. Als einen Schritt in dieser Richtung kann man auch die Unterzeichnung eines Erlasses des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, über eine neue militär-administrative Aufteilung Russlands am 5. Juni bezeichnen. Der entsprechend sind die nordwestlichen Regionen jenseits des Nördlichen Polarkreises in das Vereinigte strategische Kommando „Norden“ und vom Wesen her in den Bestand der Nordmeerflotte integriert worden. „Von nun an wird die Nordmeerflotte nicht nur für die Verteidigung auf See verantwortlich sein, sondern auch auf dem Lande – auf den Territorien der Komi-Republik, der Verwaltungsgebiete Archangelsk und Murmansk, aber auch des Autonomen Bezirks der Nenzen“, betonte der Experte. 

Generalleutnant d. R. Jurij Netkaschjow erklärte gegenüber der „NG“, dass „die Verleihung des Status einer separaten militär-administrativen Einheit für die Nordmeerflotte die Lösung der Verteidigungsaufgaben in der arktischen strategischen Richtung fördern wird“. Da aber Russland das Projekt des Nördlichen Seeweges (NSW) entwickele, würden dies keine rein militärischen Aufgaben sein. „Für die Sicherheit des NWS wird die Nordmeerflotte verantwortlich sein. Und die Regionen, die der Flotte angegliedert wurden, werden Mobilisierungs- und wirtschaftliche Aufgaben erfüllen. Und in dieser Struktur ist kein Platz für eine Konfrontation und militärische Auseinandersetzung mit der NATO“, meint Netkatschjow. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Erklärung des Chefs des russischen Generalstabs, Valerij Gerassimow, der sich im Dezember 2019 gegen eine Präsenz ausländischer Militärschiffe auf dem NSW aussprach. „Unsere Streitkräfte sind in der Lage, in vollem Maße die Sicherheit der Schifffahrt im Einzugsbereich des Nördlichen Seeweges zu gewährleisten.“