Russische Argumente zu den aufgeworfenen Fragen und Forderungen signalisieren wenig Optimismus. Russlands offizielle Antwort vom 17. Februar in einer Übersetzung von «NG Deutschland»
Die kasachischen Offiziellen und staatlichen Medien haben aufgedeckt, wer denn diese Terroristen aus dem Ausland waren, wegen denen Friedenstruppen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit entsandt werden müssten, um sie zu bekämpfen. Die Unruhen, die Anfang Januar das Land erschüttert hatten, wirft man Islamisten vor, darunter aus der benachbarten Republik Kyrgystan gekommenen. Vertreter Kirgisiens weisen jedoch diese Version zurück, wobei sie die Schuld für die Destabilisierung den kasachischen Offiziellen anlasten, die zu Autoritarismus geneigt seien.
„Freischärler hatten die Besetzung des Flughafens in Almaty organisiert. Nunmehr zeigen die Untersuchungsbehörden, dass der Flughafen besetzt worden war, um für die Bürger eine Einreise über ihn zu gewährleisten, die aus einer zentralasiatischen Stadt angekommen waren. Dies waren ausgebildete Kämpfer, Kommandeure. Sie waren natürlich als Gastarbeiter angekommen. Man schleuste sie durch die Passkontrollen, ließ sie in die Stadt, und sie begannen die Führung der Operationen“, erklärte Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew in einem Interview für den staatlichen Fernsehkanal „Khabar 24“. Die Kämpfer, die die Unruhen in Kasachstan angeführt hatten, hätten Materialien von Strafverfahren und Dossiers zu Vertretern der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane interessierte, fügte Tokajew hinzu.
Der gleiche TV-Kanals strahlte auch den Dokumentarfilm „Der tragische Januar. Wie dies gewesen war“ aus. Die Autoren nannten eine extremistische Gruppierung, die entsprechend der Version von Nur-Sultan, den Überfall auf das Land organisiert hätte. „Unter den Festgenommenen sind eine Reihe von Anhängern der radikalen Zelle „Yakyn Inkar“. Bei ihnen wurden Waffen, Granaten, Patronen, religiöse Broschüren und Literatur beschlagnahmt“, heißt es im Abspann dieses Streifens. Die Bewegung „Yakyn Inkar“ war im Jahr 2018 auf Beschluss eines der Stadtbezirksgerichte der kasachischen Hauptstadt als eine extremistische Organisation anerkannt worden, deren Tätigkeit auf dem Landesterritorium verboten ist. In unterschiedlichen Publikationen einheimischer Medien sind die Präzisierungen enthalten, dass viele Extremisten aus Kirgisien ins Land gekommen seien.
Die „NG“ befragte den Experten auf dem Gebiet der Beziehungen von Staat und Religionen, Dr. jur. Nurlan Ismailow aus Bischkek, ob er mit der Behauptung der Kasachen einverstanden sei, dass die Protestaktivitäten von den Nachbarn ausgehen würden. „Nach meiner Meinung ist dies eine erneute billige und durch nichts argumentierte Äußerung des offiziellen Nur-Sultans, um von sich die Verantwortung für das Geschehene zu nehmen“, antwortete unser Gesprächspartner. Er erklärte, dass die „Ereignisse in Kasachstan ein Beleg für die über Jahre akkumulierten sozial-ökonomischen und politischen Probleme sind“. „Man muss verstehen, dass es ungeachtet dessen, dass Kasachstan heute kein schlechtes Wirtschaftswachstum demonstriert, eine Vielzahl von Problemen gibt, die als Ursache für die zu untersuchenden Ereignisse dienten. Zu einem von ihnen kann man die ungerechte Verteilung der Ressourcen unter der Bevölkerung rechnen. Die einen baden im Luxus, wobei sie ihre Reichtümer in den unterschiedlichen sozialen Netzwerken demonstrieren. Andere kommen nur mit Mühen über die Runde, wobei sie die überwältigende Mehrheit ausmachen“, erläuterte der Experte. „Ein anderes Problem trägt einen politischen Charakter. So ist der heute amtierende Präsident nicht durch direkte, ehrliche und demokratische Wahlen auf einer alternativen Grundlage gewählt worden. Folglich hat er kein eigenes Elektorat, da ihm dieses Amt vom früheren Präsidenten und dessen Anhängern-Oligarchen für eine weiteren Wahrung ihres Einflusses und für die Bewahrung des Reichtums zugefallen war. Selbst im Weiteren hat er es nicht vermocht, sich einzubringen, sich mit dem einfachen Volk zu vereinigen. Im Zusammenhang damit kann das einfache kasachische Volk ihn nach wie vor nicht als einen vollwerten Führer des Landes anerkennen“. „Das dritte Problem, das nach meiner Ansicht zum Hauptkatalysator der Protestaktionen wurde, ist die Isolation der offiziellen Behörden, insbesondere der höchsten staatlichen Machtorgane, von der Realität in der Gesellschaft“, fügte Ismailow hinzu.
