Am 2. Dezember wird im Kreml ein Treffen von Wladimir Putin mit zwei dem US-Präsidenten Donald Trump am nächsten stehenden Abgesandten erwartet. Zu Gesprächen kommen Steve Witkoff und Jared Kushner, der Schwiegersohn des amerikanischen Präsidenten, nach Moskau. Sie gelten als die Hauptarchitekten der Gaza-Friedensabkommen zwischen Israel und den Palästinensern.
Die Erwartungen hinsichtlich der anstehenden Gespräche sind konträre. Die einen sind von einem baldigen Ende der „militärischen Sonderoperation“ überzeugt. Andere – davon, dass nichts herauskommen und alles weitergehen werde.
Fast vier Jahre dauert die sogenannte militärische Sonderoperation Russlands in der Ukraine an. Es hat da viele Veränderungen im Leben gegeben. Es herrschen viel Müdigkeit und viel Polarisierung in der Gesellschaft. Das gleiche vollzieht sich auch in der Welt. In Europa ganz bestimmt.
Es scheint, dass sich in diesen Jahren der Kontext des internationalen Existierens von Russland radikal verändert hat. Das gestrige Leben gibt es nicht mehr. Und dies wird es nie wieder geben. Eine Normalisierung ist möglich, aber auf anderen Grundlagen.
Irgendwie haben alle vergessen, dass das Ausgangsmotiv Putins bei Beginn der militärischen Sonderoperation in der Notwendigkeit bestand, die existenziellen Bedrohungen für Russland, die von der NATO ausgehen, abzuwehren. Das Einkesseln Russlands durch neue Mitglieder dieser Militärallianz, die von ihrem Wesen her aus der Sicht Moskaus eine antirussische ist, trug den Charakter einer extremen Feindseligkeit und unerträglichen Frechheit.
Der Westen hatte es abgelehnt, mit Putin das gesamte Spektrum an Fragen zu erörtern, die mit dem Problemen der Gewährleistung der Sicherheit Russlands zusammenhängen. Abgelehnt hatten es die Vertreter Washingtons, Brüssels, Berlins, von Paris und London, die Interessen unseres Landes zu erörtern. Sie hatten faktisch erklärt: „Das betrifft uns nicht. Dies sind Ihre Probleme. Tun Sie, was Sie wollen!“.
Der Westen war gefesselt und hingerissen von der Umsetzung der Konzeption eines absoluten und eingeschränkten Rechts der Nationen auf die Wahl eines eigenen Wegs und die Wahl der Partner und Organisationen, mit denen diese Nationen in Militärbündnissen sein wollen. Die rhetorische Verabsolutierung des Prinzips einer uneingeschränkten Souveränität, die der faktische Lage der Dinge widerspricht, hatte die Politiker des Westens erfasst. Sie hatten sozusagen erklärt: „Aber was werden Sie denn mit uns machen? Nun, wir haben in Bukarest im Jahr 2008 einen Beschluss über eine künftige NATO-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine verabschiedet. Na und? Dies ist unser Recht! Aber Ihre Rechte interessieren uns überhaupt nicht. Ordnen Sie sich den Rules based order – „den auf Regeln basierenden Modalitäten“ – unter!“.
Jedoch existieren schon lange keine auf Regeln basierende Modalitäten. Was sind das denn für Modalitäten, wenn man Sanktionen beispielsweise gegen das Verlegen eines neuen Abschnitts der Erdgaspipeline „Nord Stream“ verkünden und jegliches Unternehmen, das einen international anerkannten Vertrag über die Teilnahme an diesen Bauarbeiten abgeschlossen hat, bestrafen kann? Die Grundlage bildete die Anschuldigung, wonach Russland eine Verschwörung gegen die US-amerikanische Demokratie im Jahr 2016 angezettelt hätte, die die Wahl von Hillary Clinton ins Präsidentenamt verhinderte. Drei Jahre später ermittelten die USA selbst, dass die Anschuldigungen gegen Russland absurd sind und nicht entsprechend den amerikanischen Rechtsmodalitäten bewiesen wurden. Doch danach hat man die Sanktionen nicht aufgehoben, im Gegenteil, man hat sie verstärkt.
Bald danach wurde klar, dass man beschlossen hatte, Europa auf amerikanisches Flüssiggas umzuorientieren. Um einen Absatzmarkt für die amerikanischen Hersteller zu Lasten Russlands zu sichern. Seit dem haben die Willkür und die Diskreditierung der „auf Regeln basierenden Modalitäten“ nur mehrfach zugenommen. Die USA, die alle früher unterzeichneten Abkommen und Normen der Welthandelsorganisation ignorieren, haben begonnen, willkürliche Tarife im Handel gegen all jene einzuführen, die man 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg als „ewige existenzielle Verbündete“ bezeichnete. Betroffen wurden Westeuropa, Japan, Südkorea, Kanada, Mexico… Alle vorangegangenen Vereinbarungen haben keinerlei Bedeutung, haben keine dauerhafte Wirkung.
