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Kiew versucht, das Krim-Thema wieder auf die internationale Tagesordnung zurückzubringen


In der Ukraine hat man einen positiven Aspekt darin gefunden, dass Joseph Biden Wladimir Selenskij am 30. August empfangen wird, bereits nach den Festlichkeiten aus Anlass des 30. Jahrestages der Unabhängigkeit der Ukraine. Die Position Selenskijs werde der im Rahmen der Feierlichkeiten geplante Gipfel „Krim-Plattform“ verstärken, ist Außenminister Dmitrij Kuleba überzeugt. In dieser Woche ist er zusammen mit dem Leiter des Office des ukrainischen Präsidenten, Andrej Jermak, in Washington.

Kuleba und Jermak trafen sich mit dem Berater des US-Präsidenten für nationale Sicherheitsfragen Jacob Sullivan. Auf den Plänen standen gleichfalls Gesprächen mit Senatsmitgliedern sowie Begegnungen mit Mitarbeitern einflussreicher amerikanischer analytischer Zentren. Und das Wichtigste – mit US-Außenminister Anthony Blinken, das am Donnerstagabend Ortszeit erfolgte und von dem in erheblichem Maße die Tagesordnung der anstehenden Gespräche Bidens und Selenskij abhängt. „Wir bereiten den USA-Besuch des Präsidenten der Ukraine vor. Dieser Besuch wird große Bedeutung für die weitere Entwicklung der ukrainisch-amerikanischen Beziehungen haben“ hatte Andrej Jermak in den sozialen Netzwerken geschrieben.

Dmitrij Kuleba akzentuiert die Aufmerksamkeit darauf, dass Selenskij nach Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel zum zweiten Spitzenvertreter eines Staates werde, den der Präsident der Vereinigten Staaten zu einem Besuch nach Washington eingeladen habe. Bekanntlich hatte man sich in Kiew aufgrund dessen Sorgen gemacht, dass Biden nach dem Wahlsieg mehrere Monate lang ein Telefonat mit Selenskij hinausgeschoben hatte. Der amerikanische Präsident rief am Vorabend seiner Genfer Begegnung mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin an. Und in eben diesem Telefonat hat er auch Selenskij zu einem Besuch nach Washington eingeladen. Im Juni wurde die Auffassung vertreten, dass die Reise noch im Juli erfolgen werde. Später sprach man von Anfang August. Auf jeden Fall war angenommen worden, dass Biden und Selenskij Gespräche vor den Feiern zum 30. Jahrestag der Unabhängigkeit führen würden. Die Feierlichkeiten und eine Militärparade in Kiew sind für den 24. August geplant. Und am 23. August, am Tag der ukrainischen Flagge, soll die Gründungsversammlung der „Krim-Plattform“ erfolgen. Die Einladung für Selenskij, Washington zu besuchen, ging für den 30. August ein.

Der ukrainische Außenminister ist der Meinung, dass dies nicht schlecht sei. „Wichtig ist, dass der Präsident (Selenskij) in einer starken Position in die Vereinigten Staaten reist, gleich nach dem großen internationalen Ereignis in der Geschichte der Ukraine, dem Gründungsgipfeltreffen der „Krim-Plattform“, zu dem über drei Dutzend unserer Partner nach Kiew kommen werden, unter anderem eine hochrangige Delegation aus den USA“. Bekannt ist bereits, dass die amerikanische Delegation Transportminister Pete Buttigieg leiten wird, dessen Status bis zu einem offiziellen Vertreter des US-Präsidenten verstärkt wird. Die endgültige Liste der Teilnehmer steht bisher nicht fest. Es werde aber erwartet, wie Dmitrij Kuleba sagte, dass sie den „Kern einer internationalen Koalition für eine Befreiung der Krim“ bilden würden. Wladimir Selenskij erläuterte dieser Tage, wozu er die „Krim-Plattform“ nach Kiew einberufe. „Wir bringen die Krim auf die internationale Tagesordnung zurück, um sie nach Hause, in die Ukraine, zu holen. Ihre Teilnahme an dem Summit haben bis zum heutigen Tag die USA, Großbritannien, Polen, die Türkei, Frankreich, Deutschland, Australien, Neuseeland, Südkorea, die Länder des Baltikums und andere bestätigt. Es werden viele Länder der Europäischen Union sein… 29 Länder. Dies ist eine große und keine endgültige Liste aller Teilnehmer, die am 23. August eine gemeinsame Deklaration über Vereinbarungen und Absichten unterzeichnen werden. Es muss für immer vergessen werden, dass die Ukraine die Krim vergisst. Die Ukraine wird die Krim-Frage nur in einem Fall nicht ansprechen, wenn die Flagge der Ukraine auf der Krim gehisst wird“.

