Russlands Präsident Wladimir Putin hat dieser Tage den Erlass „Über die Anwendung spezieller wirtschaftlicher Antwortmaßnahmen im Zusammenhang mit den unfreundlichen Handlungen mehrerer ausländischer Staaten und internationaler Organisationen“ unterschrieben. Faktisch geht es um neue erzwungene Antwortschritte oder Gegensanktionen, wobei ihr wesentlicher Unterschied zu jenen Gegensanktionen offensichtlich ist, die durch Russland im Jahr 2014 (nach dem Beitritt der Halbinsel Krim zur Russischen Föderation und dem Ausbruch des Donbass-Konfliktes – Anmerkung der Redaktion) verhängt worden waren.
So hatte im Jahr 2014 der Erlass des Präsidenten Restriktionen für die Einfuhr einzelner Arten von Agrarerzeugnissen, Rohstoffen und Lebensmitteln nach Russland, deren Herkunftsland ein Staat gewesen war, der antirussische Sanktionen verhängt hatte, vorgesehen. Unter die Beschränkungen war der Import geraten. Dieses Lebensmittelembargo gilt nach wie und wird vor allem durch die Bürger Russlands aufgrund der gestiegenen Lebensmittelpreise aus der eigenen Tasche bezahlt.
Der neue Erlass vom 3. Mai 2022 aber enthält ein Verbot für Geschäftsabschlüsse mit Geschäftspartnern aus den sogenannten unfreundlichen Ländern, aber auch für eine Ausfuhr von Erzeugnissen und Rohstoffen aus der Russischen Föderation, wenn deren Lieferungen zugunsten von Personen erfolgen, die sich unter russischen Gegensanktionen befinden. Nunmehr verlagert sich der Akzent auf den Export.
Also wird den föderalen und regionalen Machtorganen, anderen staatlichen Behörden und Behörden der örtlichen Selbstverwaltung sowie Organisationen und natürlichen Personen, die sich unter der Jurisdiktion der Russischen Föderation befinden, verboten, „ mit Rechtspersonen, natürlichen Personen und sich unter deren Kontrolle befindlichen Organisationen Geschäftsabschlüsse zu vollziehen (darunter auch Außenhandelsverträge abzuschließen), in deren Hinsicht spezielle Wirtschaftsmaßnahmen angewandt werden (im Weiteren – Personen, die sich unter Sanktionen befinden)“.
Gleichfalls wird untersagt, „gegenüber den Personen, die sich unter Sanktionen befinden, die Pflichten hinsichtlich der vorgenommenen Geschäftsabschlüsse (darunter hinsichtlich abgeschlossener Außenhandelsverträge) zu erfüllen, wenn solche Pflichten nicht erfüllt oder nicht im vollen Umfang erfüllt worden sind“. Weiterhin wird verboten, „Finanzoperationen vorzunehmen, deren Nutznießer Personen sind, die sich unter Sanktionen befinden“.
Festgeschrieben wird außerdem ein Verbot „für die Ausfuhr aus der Russischen Föderation von Erzeugnissen und (oder) Rohstoffen, deren Herstellung und (oder) Förderung auf dem Territorium der Russischen Föderation vorgenommen werden, unter der Bedingung, dass solche Erzeugnisse und (oder) Rohstoffe zugunsten von Personen, die sich unter Sanktionen befinden, und (oder) durch Personen, die sich unter Sanktionen befinden, zugunsten anderer Personen geliefert werden“.
Dem Finanzministerium und der Zentralbank der Russischen Föderation wird das Recht eingeräumt, offizielle Erklärungen und Erläuterungen zu Fragen der Anwendung des Erlasses – in Abhängigkeit von dessen konkreten Punkten – zu geben. Die Regierung von Michail Mischustin soll innerhalb von zehn Tagen ein Verzeichnis jener Personen bestätigen, die sich unter den russischen Antwortsanktionen befinden, und zusätzliche Kriterien bestimmen, denen entsprechend Vertragsabschlüsse kategorisiert und zu solchen gerechnet werden, deren Abschluss gemäß dem Erlass verboten bzw. die Erfüllung der Pflichten aus ihnen untersagt wird.
In Abhängigkeit davon, wer konkret in das erwähnte Verzeichnis kommt und wie die Kriterien für die Vertragsabschlüsse aussehen werden, wird klar werden, ob diese neuen Restriktionen die Lieferungen russischer Energieressourcen und Agrarerzeugnisse ins Ausland, aber auch gemeinsame Projekte in unterschiedlichen Branchen betreffen werden.
