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Kiew verspricht den Krimtataren ein Recht auf Selbstbestimmung


In der nächsten Zeit wird die Werchowna Rada (das ukrainische Parlament) den durch Präsident Wladimir Selenskij vorgelegten Gesetzentwurf „Über die indigenen Völker der Ukraine“ behandeln. In dem Dokument ist ausgewiesen worden, dass diesen Status die Krimtataren, die Karäer (turksprachige Volksgruppe karäischer Religion) und die Krimtschaken (auf der Krim ansässige turksprachige Minderheit jüdischen Glaubens) erhalten werden. Wahrscheinlich wird das neue Gesetz im Rahmen der Vorbereitung zur für Ende August geplanten internationalen Konferenz „Krim-Plattform“ verabschiedet.

Bereits zu Jahresbeginn hatte der ukrainische Außenminister Dmitrij Kuleba in einer Sendung des TV-Kanals „Ukraina 24“ erläutert, was das ist, die „Krim-Plattform“. „Dies ist ein internationaler Koordinierungsmechanismus. In seinem Rahmen werden die Staaten (die Partner der Ukraine – „NG“) ihre Anstrengungen koordinieren, die auf einen Schutz der Menschenrechte auf der Krim, auf die Bewahrung und Verstärkung des Sanktionsregimes und auf andere Maßnahmen abzielen, die eine Deokkupation der Halbinsel fördern werden“. Später präzisierte Kuleba, welche Ziele sich die ukrainischen Offiziellen stellen: „Erstens ist dies, die Krim auf die Liste der Fragen der internationalen Tagesordnung zurückzuholen… Zweitens, um alle Anstrengungen zu systematisieren, von politischen Erklärungen bis hin zu Sanktionsbeschlüssen, und um einen Mechanismus zu haben, der erlauben wird, alle weißen Stellen bzw. Leerstellen in diesem systematischen Regime der Ausübung von Druck auf den Aggressor-Staat auszumerzen. Die „Krim-Plattform“ wird die Regierungen und Parlamente der Staaten, internationale Experten und internationale gesellschaftliche Vereinigungen um ein gemeinsames Ziel – die Deokkupation der Krim – vereinen“.

Zum Frühjahrsbeginn verabschiedete der Rat für nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine eine Strategie zur Deokkupation der Krim, und Präsident Wladimir Selenskij hat sie bestätigt. In dem für ein Studium offenen Teil des Dokuments geht es nicht darum, wie und wann die Ukraine sich anschicke oder eine Rückkehr der Halbinsel unter ihre Kontrolle für eine mögliche halte, sondern darum, wie sich die Situation bereits nach dem Erhalt solch einer Kontrolle durch Kiew entwickeln werde. „Dies ist das erste fundamentale Dokument seit der Zeit der Okkupation der Halbinsel Krim durch die Russische Föderation. Dies ist ein klarer Wegweiser dafür, auf welche Weise wir in den Fragen der Deokkupation der Krim handeln werden“, versicherte Alexej Danilow, Sekretär des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung.

Die durch die ukrainischen Offiziellen ausgearbeitete Strategie kann im Rahmen der „Krim-Plattform“ erörtert werden. Die erste Zusammenkunft im Rahmen dieses Formats ist für den 23. August geplant, am Vorabend der Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Unabhängigkeit der Ukraine. Präsident Wladimir Selenskij sagte im Verlauf seiner Pressekonferenz am 20. Mai, dass an der Veranstaltung Vertreter von drei Dutzend Staaten teilnehmen würden. Die ukrainische Seite habe vor, auch Russland einzuladen, hatte früher der Außenminister mitgeteilt. „Es wird eine Einladung an die Russische Föderation geben, sich der „Krim-Plattform“ anzuschließen und Verhandlungen hinsichtlich einer Deokkupation der Krim aufzunehmen“.

Die Reaktion der russischen Seite ist voraussagbar. Zuvor hatte die Sprecherin des russischen Außenamtes Maria Sacharowa erklärt, dass die Anstrengungen Kiews hinsichtlich eines Zurückholens der Krim unter seine Kontrolle nicht legitime seien und „nicht anders als eine Aggressionsandrohung aufgefasst werden können“. „Wir erinnern noch einmal daran, dass wir eine Teilnahme jeglicher Länder und Organisationen an solchen Handlungen inkl. der Initiative „Krim-Plattform“ als einen gegenüber Russland unfreundlichen Schritt und als einen direkten Angriff auf die territoriale Integrität der Russischen Föderation ansehen werden“, sagte Sacharowa.

Das neue ukrainische Gesetz über die indigenen Völker könne aus der Sicht der westlichen Partner die Positionen Kiews verstärken. Die Krimtataren hatte viele Jahre versucht, die Annahme solch eines Gesetzes zu erreichen. Doch alle bisherigen ukrainischen Offiziellen hatten sich früher auf Versprechungen beschränkt. Wladimir Selenskij registrierte dieser Tage die Gesetzesvorlage, wobei er sie mit einem Kommentar begleitete. „Ich bin davon überzeugt, dass die Abgeordneten den Gesetzentwurf in kürzester Frist behandeln und den Status der indigenen Völker der Ukraine … endlich verankern werden und das tun, was sie im Verlauf von 30 Jahren acht Zusammensetzungen der Werchowna Rada und alle Präsidenten auf die lange Bank geschoben hatten“.

