Viel war vom „neuen Kasachstan“ die Rede bei der jüngsten Delegationsreise des Ost-Ausschusses in die kasachische Hauptstadt Astana. Der russische Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen haben das wirtschaftsstärkste zentralasiatische Land verstärkt ins Rampenlicht gerückt. Kasachstan präsentiert sich selbstbewusst als alternativer Energie- und Rohstofflieferant, als Drehkreuz zwischen Europa und Asien und als geopolitischer Spieler. In Kürze wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Land besuchen, Außenministerin Annalena Baerbock war im Herbst 2022 da, begleitet von einer Ost-Ausschuss-Delegation.
Kaum etwas symbolisiert das „neue Kasachstan“ dabei eindrücklicher, als die zentral gelegene neue Hauptstadt, die binnen eines knappen Vierteljahrhunderts aus dem Steppenboden gestampft wurde, um regionale Fliehkräfte auszutarieren, aber auch das kasachische Nationalbewusstsein zu entwickeln – ein steingewordenes Nation Building. Heute präsentiert sich die 1,4-Millionen Einwohnerstadt als eine gewagte architektonische Mischung aus Dubai, Disneyland und Novosibirsk. Der Bauboom ist ungebrochen: Vor allem türkische Baufirmen ziehen einen Wohnsilo nach dem anderen hoch, um die wachsende Einwohnerzahl mit Wohnraum zu versorgen. Die Dynamik der Entwicklung zeigt sich auch in den wechselnden Namen der Stadt, die binnen drei Jahrzehnten mal Aqmola, Astana, dann Nur-Sultan und nun wieder Astana heißt.
Wirtschaftsrat diskutiert bilaterale Projekte
Dabei sieht Kasachstan seine Zukunft nicht bloß als reiner Exporteur von Energieträgern, Metallen und den reichlich vorhandenen seltenen Erden, sondern strebt deren Verarbeitung im Inland an, ebenso wie den Ausbau von Industriezweigen wie dem Maschinenbau und der Autoindustrie. Wie Deutschland und Kasachstan dabei kooperieren können, war Thema der Sitzung des Deutsch-Kasachischen Wirtschaftsrats, dem ersten Programmpunkt der Delegationsreise am 16. Mai, die in Kooperation mit der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) und der AHK Zentralasien stattfand. Daran nahmen auch die kasachischen Vize-Minister für Industrie und Energie Ilyas Ospanov und Zhandos Nurmaganbetov teil. Während Kasachstan auf deutsche Technik bei der Modernisierung und Dekarbonisierung seiner Industrie, des Agrarsektors und der Energiewirtschaft baut, bietet es sich als verlässlicher Zulieferer von Erdöl, Rohstoffen und Vorprodukten an. Niedrige Energiekosten sollen den Standort zudem für die Ansiedlung von produzierenden Unternehmen attraktiv machen.
Manfred Grundke, Sprecher des Arbeitskreises Zentralasien im Ost-Ausschuss, warb gemeinsam mit dem kasachischen Botschafter in Deutschland Nurlan Onzhanov für eine bilaterale Arbeitsgruppe, um die Finanzierung von deutsch-kasachischen Projekten zu erleichtern, die häufig eine schwer überwindbare Hürde darstellt. Weitere Herausforderungen sind die logistische Anbindung des Landes an Europa und – etwa beim Ausbau der erneuerbaren Energien – das Erreichen einer kritischen Marktgröße, um Skaleneffekte zu erzielen. Bis 2060 strebt Kasachstan Klimaneutralität an, wie Raimbek Batalov, der kasachische Сo-Vorsitzende des Deutsch-Kasachischen Wirtschaftsrats und Präsidiumsvorsitzender des Unternehmerverbandes Atameken, betonte. Deutsche Unternehmen wie Siemens Energy, die DENA und der Windparkbetreiber Svevind sind im Energiesektor bereits aktiv. Svevind hat bereits ein Ankommen über den Bau von Wind- und Solaranlagen in Kasachstan unterzeichnet, die drei Millionen Tonnen grünen Wasserstoff produzieren und damit einen Teil des EU-Bedarfs an diesem Energieträger decken sollen.
