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Kiew beeilt sich, bis zum Beginn der Kälte zu attackieren


Am Donnerstag haben die russischen Truppen laut Moskauer Darstellung erfolgreich eine Attacke im Bereich der Kinburn-Landzunge im Schwarzen Meer aus der Richtung von Otschakow abgewehrt. Aus dieser hätten die ukrainischen Streitkräfte versucht, mit Motorbooten an Land zu gehen. Registriert wurden gleichfalls Angriffe der Streitkräfte der Ukraine in den Richtungen Saporoschje und Kriwoi Rog. Im Donbass dauerten die Positionsgefechte an, in deren Verlauf die ukrainische Seite erfolglose Versuche einer Offensive gen Lugansk unternommen habe.

Es besteht die Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung einer größer angelegten Offensive der ukrainischen Truppen gegen russische Positionen aus der Charkow-Richtung – gegen Kupjansk und weiter gegen Lugansk, aber auch seitens Saporoschjes in Richtung Ugledar, aber auch Tokmak, für ein Erreichen des Asowschen Meeres. Die Situation gestaltet sich dadurch kompliziert, dass nach dem Erreichen der Grenze zu Russland die ukrainischen Streitkräfte versuchen, systematisch Territorien der Verwaltungsgebiete Kursk und Belgorod zu beschießen.

Zu den Grenzen der Russischen Föderation werden neue Artillerie-Einheiten des Gegners verlegt. Über die wiederhergestellte Bahnlinie nach Balakleja sind Militärzüge mit Munition und Waffen unterwegs. Medien berichten, dass ab Freitag die Bahnverbindung zwischen Charkow und Balakleja wieder in Betrieb genommen werde. Wie Experten meinen, werde dies getan, um eine operative Verlegung von Gefechtstechnik und Reserven der ukrainischen Streitkräfte zwecks Entwicklung einer Gegenoffensive gegen Kupjansk, das als ein wichtiger Transport- und Logistik-Knotenpunkt gilt, zu sichern. Offiziell wird mitgeteilt: „Die Behörden des Verwaltungsgebietes Belgorod stellen das Arbeitsregime der Schulen im städtischen Bezirk Waluiki, die sich in der 15-Kilometer-Zone entlang der Grenze befinden, auf einen Fernunterricht um. Eine analoge Entscheidung ist auch im städtischen Bezirk Schebekino gefällt worden. Dort betrifft sie die 10-Kilometer-Grenzzone“.

„Kiew wird sich wohl kaum dazu entschließen, jetzt auf russisches Territorium vorzurücken. Aber der Beschuss und die Konzentration von Einheiten der Streitkräfte der Ukraine an der russischen Grenze verlangen erhebliche Verteidigungsressourcen für eine Gewährleistung der Sicherheit im Grenzstreifen“, erklärte der Militärexperte und Generalleutnant im Ruhestand Jurij Netkatschjow gegenüber der „NG“. Er betont, dass „der offensive Elan des Gegners scheinbar versiegt. Man darf sich aber nicht selbst beruhigen“. „Zur Berührungslinie der Gefechte kommen neue Verbände der ukrainischen Streitkräfte, deren strategische Absicht möglicherweise darin besteht, zu den Städten an der Asow-Küste durchzubrechen“, meint der Experte. Auf analoge Art und Weise erläutert auch der Blogger Vladlen Tatarskij die Situation. „Ein Durchbrechen der Front in der Saporoschje-Richtung und die Einnahme des Landweges zur Krim, zumindest die Erlangung einer Feuer-Kontrolle, werden die Logistik der Gruppierung in Cherson erheblich verkomplizieren. Ein Erfolg in der Saporoschje-Richtung wird im Falle eines Erreichens des Asowschen Meeres erlauben, Schläge gegen unsere Infrastruktur in der Meerenge von Kertsch zu führen“, hebt er hervor.

„Leider ziehen sich die Kampfhandlungen in die Länge. Nach einer Reihe von Fehlern der russischen Militärführung ist die Gefechtsinitiative an einer Reihe von Fronten bei der ukrainischen Seite. Die Beteiligten an der Sonderoperation brauchen erhebliche Reserven, notwendig sind eine Rotation der Truppen, die Formierung von neuen Freiwilligen-Einheiten und -Verbänden im Bestand der Streitkräfte der Russischen Föderation sowie ein Übergang zur Vernichtung kritisch wichtiger Infrastruktur-Objekte (Brücken, Überführungen, Lager von Treib-, Kraft- und Schmierstoffen sowie von Trafo-Stationen) und Logistik-Wege, um die Versorgung der Verbände der ukrainischen Streitkräfte zu erschweren oder vollkommen zu unterbrechen“, betont Netkatschjow.

