In Taschkent findet in der zweiten Aprilhälfte das erste formale Gipfeltreffen „Europäische Union – Zentralasien“ statt, an dem die Vorsitzende der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, sowie die Präsidenten der Länder der Region teilnehmen werden. Die EU bereitet sich vor, Zentralasien vorzuschlagen, die Partnerschaft auf ein neues Niveau zu heben und zehn Milliarden Euro in die Transkaspische internationale Transportroute, die Europa und Zentralasien verbindet, zu investieren. Im Vorfeld der Veranstaltung erfolgte in Chiwa ein Arbeitstreffen der Staatsoberhäupter von Kasachstan und Usbekistan, Qassym-Shomart Tokajew und Shavkat Mirziyoyev, in dessen Verlauf das Schwergewicht auf die Erörterung der internationalen und regionalen Agenda gelegt wurde.
Die Vorbereitung zum EU-Zentralasien-Summit in Taschkent begann bereits im vergangenen Jahr. Im Format 5 plus 27 hatten die Außenminister in Luxemburg zu einer Erweiterung der Zusammenarbeit im Energiebereich sowie bei der Förderung und Verarbeitung kritischer Rohstoffe, die für die EU-Länder nötig sind, usw. aufgerufen. Der EU-Chefdiplomat Josep Borrell hatte den Ländern der Region vorgeschlagen, „die globalen Herausforderungen zu gemeinsamen Möglichkeiten zu verwandeln“.
„Zu einer der Fragen, die beim Taschkenter Summit erörtert wird, wird das Zusammenwirken im Rahmen einer Erweiterung der Transkaspischen internationalen Transportroute oder – wie sie üblicherweise auch genannt wird – des Mittleren Korridors. Da Europa unter Berücksichtigung des Geschehens auf den Seewegen in der Bab el-Mandab-Meerenge und der weiteren Eskalierung des Konflikts um die Ukraine eine Alternative suchen muss. Die Transkaspische Route ist aber komplizierter und kostspielig aufgrund ihres multimodalen Charakters. Und folglich ist sie wirtschaftlich weniger vorteilhaft und weniger konkurrenzfähig im Vergleich zum beispielsweise Nördlichen Korridor, der durch Kasachstan und Russland und weiter nach Weißrussland oder in die Häfen des Baltikums verläuft“, sagte der „NG“ Bakhtijer Ergaschew, Direktor des Zentrums für Forschungsinitiativen „Man’o“. Doch der Nördliche Korridor sei nach Aussagen des Experten aufgrund der harten Sanktionsbeschränkungen und Gegensanktionen weniger attraktiv und unterliege in diesem Sinne dem Mittleren Korridor. Daher sei Europa bereit, für die Entwicklung der Transkaspischen internationalen Transportroute über zehn Milliarden Euro bereitzustellen, aber als einen Kredit. „Bevor dieses Geld ausgibt, muss man begreifen, dass die Investitionen in die Infrastruktur wenig rentable sind. Daher, wenn man einen Kredit für die Entwicklung der Infrastruktur aufnimmt, muss er einen Akkumulierungseffekt aufweisen. Dann wird er für die Interessen nicht nur eines Landes, sondern der ganzen Region wirken. Daher wurden die Fragen des Transports und der Entwicklung der Transkaspischen internationalen Transportroute natürlich auch von den Präsidenten erörtert. Und es erfolgte die Ausarbeitung einer gemeinsamen Position, die beim EU-Zentralasien-Gipfel nicht nur von Kasachstan und Usbekistan, sondern auch von der ganzen Region insgesamt vorgestellt wird“, meint Ergaschew.
Nicht zufällig hatte Qassym-Shomart Tokajew die Zusammenarbeit von Kasachstan und Usbekistan als ein regionales Tandem bezeichnet. „Das kasachisch-usbekische Tandem ist eine Lebensnotwendigkeit. Und nur zusammen und gemeinsam kann man eine stabile Entwicklung unserer Länder gewährleisten“, teilte der Pressedienst des kasachischen Staatsoberhauptes mit.
Experten sind der Auffassung, dass von der Stabilität dieses Tandems das Schicksal der gesamten Region abhängen werde. Der Politologe Andrej Tschebotarjow lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass die Erklärung von Qassym-Shomart Tokajew über das kasachisch-usbekische Tandem sowohl für die Bürger und Eliten beider Länder als auch für die auswärtigen Beobachter eine demonstrative sei. Allem nach zu urteilen, werde in diesem Fall das reflektiert, dass Kasachstan und Usbekistan nicht miteinander konkurrieren, sondern im Gegenteil Anstrengungen zur Lösung allgemein bedeutsamer Fragen bilateralen und multilateralen Charakters vereinen. Die entsprechenden Absichten und konkreten Richtungen der Zusammenarbeit werden augenscheinlich im Programm für eine strategische Partnerschaft und Bündnispolitik zwischen Kasachstan und Usbekistan bis zum Jahr 2034 verankert werden. Außerdem scheint es, dass die Bildung eines realen politischen Tandems der beiden Länder in der Lage ist, die Regionalisierung Zentralasiens zu beschleunigen. Angesichts ihres Potenzials sind Astana und Taschkent imstande, zum Kernstück dieses Prozesses zu werden. Bleibt nur, die erforderlichen Handlungen vorzunehmen. Folglich ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Ergebnisse des Chiwa-Treffens positiv im Rahmen nicht nur der bilateralen, sondern auch der regionalen Agenda auswirken werden.
Nach Meinung von Bakhtijer Ergaschew würden Astana und Taschkent konsequent den Weg einer Verstärkung der Zusammenarbeit – beginnend mit der Wirtschaft – beschreiten. Dies sei ein strategischer Kurs zur Annäherung der Positionen beider Länder, unabhängig davon, ob dies wem gefalle oder nicht. Zumal Kirgisien, Tadschikistan und Turkmenistan keine Besorgnis hinsichtlich dieser Frage bekunden würden. Im Gegenteil, sie wollen mit den beiden größten Volkswirtschaften der Region zusammen sein, mit ihnen bei der Lösung regionaler Fragen zusammenarbeiten. Das Tandem von Kasachstan und Usbekistan beschert der Region mehr Positives denn Negatives. Zumal es nicht darauf abzielt, die Interessen anderer Länder zu tangieren.
Beim anstehenden Gipfeltreffen wird es ebenfalls extrem wichtig sein, Fragen der Sicherheit Zentralasiens zu erörtern. „Die bedeutsamsten Länder, die in der Lage sind, in diesem Bereich real einzuwirken, sind Russland, China, die USA und Großbritannien. Auch die Türkei, der Iran und Pakistan können eine erhebliche Unterstützung leisten. Die Europäische Union gehört leider nicht zu den Schlüssel-Akteuren. Die Frage in Bezug auf Afghanistan verlangt jedoch ernsthafte Aufmerksamkeit. Die Lösung dieser Probleme ist eine notwendige Bedingung für die Entwicklung von Projekten für Transportwege, für die Implementierung der „grünen“ Energie und für andere Formen der Zusammenarbeit im Rahmen dieser Region“, nimmt Ergaschew an.