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Kiew ist aufgrund der Gefahr einer „zweiten weißrussischen Front“ besorgt


In der letzten Zeit diskutiert man in Kiew immer aktiver die Möglichkeit einer Involvierung von Minsk in die militärische Sonderoperation der Russischen Föderation und warnt, dass die weißrussische Seite durch solch eine Wende der Ereignisse verlieren werde. Die interessierten Seiten manövrieren um diese Frage herum und versuchen, einander Angst zu machen. Unter bestimmten Bedingungen könnten die Einschüchterungsversuche zu realen Handlungen führen, erklärte der „NG“ der 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ausschusses der Staatsduma der Russischen Föderation für GUS-Angelegenheiten, Konstantin Satulin (Kremlpartei „Einiges Russland“).

Im Dezember hat man in Kiew begonnen, immer häufiger zum Thema einer möglichen Involvierung von Weißrussland in die militärische Sonderoperation der Russischen Föderation zurückzukehren. In diesem Sinn hat sich die Erklärung des Chefs der Hauptverwaltung für Aufklärung des ukrainischen Verteidigungsministeriums, Kirill Budanow, als eine symptomatische erwiesen, der im Verlauf eines TV-Marathons vom 6. Dezember versicherte, dass die weißrussische Seite nicht beginnen werde, die ukrainische anzugreifen.

„Alles, was sich bei uns im Medienraum im Zusammenhang mit der Belarus-Thematik abspielt, dies ist ein Echo der russischen Sonder-Informationsoperation. Das Hauptziel ist, Panik in der Gesellschaft zu schüren sowie unsere Kräfte und Mittel von den realen Gefechtshandlungen an der vordersten Frontlinie abzuziehen“, sagte Budanow. Und er präzisierte gleichfalls, dass gegenwärtig die russischen Militärs Mittel in die Republik Belarus schicken würden, die für die Verteidigung und nicht für eine Offensive bestimmt seien.

Dennoch schloss sich der Verbreitung panischer Stimmungen bereits am nächsten Tag auch der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte an. Wie am 7. Dezember Kiewer Medien meldeten, hätte man vor dem Hintergrund der aufgetauchten Informationen über den möglichen Beginn eines Vormarschs weißrussischer Einheiten auf ukrainisches Territorium, den Kirill Budanow bereits bestritten hatte, im Generalstab der ukrainischen Streitkräfte seinerseits versichert, dass tatsächlich in der dortigen Armee der Unmut über Präsident Alexander Lukaschenko zunehme, der nach Meinung weißrussischer Militärs imstande sei, sie in Kampfhandlungen gegen die Ukraine hineinzuziehen. Dabei unterstrich man im Generalstab, dass bisher keine Anzeichen für die Formierung von Offensiv-Gruppierungen an der nördlichen Grenze zu beobachten seien. In der Nachbarrepublik erfolgen Militärmanöver, sie werden jedoch im Rahmen der Ausbildung von Einheiten der russischen Militärs abgehalten. Übrigens, wie man erinnerte, hatte bereits Ende November der stellvertretende Chef der Hauptverwaltung für Aufklärung im ukrainischen Verteidigungsministerium, Wadim Skibizkij, darüber berichtet, dass die Gesamtzahl der russischen Militärs in Weißrussland neuntausend erreiche. Freilich hatte er damals eingeräumt, dass die erwähnten Kräfte für einen Einmarsch von weißrussischem Territorium aus oder für eine Verlegung in andere Richtungen der Front, beispielsweise in die Charkow-Richtung, eingesetzt werden könnten.

An der Stelle muss auch betont werden, dass am 24. November gleichfalls der stellvertretende Generalstabschef der Ukraine, Alexej Gromow, erklärt hatte: Eigentlich könnten theoretisch 15.000 weißrussische Militärs zusammen mit den 9000 russischen Militärs, die in Weißrussland disloziert sind, an dem militärischen Konflikt mit der Ukraine teilnehmen könnten.

Vor solch einem Hintergrund ist es schon nicht erstaunlich, dass auch das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW) erneut beschlossen hat, die aktuelle Woche mit einer Behandlung des Themas einer möglichen Involvierung der weißrussischen Seite in die Kampfhandlungen zu beginnen. Wie die ISW-Analytiker unterstrichen, werde, wenn Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko Militäreinheiten auf das ukrainische Territorium entsendet, er so sich der Unterstützung der Strukturen der bewaffneten, Rechtsschutz- und Sicherheitskräfte berauben, auf die er sich in der Zeit der Proteste im Land (im Jahr 2020) gestützt hatte. Was Lukaschenko wahrscheinlich vor die Gefahr neuer Unruhen stellen werde. Überdies begreife er wahrscheinlich, dass der ausgewiesene „Einmarsch sein Ansehen als Oberhaupt eines souveränen Landes untergraben werde, da offensichtlich werde, dass Russlands Anstrengungen zur Erlangung einer vollkommenen Kontrolle über Belarus von einem Erfolg gekrönt wurden“, heißt es in einem Bericht. Obgleich, selbst wenn dies geschehe, wie dessen Autoren hinzufügten, würden die weißrussischen Streitkräfte dennoch eine geringe Kraft bleiben, die nicht in der Lage sei, irgendeinen wesentlichen operativen Erfolg zu erreichen.

