Präsident Wladimir Selenskij hätte den Streitkräften der Ukraine den Befehl erteilt, die Kontrolle über den Süden des Landes zurückzuerlangen, teilte Verteidigungsminister Alexej Resnikow mit. Über eine baldige Wende in den Kampfhandlungen sprechen die offiziellen ukrainischen Vertreter immer häufiger, obgleich deren realistischer Charakter vorerst ein zweifelhafter bleibt. Solche Erklärungen erfüllen scheinbar mehr politische Aufgaben. In den Verwaltungsgebieten Cherson und Saporoschje haben sich Fälle eines Beschusses und Diversionsversuche gehäuft, was die Verstärkung der russischen Kontrolle über diese Regionen erschwert, aber nicht diesen Prozess aufhält. Moskau setzt deren Integration in den russischen Raum fort (womit für alle klar wird, dass die Ukraine von vor dem 24. Februar nicht mehr existieren wird – Anmerkung der Redaktion). Derweil erfolgt in der Donezker Volksrepublik – den eintreffenden Mitteilungen nach zu urteilen – die Vorbereitung zu einer neuen großen Offensive der russischen und Donbass-Militärs.
Die Ukraine werde eine Million Menschen bewaffnen, um den von Russland besetzten (im Kiewer offiziellen Sprachgebrauch: okkupierten) Landessüden zurückzuholen, teilte Alexej Resnikow der Zeitung „The Times“ mit. Nach seinen Worten hätte der Präsident die oberste Militärführung beauftragt, entsprechende Pläne auszuarbeiten. Die entscheidende Rolle sollen bei ihrer Realisierung die westlichen Waffen spielen. Resnikow rief die NATO auf, deren Lieferungen aufzustocken. Die Ukraine hätte erfolgreich begonnen, weitreichende amerikanische Artilleriesysteme einzusetzen, die eine große Wirksamkeit gezeigt hätten, betonte der Minister in einem Interview für das Blatt „The Wall Street Journal“. Aber es seien mehr Waffen nötig, unterstrich er. „Die westlichen Waffen für die ukrainischen Streitkräfte ändern bereits den Verlauf des Krieges“, erläuterte Alexej Danilow, Sekretär des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine. Und die ukrainische Vizepremierministerin Irina Werestschuk rief aufgrund der anstehenden Offensive die Bevölkerung der Verwaltungsgebiete Cherson und Saporoschje auf, sich mit allen möglichen Methoden zu evakuieren.
Bisher haben sich auf den von Russland kontrollierten Territorien die Fälle eines Beschusses und Diversionsversuche gehäuft. In der Nacht zum 11. Juli wurde in Saporoschje ein Überfall auf das Haus des Leiters der Militär- und Zivilverwaltung des Kreises Melitopol, Andrej Siguta, verübt. Der Angreifer wurde später getötet, der prorussische Beamte blieb unverletzt. Und in Cherson wurde ein Attentat auf den Chef der Gebietsmilitär- und Zivilverwaltung Wladimir Saldo vereitelt. Ein Sprengsatz auf dem Fahrtweg seines Autos wurde rechtzeitig entdeckt und unschädlich gemacht, so dass Saldo weiterhin im russischen Staatsfernsehen mit entsprechenden Erklärungen zu sehen sein wird.
Ob Kiew zu etwas mehr in der Lage ist, zu einer wahren und bereits mehrfach versprochenen Wende in den Kampfhandlungen, bleibt fraglich. Der bereits erwähnte Alexej Resnikow gestand gegenüber westlichen Medien ein, dass die ukrainischen Streitkräfte Verluste erleiden würden und erschöpft seien. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die lautstarken Versprechungen hinsichtlich eines baldigen gewaltsamen Zurückholens von Territorien zum gegenwärtigen Zeitpunkt mehr Versuche sind, das Gesicht zu wahren, den Westen von seiner Kampfkraft zu überzeugen, das Inlandspublikum zu beruhigen, das aufgrund der Rückzüge besorgt ist, sowie Moskau und die Bewohner der von ihm kontrollierten Territorien zu veranlassen, nervös zu werden, denn die reale Gewissheit hinsichtlich eines Sieges auf dem Schlachtfeld. Woran man aber scheinbar nicht zweifeln muss und kann, ist die Tatsache, dass die gegenwärtigen militärischen Rechnungen der ukrainischen Führung wirklich – wie auch aus ihren Erklärungen folgt – voll und ganz auf eine Verstärkung der westlichen Waffenlieferungen setzen. Freilich gibt es da ein Risiko: Es ist wenig wahrscheinlich, dass Kiew einen Plan „B“ für den Fall hat, wenn dieses Setzen aufgrund der einen oder anderen Ursachen nicht aufgeht.
Auch wenn Moskau die drohenden Erklärungen beachtet, so lässt es sich dies nicht anmerken. Die Integration der südlichen Territorien der Ukraine geht weiter. So besuchte jüngst ein weiterer hochrangiger Beamter – Russlands Bildungsminister Sergej Krawzow – das Verwaltungsgebiet Saporoschje. Er überprüfte die Vorbereitung der dortigen Schulen und Colleges auf das neue Schuljahr. In der Donezker Volksrepublik erfolgen derweil durch Russland und die Volksrepubliken eine Umgruppierung und Schläge gegen das Hinterland der ukrainischen Streitkräfte. In einer Reihe von Richtungen sind neue Positionen eingenommen worden. Den eintreffenden Meldungen nach zu urteilen, ist eine neue große Offensive zu erwarten. Und Präsident Wladimir Putin hat mit einem neuen Erlass die vereinfachten Modalitäten für den Erhalt der Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation auf die Einwohner nicht nur der Donbass-Republiken DVR und LVR sowie der Gebiete Saporoschje und Cherson, sondern der gesamten Ukraine ausgedehnt, wobei er möglicherweise die Perspektive einer weiteren Ausdehnung der von Russland kontrollierten Territorien andeutete.