Nach seiner Meinung hänge die Gereiztheit gegen Kirgisien damit zusammen, dass dieses Land als ein Beispiel für die Völker im postsowjetischen Raum, die autoritäre Regimes regieren, diene. „Im Ergebnis der Volksunruhen (in Kirgisien – „NG“) kam es bereits zum dritten Mal zu einem Machtwechsel. Dies ist ein Beleg dafür, dass das Volk in der Lage ist, seinen Herrscher abzulösen, dessen Politik nicht seinen ursprünglichen programmatischen Versprechen entspricht, grob die Verfassungsordnung verletzt und die Meinung des Volks ignoriert“, erläuterte der Experte seinen Gedankengang.
Was die Verweise auf die konkrete religiöse Bewegung angeht, so berichtete Ismailow: „(Die Bewegung) „Yakyn Inkar“ hatte sich von der „Tablighi Jamaat“ (eine sunnitisch-islamische Frömmigkeits- und Missionsbewegung, die in Russland als eine extremistische Organisation verboten ist – Anmerkung der Redaktion) getrennt, nachdem die Prediger von „Tablighi Jamaat“ die Entscheidung getroffen hatten, eine Daʿwa (das heißt eine Form von missionarischer Aktivität) nur nach einer Registrierung in der Geistlichen Verwaltung der Moslems von Kyrgystan, den Gebietskasiyaten oder bei den Kreis-Imams sowie einer Ordnung ihrer Tätigkeit auf der Grundlage der Gesetzgebung des Landes zu beginnen“. „Danach hatte sich ein bestimmter Teil dieser Organisation nicht solch einer Entscheidung der Geistlichen Verwaltung der Moslems von Kyrgystan untergeordnet und demonstrativ vom Hauptteil der „Tablighi Jamaat“ losgelöst“, fuhr der Experte fort. „Sie hatten sich nicht den Modalitäten für die Verbreitung religiöser Anschauungen ungeordnet. Sie propagierten die Lebensweise mittelalterlicher Derwische. Viele der Anhänger schickten ihre Kinder nicht zur Schule. Im Weiteren wurde die Organisation auf der Grundlage eines Gerichtsbeschlusses als eine extremistische anerkannt. Zum Zeitpunkt der Annahme der Gerichtsentscheidung ging es um etwa 1200 ihrer Vertreter. Aufgrund des Verbots ihrer Tätigkeit und der Durchführung einer systematischen prophylaktischen Arbeit durch die 10. Verwaltung von Kirgisiens Innenministerium, die sich mit der Bekämpfung von Extremismus zusammen mit der Geistlichen Verwaltung der Moslems von Kyrgystan befasst, traten viele Mitglieder dieser Organisation aus ihr aus. Mehrere wurden verurteilt und befinden sich in Gefängnissen“.
Obgleich „Yakyn Inkar“ als eine extremistische Organisation eingestuft wurde, seien ihre Vertreter nicht mit Aufrufen zur Anwendung von Gewalt oder Versuchen zur Erreichung irgendwelcher politischer Ziele festgestellt worden, präzisiert der Experte. „Der Gerechtigkeit halber muss betont werden, dass sie als eines der Prinzipien ihrer Tätigkeit eine Nichteinmischung in die Staatspolitik ansehen und jegliche Arten von Gewalt ablehnen“, fügte er hinzu. „Beim Anwerben von Bürgern Kyrgystans für Syrien-Einsätze wurden sie auch nicht ermittelt. Und es gibt keine Beweise für ihre Beteiligung an inneren Konflikten in Kyrgystan“, erwiderte der Experte auf eine entsprechende Frage der „NG“.