Wahrscheinlich ist doch, dass sich Minsk auf eine Fortsetzung der Hilfe für Moskau beschränken wird, darunter in Form einer Weitergabe von Materialien, die für Russland aufgrund der Sanktionen nicht zugänglich sind, oder in der weiteren Bereitstellung seines Territoriums und des Luftraums für eine Nutzung durch die Armee der Russischen Föderation. Zur gleichen Zeit könne auch durch die Übergabe von 122 T-72A-Panzern an die russischen Militärs durch Minsk – vermutlich unter dem Vorwand deren Entsendung für eine Modernisierung in der Russischen Föderation – die materielle Fähigkeit der weißrussischen Einheiten nachlassen, eigene konventionelle militärische Operationen zu führen, warnte die Analytiker aus dem ISW. Und sie resümierten, dass Russland heute aktive Informationskampagnen durchführe, die dazu bestimmt seien, von der Wahrscheinlichkeit eines Beitritts weißrussischer Militärs zu russischen Formationen zu überzeugen, um die ukrainischen Streitkräfte von anderen Frontabschnitten abzulenken.

Bemerkenswert ist, dass bereits am 4. Dezember das im turnusmäßigen Bericht des ISW angesprochene Thema unter einem anderen Blickwinkel dargestellt wurde. Wie damals erklärt wurde, werde die weißrussische Seite, obgleich während der Begegnungen mit dem weißrussischen Amtskollegen aber auch mit Präsident Lukaschenko der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu versucht hätte, auf Minsk Druck auszuüben, um es zu veranlassen, sich einer russischen Angriffskampagne anzuschließen, dies wohl kaum Aufgrund innerer Ursachen tun.

Jedoch: Durch was ist dennoch eine derartige Aktivierung der Informationen zum vorgegebenen weißrussischen Thema ausgelöst worden, die (die Meldungen – „NG“) bei all ihrer Widersprüchlichkeit dazu berufen sind, das Interesse für die zu diskutierende Problematik aufrechtzuerhalten? Und befürchtet man in Kiew wirklich irgendwelche Überraschungen von der weißrussischen Seite? Oder wird man weiter immer neue Warnungen für sie nur als eine präventive Maßnahme formulieren?

Wie der bereits erwähnte Konstantin Satulin aus der Staatsduma gegenüber der „NG“ erklärte, würde man in Kiew zumindest befürchten, dass vom Territorium Weißrusslands aus eine Offensive gegen das ukrainische Territorium vorgenommen werden könne. Es genügt, auf die Landkarte zu schauen, um sich davon zu überzeugen: Kiew ist ganz und gar nicht weit. Außerdem könnten, wenn Weißrussland selbst oder russische Einheiten von dessen Territorium aus eine Offensive durchführen würden, leicht die Kommunikationsverbindungen für die Lieferungen westlicher Waffen an die Frontlinie, die im großen Umfang über die polnisch-ukrainische Grenze erfolgen, unterbrochen werden. „Natürlich ist auch nicht unbemerkt der Beginn der militärischen Sonderoperation der Russischen Föderation erfolgt, als russische Truppen aus Weißrussland (in die Ukraine – „NG“) einrückten. Später aber war ihr Vorankommen auf dem ukrainischen Territorium in die Bredouille geraten. Und weiter, nach den Verhandlungen vom 29. März in Istanbul war bekanntgegeben worden, dass die russische Seite – ausgehend von einem guten Willen – entschieden hätte, ihre Formationen von dieser Richtung abzuziehen. Ich weiß nicht, inwieweit solch eine Entscheidung von einem guten Willen oder einer erzwungenen Notwendigkeit diktiert wurde. Augenscheinlich war da aber nicht alles ausreichend durchdacht konzipiert worden, damit die Militärs der Russischen Föderation einen großangelegten Erfolg erreichen“, meinte Satulin.