Wladimir Selenskij hatte sich bereits in der Zeit des Wahlkampfes des Jahres 2019 darüber erstaunt gezeigt, dass man die Situation im Donbass im Normandie-Format und bei den Minsker Verhandlungen diskutiere, die Krim aber überhaupt nicht auf der Tagesordnung stehe. Er wollte die Situation verändern, ungeachtet dessen, dass die russische Führung öffentlich erklärte: Die Frage nach der Zugehörigkeit der Krim sei abgeschlossen und könne nicht diskutiert werden. In der Zeit der Präsidentschaft von Petro Poroschenko hatte man in Kiew das Risiko dessen berücksichtigt, dass die russische Seite aus den Donbass-Verhandlungen aussteigen könne, wenn man die Krim auf die Tagesordnung setze. Selenskij schenkt solch einer Gefahr keine Beachtung. Bei seinem Auftritt vor der UNO im vergangenen Herbst sprach er von der Notwendigkeit der Schaffung einer internationalen Verhandlungs- bzw. Gesprächsplattform zur Erörterung der Krim-Problematik.

Im Februar dieses Jahres unterzeichnete der ukrainische Präsident den Erlass „Über einzelne Maßnahmen zur De-Okkupation und Reintegration des zeitweilig okkupierten Territoriums der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol“. In diesem Dokument wurde über die Bildung eines Organisationskomitees zur Vorbereitung und Durchführung eines Summits zur Gründung der „Krim-Plattform“ gesprochen. Im März erklärte dazu die offizielle Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa: „Wir erinnern noch einmal daran, dass wie die Teilnahme jeglicher Länder und Organisationen an solchen Aktionen inkl. der Initiative „Krim-Plattform“ als einen gegenüber Russland unfreundlichen Schritt, als einen direkten Angriff auf dessen territoriale Integrität ansehen werden“. Die letzten Erklärungen Selenskij kommentierend, schrieb der Vorsitzende der Staatsduma (das russische Unterhaus – Anmerkung der Redaktion) Wjatscheslaw Wolodin, dass es für den ukrainischen Präsidenten besser sei, keine derartigen Erklärungen abzugeben. „Wenn Selenskij unter „Liebe“ eine Wasser-, Energie-, Transport-, Lebensmittel- und Finanzblocke versteht, die er den Bewohnern der Krim erklärte, so ist dies keine Liebe, sondern ein Genozid. Überlegen Sie einmal, was mit den Bewohnern der Krim ohne Lebensmittel und Wasser passieren könnte“.