Ismailow ist der Auffassung, dass heutzutage „Yakyn Inkar“ keine ernsthafte Kraft darstelle, die eine Bedrohung für die Sicherheit Kirgisiens oder irgendein anderes Land verursache. „Mit allen religiösen Organisationen, darunter auch mit dieser Organisation, werden prophylaktische Arbeiten auf der Ebene einer Abteilung der 10. Verwaltung des Innenministeriums der Republik Kyrgystan durchgeführt. Ich nehme an, dass, wenn die Republik Kasachstan mit all ihren Rechtsschutzorganen und Sicherheitsdiensten nicht in der Lage ist, eine Arbeit auf der Ebene vorzunehmen, die man bei uns auf der Ebene einer Abteilung des Innenministeriums vornimmt, so macht es Sinn, sich über die Handlungsfähigkeit dieses Landes Gedanken zu machen. Und die Schaffung irgendwelcher Mythen über „Yakyn Inkar“, die angeblich die Januarereignisse in Kasachstan organisiert oder an ihnen teilgenommen hätte, ist lediglich eine erneute, sehr perspektivlose und lächerliche Idee der offiziellen Staatsorgane der Republik Kasachstan, um die Schuld von sich abzulenken“, resümierte der Experte.
Die Behörden Kasachstans ziehen überraschende Schlussfolgerungen aus ihren Nachforschungen über die Aktionen der Islamisten aus dem Ausland. Man hat im Land entschieden, die Moscheen mit Personal zu verstärken. Wie sich herausgestellt hat, mangelt es auf dem Lande an Imams, die den Predigten religiöser Radikaler Paroli bieten könnten. „In diesem Jahr sind 25 Zuschüsse bereitgestellt worden. Doch es gibt wenig Interessenten“, berichtete Kairolla Kuschkalijew, Leiter der Verwaltung für Religionsangelegenheiten des kasachischen Verwaltungsgebietes Atyrau gegenüber regionalen Medienvertretern. „Wir besetzen die Stellen durch die Anstrengungen von Imams. Wie der Präsident (Tokajew – „NG“) sagte, müsse eine Arbeit auf dem Gebiet der Religion organisiert werden. Und wir bemühen uns, in dieser Richtung zu arbeiten. Am meisten mangelt es an geistlichen Mentoren. Gerade sie kommunizieren mit den Gläubigen in der Moschee und antworten auf unterschiedliche Fragen über den Glauben. Wenn es an klugen Spezialisten fehlen wird, so wird sich auch keiner mit der geistlichen Aufklärung der Einwohner befassen, sagten die Geistlichen. Nach ihren Worten bestehe das Risiko, dass irgendwer der fehlerhaften Lehre der Radikalen folgen könne“.
„Ich denke nicht, dass die Schulung und Ausbildung von Imams direkt mit den Protestaktivitäten irgendwelcher destruktiver Organisationen zusammenhängen“, kommentierte Ismailow die Erklärungen von Beamten aus dem Nachbarstaat. „Wenn jedoch der Staat versuchen wird, viele seiner Fragen (es geht um eine Verringerung der Proteststimmungen) mit einer unmittelbaren Beteiligung religiöser Organisationen zu lösen, so kann dies im Weiteren zur Ursache einer Politisierung der Religion werden“.
Jedoch ist schon jetzt zu spüren, dass die Offiziellen Kasachstans beschlossen haben, den Faktor eines kontrollierbaren Islams in der Innenpolitik zu verstärken. 40 Tage nach den Januar-Ereignissen, was auf den Sonntag, den 13. Februar fiel, beging Präsident Tokajew mit dem Besuch eines Gedenkgottesdienstes in der hauptstädtischen Hazrat-Sultan-Moschee.