Vor diesem Hintergrund diskutiert man in den sozialen Netzwerken ein Video (https://www.youtube.com/watch?v=yOtN3PllDrk), laut dem man Häftlingen in einer der russischen Strafkolonien anbietet, den Reihen von Einheiten der privaten Militärfirma „Wagner“, die gegen die sogenannten ukrainischen Nationalisten agieren, beizutreten und im Gegenzug eine Begnadigung nach einem halben Jahr zu erhalten. Netkatschjow ist der Auffassung, dass „Strafbataillone“ (aus Zeiten des Großen Vaterländischen Krieges nach deren Etablierung durch Stalin bekannt – Anmerkung der Redaktion) für ein Erreichen der Ziele der seit fast sieben Monate währenden Sonderoperation nicht stören würden. „Die hauptsächlichen Kampfaufgaben zur Zerschlagung des Feindes müssen aber reguläre Truppeneinheiten und -verbände lösen“, betont er. Vorschläge zur Erfassung von freiwilligen Reservisten hat auch das Oberhaupt der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, unterbreitet. „Wenn jede Region Russlands jeweils 1000 Freiwillige vorbereitet und ausstattet, so wird dies im Maßstab des Landes ein ernsthaftes Militärkontingent von 85.000 Menschen sein werden“, unterstrich er.

Netkatschjow lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass in der Ukraine ab den ersten Tagen der russischen militärischen Sonderoperation eine Mobilmachung erklärt worden sei. „In den ukrainischen Streitkräften reicht es an Kämpfern. Und dank der Hilfe des Westens sind sie, sagen wir es frank und frei, nicht schlecht bewaffnet und ausgebildet“. Der Experte merkt an, dass laut Angaben des ukrainischen Ministerkabinetts neben der Militärhilfe von den USA und der NATO von der Europäischen Union eine aktive militärische und finanzielle Unterstützung für Kiew erwartet werde. „Von der EU werden bereits im September fünf Milliarden Euro bis Ende des Monats nach Kiew fließen, drei Milliarden Euro – bis Ende Oktober-November. Neben den sozialen Projekten erfolgen dank solch einer Hilfe von den EU-Ländern die Finanzierung der Dienstbezüge für die Soldaten und Offiziere der ukrainischen Streitkräfte, eine Absicherung und Unterstützung der Kampfhandlungen“, sagt der Experte. Dieser Tage trat EU-Chefdiplomat Josep Borrell im Europaparlament auf, wobei er die Vertreter der Mitgliedsländer des Blocks aufrief, die Waffenlieferungen für Kiew zu aktivieren. Seine Bitte begründete Borrell damit, dass „selbst ein Tag oder eine Woche große Bedeutung besitzen“, da mit dem Beginn des Winters die Führung von Kampfhandlungen im Osten der Ukraine stark erschwert werde.

In der Ukraine an sich ist für das Jahr 2023 nach Aussagen von Premierminister Denis Schygal „ein Haushalt des Sieges formiert worden“. Der Kabinettschef erklärte, dass die „Militärausgaben im Jahr 2023 um das 4fache im Vergleich zum Haushaltsentwurf für das Jahr 2022 steigen und eine Billionen 136 Milliarden Griwna (umgerechnet etwa 30,7 Milliarden Dollar – „NG“) ausmachen werden“. Dies ist mehr als die Hälfte der Haushaltsausgaben der Ukraine.

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Kaum hatte Ramsan Kadyrow von den Regionen gefordert, mindestens jeweils 1000 Freiwillige für die Kampfhandlungen Russlands in der Ukraine zu gewinnen, meldeten sich die ersten Gouverneure mit Vollzugsmeldungen. Roman Starowoit, Gouverneur des Kursker Gebietes, erklärte am Donnerstag, dass mehr als 800 Freiwillige aus der Region an der Sonderoperation teilnehmen würden. Am Tag darauf wurde diese Zahl durch den Gouverneur von Woronesch und das Oberhaupt der russischen Teilrepublik Baschkirien in den Schatten gestellt. Aus der ersteren Region wurden bisher fast 950 Freiwillige ins Konfliktgebiet entsandt, weitere würden demnächst folgen. Und der baschkirische Republikschef Radij Chabirow informierte über 800 Freiwillige, die in zwei Bataillonen im Nachbarland Russlands im Einsatz seien. Auch hier würden weitere bald folgen. Bemerkenswert ist, dass selbst die einst ukrainische Halbinsel Krim dem Appell von Ramsan Kadyrow folgen wird. Das Oberhaupt der Halbinsel, Sergej Aksjonow, ließ verlauten, dass über 1200 Freiwillige für die Realisierung von Aufgaben im Rahmen der militärischen Sonderoperation vorbereitet wurden. Angesichts solch einer Flut von Meldungen entsteht der Eindruck, dass die Regionen regelrecht wetteifern: Wer schickt die meisten Freiwilligen in die Ukraine? Potenzial ist scheinbar vorhanden. Doch wie lange es reichen wird, ist unklar, zumal seit März das russische Verteidigungsministerium keine offiziellen neuen Zahlen über Tote und Verwundete vorgelegt hat. Würden diese bekannt werden, könnte dies eventuell als ein Dämpfer wirken.