In der Ukraine ist auf der Ebene der Gesetzgebung festgelegt worden, dass sich mit der Versorgung des Territoriums, das Kiew als ein „zeitweilig okkupiertes“ anerkennt, der „Okkupanten-Staat“ befassen müsse. Dabei gestehen Beamte inoffiziell ein, dass die Haltung der russischen Seite die Entscheidungen einzelner Länder, die eine Einladung zu dem Summit erhalten haben, beeinflusse. Daher wird der Inhalt des Abschlussdokuments, das laut Plan am 23. August in Kiew unterschrieben werden soll, bisher nicht preisgegeben. Der ukrainische Außenminister hatte vor der Washington-Reise betonte, dass auf vielen Ebenen Arbeit geplant sei. „Wir entwickeln gegenwärtig eine langfristige Konzeption für die Tätigkeit der Plattform in Bezug auf fünf vorrangige Richtungen: eine Politik der Nichtanerkennung (des russischen Status der Krim – „NG“), Sanktionen, die Sicherheit in der Region des Asowschen und des Schwarzen Meeres, der Schutz der Menschenrechte und des internationalen humanitären Rechts (auf der Krim – „NG“), ökologische und wirtschaftliche Folgen der russischen Krim-Okkupation“.

Die erklärten ambitionierten Pläne können sich nicht mit den finanziellen Möglichkeiten der Ukraine decken. Eine Diskussion zu diesem Thema wurde in Kiew nach einem Interview des 1. Stellvertreters des Außenministers Emine Dschaparowa (Japarova) entfacht. Sie hatte ihre Worte in einem Kommentar für die Nachrichtenagentur UNN (Ukrainische nationale Nachrichten) präzisiert. „Wir möchten sehr gern, dass dieses Format (die „Krim-Plattform“ – „NG“) ein alljährliches ist… Dies ist ein neues Format, das wir bis zur vollständigen De-Okkupation entwickeln werden. Wir sind bereit, die Aufgaben der „Krim-Plattform“ mit den Möglichkeiten der UNO zu synchronisieren“.

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Derweil hat der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Freitag bei einem Treffen mit Krasnojarsker Journalisten die Erklärungen des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij, wonach die Krim zu einer ukrainischen werde, kommentiert. Unter Verweis auf eine Anekdote aus dem ukrainischen Odessa (wo Russisch dialektgefärbt gesprochen wird, so dass sich mitunter Wortspiele ergeben) erklärte er: „Die Führungskräfte der Ukraine kommen und gehen. Die Krim aber war, ist und wird russisch sein“, wobei Schoigu offensichtlich den ukrainischen Status der Krim in den Sowjetzeiten und nach dem Zerfall der UdSSR( nach Chruschtschows Entscheidung 1954,was von der russischen offiziellen Seite oft als rechtswidrig bezeichnet ist) unter den Tisch fallen ließ . Die russische Nachrichtenagentur INTERFAX nutzte im Zusammenhang mit den Aussagen des russischen Ministers die Gelegenheit und skizzierte kurz die Entwicklung der Halbinsel nach den Ereignissen vom März des Jahres 2014. In einer entsprechenden Meldung heißt es: „Russlands Verteidigungsministerium hat innerhalb weniger Jahre die Truppengruppierung auf der Krim erheblich verstärkt, unter anderem durch weitreichende Luftabwehrsysteme S-400. Die Verteidigung der Halbinsel gewährleisten Schiffe der Schwarzmeerflotte, die Luftstreitkräfte der Marine und der Luftabwehr. Auf der Krim ist ein Armeekorps gebildet worden, zu dem Verbände der Küstenverteidigung, der Aufklärung, Artillerieeinheiten, Einheiten der Luftabwehr, der Pioniertruppen und Rückwärtigen Dienste, des Strahlungs-, chemischen und biologischen Schutzes, der Nachrichtentruppen und andere gehören. Auf der Halbinsel gibt es an der Küste stationierte moderne Schiffsabwehrraketenkomplexe „Ball“ und „Bastion“. Nach Einschätzung der Militärs, sei auf der Krim eine Gruppierung gebildet worden, die in der Lage sei, den Schutz vor allen Bedrohungen zu gewährleisten“, schreibt die Moskauer Agentur und erinnert daran, dass bei Sewastopol eine neue Radarstation vom Typ „Woronesch-M“ im Rahmen des russischen Frühwarnsystems in Bezug auf mögliche Raketenangriffe errichtet werde, die das Mittelmeer und den zentralen Teil des Atlantischen Ozeans „sehen“ werde.