Im zu Ende gehenden Jahr wurden die Beispiele einer demonstrativen Willkür zu ungeheuerlichen. Da verfolgt Trump zum Beispiel ein Baseball-Match aus Kanada im Fernsehen und sieht einen 40 Sekunden lange Werbeclip, in dem Worte des einstigen US-Präsidenten Ronald Reagan über einen langfristigen Schaden von Tarifen im Handel zitiert werden. Und diese Werbung scheint gegen die Tarifneuerungen Trumps gerichtet zu sein. Die Reaktion des amerikanischen Präsidenten ist eine augenblickliche: Ab dem morgigen Tag wird ein Zusatztarif von 10 Prozent für die gesamten Importe aus Kanada eingeführt. Jetzt verfolgen alle, was sich Trump im Fernsehen ansieht und wozu solche TV-Abende führen können. In Dänemark hat man ein Monitoring des Netzwerkes von Trump rund um die Uhr eingeführt, um nicht seine Initiativen in Bezug auf Grönland zu verpassen.
Die EU aber hat sich in Schweigen gehüllt, und alle anderen Verbündeten Kanadas haben sich in Schweigen gehüllt, machen den Mund nicht auf. Derart sind jetzt die „Modalitäten, die auf Regeln basieren“. Kann aber der heutige Putin solche „Modalitäten“ in Bezug auf Russland akzeptieren? Die Antwort liegt auf der Hand – nein.
Dieser Exkurs in die Geschichte zielt darauf ab, einen simplen Gedanken zu vermitteln: Russland möchte keine Rückkehr zu solchen „Modalitäten“ als eine gewisse Art von Förderung für sie für einen Frieden wie ein Zuckerbrot oder eine Möhre. Diese Modalitäten stellen für Russland keinen Wert dar. Für die EU ist dies ein Wert, für uns aber nicht.
Die Kluft zwischen den Werten ist offensichtlich.
Russland steht faktisch auch hinsichtlich aller Richtung nicht nur der Ukraine gegenüber, sondern der EU und der NATO, die motivierte und ideologisch nahestehende und leider geopolitisch blinde Verbündete Kiews sind. Dies sind keine neutralen Länder, keine abseits stehenden Beobachter, keine objektiven Experten. Putin begreift, dass dies Feinde sind.
Derart ist die Realität. Gerade deshalb ist der „Trump-Plan“ bis zur Unkenntlichkeit mit Einfügung von in eine Sackgasse führenden Vorschlägen in diesen, die auf eine Fortsetzung der Kampfhandlungen abzielen, umgeschrieben worden.
Brüssel, Berlin, Paris und London brauchen objektiv eine Fortsetzung des Konflikts in der Ukraine. Diese Länder haben einen großangelegten und in der Geschichte bisher nicht dagewesenen Umbau ihrer Volkswirtschaften für militärische Zwecke begonnen. Die Ausgaben für neue Waffen sind bestätigt worden und werden ansteigen. Die Europäer brauchen Übungsgelände für ein Testen von neuen Waffen. Wünschenswert wäre unter Bedingungen, die auf maximale Weise Gefechtsbedingungen nahekommen. Die Ukraine ist solch ein Testgelände. Die USA verkaufen Europa Waffen für die Ukraine und verfolgen auch mit Interesse, wie sie sich im Westen des Donbass bewähren.
Den strategischen Interessen Russlands entspricht die Schaffung einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur. Aber darüber spricht schon seit langem keiner. Putin wiederholt regelmäßig, dass der Westen Russland in der Ukraine eine strategische Niederlage zufügen wolle. Anzeichen für den blindwütigen Wunsch von Brüssel, diese Absicht zu verwirklichen, gibt es genug.
In solch einer Welt hat keiner absolute immanente Rechte auf alles Gute. Die Rechte müssen in einem harten Kampf errungen werden. Da möchte man unterstreichen – in einem existenziellen Kampf.
Man kann einräumen, dass Russlands Führung heute von der einfachen Erwägung ausgeht, dass das Mobilisierungspotenzial der Ukraine nicht mehr als 1,5 Millionen Menschen ausmacht. Und genau damit kann die Ukraine kämpfen.
Nach fast vier Jahren militärischer Sonderoperation, nach dem Übergang der Wirtschaft, der Finanzen und der Politik Russlands in einen Kriegsmodus scheint es nicht unmöglich zu sein, Russlands Bürger davon zu überzeugen, die Gürtel enger zu schnallen, aber eine vollständige und bedingungslose Kapitulation Kiews und dessen Verbündeten zu gewährleisten. Und bereits auf den endgültigen Ruinen Kiews und der „auf Regeln basierenden Modalitäten“ die Gestaltung einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur zu beginnen. Von einer Position der Stärke des Siegers aus.
Das oben Gesagte sollten diejenigen im Blick haben, die versuchen, die Ergebnisse der Gespräche von Wladimir Putin mit den Abgesandten Trumps vorauszusagen. Ohne Illusionen. Doch für ein Wunder gibt es immer eine Gelegenheit.