In den Begleitdokumenten zum Gesetzentwurf wird betont, dass in den Normen des Völkerrechts und in einzelnen ukrainischen Gesetzen der Begriff „indigenes Volk“ verwendet werde. Was dies aber bedeute, sei in der Gesetzgebung nicht definiert worden: „Mehr noch, in der Ukraine fehlt ein spezielles Gesetz, das den Rechtsstatus eines indigenen Volks bestimme und klare Garantien für eine Realisierung des Rechts auf Selbstbestimmung durch letzteres festlege“. Gerade dieses Recht hätte früher in der Ukraine viele Streits und Befürchtungen hinsichtlich eines Separatismus ausgelöst. Jetzt sei die Situation eine völlig andere.

In dem von Selenskij unterbreiteten Gesetzentwurf heißt es, dass als ein indigenes Volk der Ukraine „eine autotochthone ethnische Gemeinschaft anerkannt wird, die sich auf dem Territorium der Ukraine herausgebildet hat, die Träger einer eigenständigen Sprache und Kultur ist, traditionelle soziale, kulturelle oder repräsentative Organe besitzt, sich als ein alteingesessenes Volk der Ukraine begreift, eine ethnische Minderheit im Bestand deren Bevölkerung darstellt und kein eigenes staatliches Gebilde außerhalb der Ukraine hat“. Dieser Definition entsprechen gemäß dem Gesetzentwurf die Krimtataren, die Karäer und Krimtschaken.

Experten betonen, dass die Vertreter aller anderen Völker, die auf dem Territorium der Ukraine leben, ihre nationalen Staaten haben (zum Beispiel ist die historische Heimat der Russen Russland) und daher den Status nationaler Minderheiten besitzen. Die Offiziellen versprechen, ein Gesetz „Über die nationalen Minderheiten“ auszuarbeiten und zu bestätigen. Bisher gibt es aber kein solches Dokument. Der Abgeordnete der Werchowna Rada Rustem Umerow sagte in einem Interview des TV-Kanals „Dom“ („Das Haus“), das man im ukrainischen Parlament solch eine Unterteilung nach „indigene Völker“ und „nationale Minderheiten“ unterstütze. „Als nationale Minderheiten werden die Völker angesehen, die auf dem Territorium der Ukraine leben. Sie können Bürger der Ukraine sein, sie können in der Ukraine geboren sein, aber sie haben eine historische Heimat. Die indigenen Völker haben keine andere historische Heimat außer der Ukraine… Der Gesetzentwurf wird die Möglichkeit geben, die Kultur, die Lebensweise und das Erbe des (jeweiligen) indigenen Volkes zu bewahren“.

Es sei betont, dass die Werchowna Rada bereits früher in der Gesetzgebung Klauseln hinsichtlich der Rechte der indigenen Völker eingefügt hatte. In den Gesetzentwürfen über das Bildungswesen, die einen Übergang zur Ausbildung hauptsächlich in ukrainischer Sprache vorsehen, ist separat gesagt worden, dass diese Norm nicht die indigenen Völker betreffe. In den Schulen, in denen die Kinder von Krimtataren, Karäern und Krimtschaken ausgebildet werden, der Unterricht in den Muttersprachen der Kinder erfolgen können. Dabei sei die ukrainische Sprache ein obligatorisches einzelnes Unterrichtsfach.

Nun gehen die ukrainischen Offiziellen weiter und haben vor, das Recht der indigenen Völker auf den Status eines Subjekts zu definieren. Dies bedeutet, dass gemäß Artikel 2 des präsidialen Gesetzentwurfs solche Völker „ein Recht auf Selbstbestimmung in der Ukraine haben, ihren politischen Status im Rahmen der Verfassung und der Gesetze der Ukraine festzulegen sowie frei ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung vorzunehmen“. Was die Selbstbestimmung angeht, so wird in dem Entwurf präzisiert, dass die indigenen Völker „das Recht auf Selbstbestimmung in den Fragen haben, die ihre inneren Angelegenheiten betreffen, darunter hinsichtlich der Wege der Schaffung repräsentativer Organe“. Der Staat Ukraine garantiert, dass er diese Organe anerkennt (sagen wir einmal die Medschlis des krimtatarischen Volkes). Sie dürfen aber ausschließlich in den Grenzen der Verfassung und der Gesetze der Ukraine geschaffen werden und handeln. Das heißt, es wird auf jeden Fall um keine Proklamierung der Unabhängigkeit und eine Loslösung von der Ukraine gehen. Kiew verspricht faktisch den Krimtataren, aber auch den kleinen Gruppen der Karäer und der Krimtschaken, dass im Falle einer Rückkehr der Krim unter die ukrainische Jurisdiktion sie umfangreiche Rechte in der historischen Heimat erhalten werden.