Es sei daran erinnert, dass sich auf der Liste der sogenannten unfreundlichen Länder alle Länder der Europäischen Union befinden, aber auch die USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Großbritannien, Norwegen, Island, die Schweiz, Südkorea, Japan, die Ukraine u. a. (insgesamt 48 Staaten und Territorien).
Derweil bereitet die Europäische Union ihr neues, ein sechstes Paket antirussischer Sanktionen vor, das russische Erdöllieferungen tangieren soll. Freilich, bisher gelingt es nicht, eine konsolidierte Position zu erreichen. Dies gilt ebenfalls für eine andere Frage: Während die Europäische Kommission noch an einer gemeinsamen Position zur Bezahlung des russischen Gases unter Verwendung des per Putin-Erlass aufgezwungenen russischen Bezahlungsschemas (russische Gaslieferungen für Zahlungen in russischen Rubeln über entsprechende Sonderkonten und mit einer Monopolstellung der Gazprombank in diesem Schema im Zusammenwirken mit der Moskauer Börse — Anmerkung der Redaktion), werden eine Reihe ausländischer Unternehmen (unter anderem nicht aus dem EU-Raum) bereits mit den finanziellen Konsequenzen aus der Verschlechterung der Beziehungen mit der Russischen Föderation konfrontiert.
Beispielsweise machte der Reinverlust des deutschen Energiekonzerns Uniper im ersten Quartal dieses Jahres fast 3,2 Milliarden Euro aus. Wie die russische staatliche Nachrichtenagentur TASS unter Berufung auf Daten des Unternehmens meldete, hatte die große Volatilität auf dem Gasmarkt am stärksten die Einnahmen beeinflusst. Ihren Beitrag leitsteten jedoch auch die „Störungen“, die mit dem Projekt „Nord Stream 2“, aber auch mit dem Business des russischen Uniper-Tochterunternehmens „Unipro“ zusammenhängen.
Der Reinverlust des britischen Energiekonzerns BP, den die Aktionäre einstecken müssen, erreichte im ersten Quartal mehr als 20 Milliarden Dollar. Und wie die russische Nachrichtenagentur PRIME unter Berufung auf die Berichtsdokumente meldete, wurde dieser Verlust fast vollkommen durch den Verkauf des Anteils am russischen Rosneft-Konzern und dem Ausstieg aus den gemeinsam mit ihm betriebenen Joint-Ventures verursacht.
- S. der Redaktion „NG Deutschland“
Nach dem erwähnten Putin-Erlass wurden in Russland weitere Schritte unternommen, um dem kollektiven Westen auf die antirussischen Sanktionen zu antworten. Per Regierungsbeschluss ist nun ein legaler paralleler Import nach Russland möglich gemacht worden, um zum Beispiel wieder Autos solcher Marken wie „Bentley“, VW, Range Rover etc. oder Computertechnik solcher Marken wie Dell, Toshiba usw. auf den russischen Markt zu bringen. Und dies ohne eine Zustimmung der Marken-Inhaber, die nach dem 24. Februar, nach dem Beginn der international umstrittenen und kritisierten russischen militärischen Sonderoperation gegen die Ukraine, demonstrativ den Markt Russlands verlassen hatten. Ob nun aber die Händler, die sich an den von Moskau legalisierten parallelen Importen beteiligen, von Sanktionen aufgrund solches Verhaltens betroffen werden, ist gegenwärtig unklar. Klar ist dagegen aber, dass die Preise dadurch im Land weiter auf einem hohen Stand bleiben und steigen können. Während vor diesem Hintergrund 89 Prozent der Russen dennoch davon überzeugt seien, dass Russland nach seinen eigenen Regeln — ohne den Westen zu berücksichtigen (also auch unter Verletzung der Rechte anderer) — leben sollte, wie das kremlnahe Allrussische Meinungsforschungszentrum VTsIOM herausgefunden haben will, befindet sich jeder neunte Bürger Russlands – 16,1 Millionen Menschen – unterhalb der Armutsgrenze. Diese Angaben veröffentlichte die Föderation der unabhängigen Gewerkschaften Russlands Ende April, die jedoch von den staatlichen Propagandisten ignoriert wurden. Schließlich sind die Inflationsraten des Westens, die geringer sind als die derzeit 17,7 Prozent in Russland, für sie bedeutsamer und berichtenswerter.