Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Können die Anti-Vaxxer zu Partnern der Nawalny-Vertreter werden?


Die Führung der Nawalny-Anhänger zeigt, dass sie beabsichtigt, weiter am politischen Leben Russlands teilzunehmen. Der gegenwärtige Anführer der nicht zum System gehörenden Oppositionellen, Leonid Wolkow, rechnet mit der Bewegung der Anti-Vaxxer, die einen erheblichen Teil des Elektorats erfasst hat, der früher den Herrschenden loyal gegenüber war. Dabei schenken die Politemigranten demonstrativ dem keine Aufmerksamkeit, dass auf diesem Feld die KPRRF bereits aktiv wirkt. Somit werden diese beiden Kräfte entweder im Kampf um den Einfluss auf die spontanen Proteste aufeinanderprallen oder sich irgendwie einigen müssen.

In einem Interview für das Emigranten-Info-Portal „Eben so“ gestand Wolkow ein, dass es in Russland „sehr viele Dinge gibt, an die wir uns gewöhnt haben, dass es irgendwo einen Raum für die Freiheit gibt und man in ihm existieren kann. Dies gibt es nicht mehr“. Jedoch unterstrich er, dass die Vertreter der außerparlamentarischen Opposition gute Perspektiven hätten, denn „es überleben die Starken, es überleben die Flexiblen, es überleben jene, die es verstehen, ungeachtet aller Umstände unter den sich verändernden Bedingungen zu arbeiten“. Und die Nawalny-Vertreter seien dazu bereit. Wolkow erläuterte, dass die Opposition jetzt so stark wie nie sei – nicht so sehr strukturell als vielmehr im Ergebnis der drastischen Zunahme des gesellschaftlichen Bedürfnisses an einer Ablehnung der Herrschenden aufgrund unterschiedlicher Ursachen.

Als einen der wichtigsten Aspekte bezeichnete er die Bekämpfung der Coronavirus-Infektion, die die Offiziellen zumindest deshalb floppen ließen, weil sie durch ihre Handlungen eine starke Bewegung von Impfgegnern hervorgebracht hätten. Wolkow ist sich gewiss, dass dies eine anschauliche Demonstration des Misstrauens der Bürger Russlands gegenüber dem Kreml sei, welches die Nawalny-Anhänger ausnutzen wollen. Das heißt: Natürlich, mit dem anrüchigsten Teil des Protests der Anti-Vaxxer, der von einem Chippen und anderen Sachen tönt, wollen die Politemigranten nichts zu tun haben. Doch 90 Prozent der anderen Protestierenden sind vor allem das Elektorat, das früher den Herrschenden loyal gegenüber war. Oder wie sich Wolkow ausdrückte: „Wenn sich die angenommenen Arbeiter von „Uralvagonzavod“ weigern, impfen zu lassen, so ist dem so, weil man sie zuerst zu Meetings scheuchte, dann mit Bussen zum Abstimmen karrte. Und jetzt jagen eben diese Menschen mit den gleichen administrativen Methoden zum Vakzinieren“.

Die Nawalny-Vertreter versprechen, auch aus dem Ausland die politischen Prozesse im Land zu beeinflussen, wobei sie unter ihren abgetauchten und auf Eis gelegten Aktivisten solch einen Bereitschaftsgrad sichern, um im Falle einer Veränderung der Situation innerhalb weniger Monate eine noch stärkere Struktur als früher zu schaffen. Allerdings sagen üblicherweise alle Politemigranten ungefähr das Gleiche, die unterschiedliche Exilregierungen, Rettungskomitees und andere Strukturen für evakuierte Aktivisten, die vor dem Regime gerettet wurden, etablieren. Doch der Versuch, die spontanen Proteste gegen eine obligatorische Vakzinierung und die Einführung von QR-Codes zu beeinflussen und auf irgendeine Weise zu koordinieren, dies ist bereits eine bodenständigere Aufgabe.

Freilich muss betont werden, dass Wolkow irgendwie einfach demonstrativ ein Nichtbestehen eines politischen Einflusses auf dieses Protestfeld seitens der KPRF andeutet. Vor noch nicht allzu kurzer Zeit hat aber das ganze Land gesehen, dass es selbst in der Staatsduma (dem Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) eine Gruppe kommunistischer Abgeordneter gibt, die bereit ist, direkt im Sitzungssaal ein Meeting durchzuführen. Registriert wurde auch eine Verwirrtheit der Offiziellen aus diesem Anlass, was sich in dem Versuch einer gewaltsamen Einflussnahme seitens von Vertretern der Kremlpartei „Einiges Russland“ äußerte. Die Kommunistische Partei macht dabei keinen Hehl daraus, dass sie damit rechnet, durch die Anti-Vaxxer mehr Stimmen bereits bei den Regionalwahlen im September kommenden Jahres zu erhalten. Somit müssen die Nawalny-Vertreter sich entweder auf eine direkte Konfrontation mit den Linken einlassen, was sich wohl kaum als erfolgreich erweisen wird, oder versuchen, sich mit denen zu einigen. Vom Prinzip her zeigt die Situation rund um das „Smart Voting“ (das „kluge Abstimmen“), dass man dies sowohl hinter den Kulissen als auch durchaus offen tun kann. Die Frage ist lediglich die: Brauchen das denn die Kommunisten selbst?