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Kirigisien am Rande eines Energiemangels


Kirgisien ist am Rande einer Energiekrise. Aufgrund des Wassermangels im Toktogul-Stausee wird die Republik im Verlauf des nächsten Jahres gezwungen sein, Elektroenergie zu importieren. Die Behörden von Kirgisien haben Verhandlungen mit Kasachstan, Turkmenistan und Tadschikistan aufgenommen.

Bischkek beabsichtige, eine Milliarde kWh Strom zu erwerben. Diese Menge müsse bis April 2021 reichen, um den Mangel an Elektroenergie im Land zu überwinden. Das teilte Aitmamat Nazarov, der Chef Nationalen Energieholding, auf einer Pressekonferenz am 27. Mai in Bischkek mit. Erzielt sei bereits eine Vereinbarung über die Lieferung von 500 Millionen kWh aus Kasachstan. Außerdem sei laut Aussagen von A. Nazarov im Jahr 2020 geplant, Elektroenergie zwischen Kirgisien und Kasachstan in einem Umfang von 300 Millionen kWh auszutauschen. Gleichfalls, so Nazarov, würden Verhandlungen über Stromlieferungen aus Tadschikistan und Turkmenistan nach Kirgisien laufen. „Die Kosten der zu importierenden Elektroenergie werden höher sein als der Preis für die Bevölkerung. Doch der Tarif wird nicht angehoben. Wir finden andere Quellen. Zu Lasten anderer Verbraucher decken wir die Kosten ab“, zitiert das Internetportal tazabek.kg den Chef der Holding. 

Ursache des Stromdefizits ist der Wassermangel in den Flüssen. Die Stauseen werden nicht mit der erforderlichen Geschwindigkeit aufgefüllt, wodurch die Erzeugung von Elektroenergie durch die Wasserkraftwerke zurückgeht. Die sogenannte wasserarme Periode wird in der Republik alle drei bis fünf Jahre beobachtet, danach nimmt sie zyklisch zu.

Der Berater von Kirgisiens Premierminister, Kubat Rachimow, ist der Auffassung, dass die Situation eine normale sei. „Die Umleitungen von Elektroenergie, das ist eine normale Praxis, die in den Jahren der Sowjetunion zu Zeiten des Funktionierens des Vereinigten mittelasiatischen Energiesystems existierte. Überbleibsel dieses Systems gibt es auch heute noch. Es gibt ein Koordinierungsorgan, das Koordinations- und Dispatcherzentrum „Energia“, das sich in Taschkent befindet“, sagte Kubat Rachimow der „NG“. Er betonte, dass der Anstieg des Stromverbrauchs direkt mit der Zunahme der Bevölkerung und der Entwicklung der Wirtschaft zusammenhänge. 

Der Experte erläuterte, dass in Kirgisien die Struktur der Stromerzeugung direkt mit dem Haupterzeuger, dem Toktogul-Wasserkraftwerk, verbunden sei, an dem bis zu 19 Milliarden Kubikmeter Wasser akkumuliert würden. Es gebe Zeiten eines geringen Zuflusses von Wasser. Und da würden sich die Energetiker absichern, indem sie Strom bei den Nachbarn kaufen, unter anderem von Kasachstan, das ihn in seinen Wärmekraftwerken erzeuge.  

Außerdem müsse man die Regulierung des Wasserabflusses und die Vereinbarung bei der Einhaltung der Wasser- und Energie-Bilanz berücksichtigen. Die Länder der Unterläufe – Usbekistan, Kasachstan und Turkmenistan – befinden sich in einer Abhängigkeit von Tadschikistan und Kirgisien. Daher gebe es nichts Schlechtes daran, dass Kirgisien Elektroenergie verkaufe oder kaufe. „Wir könnten keinen Strom kaufen und das Wasser entsprechend unseren Bedürfnissen ablassen, doch dann geraten deren Bewässerungssysteme in keinen Rhythmus mit den landwirtschaftlichen Zyklen. Dies haben wir bereits durchgemacht. Ich bin der Auffassung, dass man die Arbeit zur Synchronisierung des gemeinsamen mittelasiatischen Energiesystems fortsetzen und sehr akkurat bei den Projekten vom Typ CASA-1000 sein muss“, betonte K. Rachimow. 

Kirgisien ist einer der Beteiligten des Energieprojektes der Weltbank CASA-1000 für die Lieferung von Elektroenergie nach Pakistan und Indien. Geplant war, dass Tadschikistan und Kirgisien in der Sommerzeit Strom nach Afghanistan, Pakistan und Indien für 9 Cent je Kilowattstunde exportieren können. Afghanistan ist jedoch aus dem Projekt ausgestiegen und wurde zu einem Transitland, mit dem man sich separat einigen muss. Und der Preis für eine Kilowattstunde in Pakistan fiel bis auf 5,5 Cent. Dies ist schon nicht so vorteilhaft. Und mehr noch, wie Kubat Rachimow unterstrich, man müsse flexibel hinsichtlich der Wasser- und Energie-Balance sein. Die Interessen der Länder Zentralasiens könnten in eine ungute Abhängigkeit von den Verpflichtungen hinsichtlich der Stromlieferung nach Pakistan geraten. „Das ist wie mit dem Erdöl und Gas: Take or pay! Da ergibt sich, dass wir verpflichtet sein werden, einen gewissen signifikanten Umfang an Elektroenergie zu liefern, den Kirgisien und Tadschikistan aufgrund unterschiedlicher Umstände nicht gewährleisten können. Es kann ein Interessenskonflikt auftreten. Und selbst die Weltbank wird uns nicht helfen können“, meint K. Rachimow. 

Daher müsse man seinen Worten zufolge die Beziehungen zur Ausgleichung der Wasser- und Energie-Balance in Mittelasien intensivieren und schrittweise neue Kapazitäten in Betrieb nehmen. Usbekistan realisiert ein Projekt zur Errichtung eines Kernkraftwerkes. Kirgisien, das in der Region die zweitgrößten Kohlevorräte besitzt, kann Vorhaben zum Bau von Wärmekraftwerken vorschlagen. Nicht endgültig zu Grabe getragen sind die Hoffnungen auf eine komplette Verwirklichung der Projekte hinsichtlich des Kambar-Ata-Wasserkraftwerks und der Kaskade von Wasserkraftwerken am Oberlauf des Flusses Naryn. „Es gibt aber drei Faktoren, die die Entwicklung der Branche bremsen: die Tarife, die Ökologie und die fehlende Möglichkeit, die Auslandsschulden zu vergrößern. Gebraucht wird eine schrittweise Reform, der sich die Regierung Kirgisiens am ehesten bereits nach den Parlamentswahlen (die am 4. Oktober stattfinden sollen – Anmerkung der Red.) annehmen wird“, sagte K. Rachimow gegenüber der „NG“.