So oder so, fuhr er fort, fürchte man in Kiew gegenwärtig eine Wiederholung. Und in diesem Zusammenhang hat man das Augenmerk auch auf die im Oktober bekanntgegebene Entscheidung über die Bildung einer Gemeinsamen (Truppen-) Gruppierung der Russischen Föderation und Weißrusslands, in dem man auch für sich eine Bedrohung ausgemacht hat, gelenkt. Bekanntlich hat Kiew nicht wenige Kräfte und Mittel in die Befestigung der Grenze in dieser Richtung investiert. Dabei wird die Position von Minsk an sich sowohl durch innere als auch außenpolitische Aspekte vorausbestimmt. Die Republik Belarus kann nur als ein Verbündeter Russlands auftreten.

Andererseits gibt es aufgrund einer ganzen Reihe von Ursachen auch keine Gewissheit, dass die weißrussischen Offiziellen real eine direkte Beteiligung an der Militäroperation planen. Es ist offensichtlich: Heute manövrieren alle interessierten Seiten – inklusive der westlichen Vertreter – um diese Frage. Wobei alle begreifen, dass eine direkte Involvierung von Weißrussland in die militärische Sonderoperation Russlands gegen die Ukraine den Beginn einer neuen Etappe bedeuten würde. Und auf solch eine Möglichkeit bereite man sich vor. Eine Involvierung von Minsk erscheine als eine durchaus motivierte. Denn, so sehr man sich auch bemühen mag, den weißrussischen Spitzenvertretern zu versichern, dass, wenn sie sich einer Teilnahme an der Operation der Russischen Föderation enthalten würden, die Haltung zu ihnen besser werde, ist klar, dass keinerlei Amnestie vorgesehen ist. Derweil verstärkt Kiew immer mehr seine Rhetorik, und die ukrainischen Militärs streben bereits danach, Schläge in der Tiefe Russlands zu führen. Und der Chef des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine, Alexej Danilow, schickt sich gar an, das gesamte Territorium der Russischen Föderation bis nach Wladiwostok zu attackieren. Jede Seite versucht, der anderen Angst zu machen. Und zu irgendeinem Zeitpunkt könnten derartige Versuche, Angst zu machen, zu realen Handlungen ausufern, resümierte der Parlamentarier.

In den von ihm skizzierten Kontext fügen sich durchaus auch die regelmäßig in ukrainischen Medien auftauchenden Meldungen, wonach beispielsweise auf den Präsidenten Weißrusslands (den Kiewer Journalisten gewöhnlich als „nichtanerkannten Präsidenten“ oder „weißrussischen Diktator“ bezeichnen) ein Attentat vorbereitet werde, um doch die weißrussische Seite in den militärischen Konflikt hineinzuziehen. Wobei das ausgewiesene Szenario von Analytikern des Robert Lansing Institutes (eine in den USA ansässige NGO, die sich als ein Think Tank versteht – Anmerkung der Redaktion) mit Andeutungen dahingehend begleitet wurde, dass auch der plötzliche Tod von Weißrusslands Außenminister Wladimir Makej bei weitem kein zufälliger gewesen sei. Derweil tauchten am Montag neue Informationen des ukrainischen Zentrums für nationalen Widerstand auf, wonach man in weißrussischen Unternehmen angeblich für die eigenen Militärs Geld sammele, tatsächlich würde es aber für den Erwerb von Ausrüstungen für die russische Armee eingesetzt werden.

In Bezug auf Weißrussland, kommentierte Konstantin Satulin, würde sich die ukrainische Seite bemühen, gleichzeitig einen gutherzigen und bösen Untersuchungsbeamten zu spielen. Einerseits sage man in Kiew, dass es keinerlei Probleme mit Minsk habe, andererseits aber würde man Präsident Lukaschenko als einen Feind und Diktator bezeichnen. Dabei nehme die Führung Kiews, obgleich sie in ihren Handlungen kein Maß kenne, rücksichtsvoll die Signale von den westlichen Partnern auf. Die ukrainischen Offiziellen würden keine Selbständigkeit besitzen. Sie würden sich auch hinsichtlich Weißrusslands von den Entscheidungen des Westens leiten lassen, merkte der 1. Stellvertreter des Staatsduma-Ausschusses für GUS-Angelegenheiten, Konstantin Satulin, an und wiederholte damit ein Narrativ, das in Moskau schon mehr als nur eine Beschwörungsformel geworden ist.

Es sei daran erinnert, dass Alexander Lukaschenko selbst bereits Anfang Dezember gegenüber Journalisten erklärte, dass alle bewaffneten Institutionen in Minsk eine Zunahme der Anzahl von Provokationen in der Nähe der Staatsgrenze feststellen würden. Wahrscheinlich versuche die Ukraine unter jeglichem Vorwand, Truppen von NATO-Mitgliedsstaaten in den Konflikt hineinzuziehen, präzisierte der Präsident. Nach seinen Worten sei dies auch durch den kürzlichen Zwischenfall mit dem Herunterstürzen einer ukrainischer Rakete auf polnisches Territorium bestätigt worden.