„Inkubator für gemeinsame Projekte“
Die andauernde Reform der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, niedrige Energiekosten und die Vielzahl junger, gut ausgebildeter Menschen schaffen jedenfalls gute Voraussetzungen für eine engere deutsch-kasachische Zusammenarbeit. Als „Inkubator für gemeinsame Projekte“ bezeichnete Niko Warbanoff, der deutscher Co-Vorsitzende des Rats und Präsidiumsmitglied im Ost-Ausschusses den Wirtschaftsrat.
Manfred Grundke kritisierte in der anschließenden Diskussionsrunde, die von Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms moderiert wurde, ebenso wie Warbanoff die voreiligen Verdächtigungen Kasachstans wegen angeblicher Sanktionsumgehungen. Grundlage müsse eine genaue Faktenanalyse sei, wie sie der Ost-Ausschuss vorgelegt habe. „Vertrauen ist eine Zwei-Bahn-Straße und die Voraussetzung für gute Zusammenarbeit“, sagte Grundke. Der AK-Sprecher wies eindringlich auf den immensen Rohstoffbedarf durch die weltweite Energiewende hin, durch den etwa der Verbrauch von Kobalt um das 200-fache steigen werde. Die kasachischen Vertreter brachten ihr Land als verlässlichen Rohstofflieferanten ins Spiel. Grundke warb im Gegenzug für deutsche Technik. „Billig können Sie überall haben, preiswert bedeutet, sie bekommen zusätzlich auch Leistung“, sagte er. „Deutsche Technologie ist preiswert, aber nicht billig.“ In den parallelen Panels zum Abschluss tauschten sich deutsche und kasachische Vertreter dann über Industrie und Energieeffizienz sowie die Agrarkooperation aus.
Anknüpfungspunkte bei Bildung und Ausbildung
Um die Bedeutung von Bildung und Ausbildung für die wirtschaftliche Entwicklung drehte sich am Nachmittag die Diskussion bei der 37. Sitzung des Berliner Eurasischen Klubs, die dem Thema entsprechend in der Eurasischen Nationalen Gumiljow-Universität (ENU) in Astana stattfand. Die Universität wurde im Jahr 1996 auf Initiative des kasachischen Ex-Präsidenten Nursultan Nasarbajew gegründet, und mit zwei bereits existierenden höheren Bildungseinrichtungen der Stadt, dem Pädagogischen und dem Ingenieur-Institut, zu einer Universität zusammengefasst.
Deutsche und kasachische Vertreter aus Politik, Universitäten und Unternehmen diskutierten dabei über die Verzahnung von akademischer und beruflicher Ausbildung mit den Bedürfnissen der Unternehmen. Eröffnet wurde die Diskussion vom kasachische Vize-Außenminister Roman Vassilenko, Vize-Forschungsminister Kuanysh Yergaliyev und Manfred Grundke. Während in Deutschland das Thema Fachkräftemangel dominiert, verfügt Kasachstan mit seiner jungen Bevölkerung potenziell über ein großes Reservoir an Arbeitskräften.
Zahl der Schulabgänger wird sich verdoppeln
„Kasachstan setzt ernsthaft auf die Ausbildung und Entwicklung des Humankapitals, das zusammen mit deutschem Know-how und fortschrittlichen Technologien zu einem der Schlüsselfaktoren werden soll, um die kasachisch-deutsche Zusammenarbeit auf ein qualitativ neues Niveau zu bringen», sagte Vassilenko. Yergaliyev wies auf die derzeit 220.000 Schulabgänger hin, deren Zahl sich bis 2040 verdoppeln werde. Das Land hat aber noch Defizite insbesondere in der praktischen Berufsausbildung. Hier sollen gemeinsame deutsch-kasachische Bildungsprojekte ansetzen, die sowohl die akademische als auch die Berufsausbildung betreffen. Vassilenko hob insbesondere die duale Ausbildung in Deutschland als Modell für Kasachstan hervor.
Pionier im akademischen Bereich ist die Deutsch-Kasachische Universität (DKU) in Almaty mit 800 Studierenden, die derzeit zwei regionale Projekte in Aktau und Ost-Kasachstan in Kooperation mit lokalen Bildungsstätten und Unternehmen in den Bereichen Wasserstoff und Bergbau plant. „Wir verstehen uns mit diesen Projekten auch als Regionalentwickler“, sagte DKU-Präsident Prof. Wolrad Rommel. Besonders wichtig sei dabei die Verbindung mit den Unternehmen vor Ort. Eines der Vorzeigeprojekte im Bildungsbereich ist in diesem Zusammenhang die Eröffnung eines neuen kasachisch-deutschen Instituts für Ingenieurwissenschaften an der Yessenov Caspian State University of Technology and Engineering in Aktau. Das Institut plant, im Studienjahr 2023/2024 die ersten Studenten für die Studiengänge „Energie- und Umwelttechnik“ und „Logistik“ aufzunehmen.
In der praktischen Berufsausbildung engagieren sich deutsche Unternehmen wie Claas und Herrenknecht in Kasachstan. Für deutsche Investoren bringt die Ausbildung von Fachkräften vor Ort große Vorteile, weil sie die Mitarbeiter oft lebenslang an Marke und Produkte bindet und im Bedarfsfall keine Experten aus anderen Standorten eingeflogen werden müssen. Die BEK-Sitzung machte sowohl die beeindruckende Bandbreite der deutsch-kasachischen Bildungszusammenarbeit, etwa in Form von über 90 Hochschulkooperationen, aber auch Ansatzpunkte für deren Vertiefung.
Exportfinanzierung mit Nachholbedarf
Eine Konferenz zur Exportfinanzierung rundete am 17. Mai das Programm der Delegationsreise ab. Die Veranstaltung im Astana International Financial Centre (AIFC) wurde von den staatlichen Exportkreditversicherern Deutschlands, Österreichs und der Schweiz gemeinsam organisiert und von den Botschaftern der drei DACH-Länder eröffnet.
Die Versicherer stellten dabei ihr umfangreiches Instrumentarium bezüglich Modalitäten, Risikoeinschätzung, Prämien und der Einbindung lokaler Banken vor, während Unternehmen anhand praktischer Beispiele aus Angola und Usbekistan über erfolgreiche Projekte berichteten. Ein Beispiel aus Kasachstan fehlte bezeichnenderweise. Ungeklärte Schadensfälle aus der Vergangenheit hatten etwa die deutsche Exportabsicherung für Kasachstan jahrelang lahmgelegt. „Im Hinblick auf Investitionen haben wir noch einen langen Weg zu gehen“, sagte Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms zu Beginn in seinem Grußwort als Co-Host der Konferenz. „Es fehlen noch die großen Leuchtturmprojekte“.
Deutschland gehört daher noch nicht zu den Top Ten der größten ausländischen Investoren in Kasachstan, wie Ardak Zebeshev, Vorsitzender des Investitionsausschusses des Außenministeriums in seiner Präsentation zeigte. Immerhin gibt es bereits rund 1.000 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung und 54 größere deutsch-kasachische Investitionsprojekte, insbesondere in den Bereichen Logistik, Chemie, Landwirtschaft und erneuerbare Energien, von denen 35 im Gesamtwert von 1,3 Milliarden US-Dollar fertiggestellt oder in der Umsetzung sind. „Wir starten nicht von Null“, sagte Ost-Ausschuss-Präsidiumsmitglied Edna Schöne vom deutschen Exportversicherer Euler Hermes. Man wolle insbesondere den Export von Rohstoffen und verarbeiteten Produkten aus Kasachstan fördern.
Konkurrenz schläft nicht
Das „neue Kasachstan“ — das machte die Delegationsreise deutlich — kann ein wertvoller Partner für ein Deutschland sein, das sich vielleicht nicht neu erfinden, aber in der veränderten geopolitischen Umgebung zumindest neu orientieren muss. Die Konkurrenz schläft allerdings nicht. Nur einen Tag nach dem deutschen Besuch fand der 5+1-Gipfel zwischen China und Zentralasien statt, auf dem der chinesische Staatschef Xi Xinping die fünf Präsidenten Zentralasiens zum ersten Mal gemeinsam empfing, um ein Konzept für den Ausbau der Beziehungen zu erarbeiten.