Dass Russlands Gerichtswesen und generell die Justiz degradieren, vor allem vor dem Hintergrund der seit dem 24. Februar laufenden militärischen Sonderoperation in der Ukraine, ist schon längst kein Geheimnis mehr. Richter, Staatsanwälte und Untersuchungsbeamte haben sich instrumentalisieren lassen, um jegliche Kritik an der umstrittenen Operation plattzumachen. Dabei interessiert nicht die durch Artikel 29 der Landesverfassung garantierte Meinungsfreiheit für Russlands Bürger.
Sicher ,dass es gewisse Begrenzungen der Meinungsfreicheit in dieser Zeit sogar in Deutschland gibt . Darüber hat NGDeutschland schon mal im Frühjahr unter https://ngdeutschland.de/wann-werden-im-heutigen-deutschland-wieder-bucher-in-flammen-aufgehen/ gechrieben.
Ausgehöhlt durch im Schnellverfahren verabschiedete und von Präsident Wladimir Putin unterschriebene Gesetze kann jede beliebige Kritik an den Handlungen der Armee im Nachbarland Ukraine nun ordnungs- und strafrechtlich verfolgt werden. Tausende Ordnungsrechtsverfahren sind bereits eingeleitet worden, die Zahl der bekannten angestrengten Strafverfahren liegt bei etwas weniger als einhundert. Selten enden die entsprechenden Gerichtsverhandlungen mit einer Rückweisung der Anklagedokumente, denn welche Richterin/welcher Richter wird sich gegen die Forderungen der Staatsanwaltschaft stellen, selbst wenn deren Unterlagen jeglicher Beschreibung spotten.
Um zumindest einen Rest an Anständigkeit und Gerechtigkeit zu wahren, müssen mutige Verhandlungsführende sorgfältig diese auseinandernehmen und ad absurdum führen. Richterin Oksana Mamontowa, die für den Fall des Jekaterinburger Ex-Bürgermeisters Jewgenij Roisman (ihm droht eine mehrjährige Freiheitsstrafe aufgrund eines Videos, das die russische Armee diskreditiere) zuständig ist, beugte sich nur teilweise den Forderungen der Untersuchungsbehörden. Diese wollten den Handlungsspielraum des bekannten Oppositionspolitikers während der laufenden Untersuchungen massiv einschränken und im Rahmen eines geforderten Hausarrests erlauben, dass Roisman täglich nur eine Minute (!) lang auf die Straße gehen kann – von 23.59 Uhr bis 24.00 Uhr. Ein lächerliches Begehren, das jedoch auch bezeichnend ist. Ohne sich dafür zu schämen, dass mit derartigen Handlungen letztlich das russische Gerichtswesen, die Justiz im Putin-Reich diskreditiert und dessen Degradierung beschleunigt werden, wird in dieser Richtung „erfolgreich“ weitergearbeitet.
Beispielsweise ist gegenwärtig Papst Franziskus von russischen Untersuchungsbeamten ins Visier genommen. Freilich indirekt, denn das Oberhaupt der Römisch-katholischen Kirche wird man wohl kaum wegen einer angeblichen Diskreditierung der russischen Armee vor ein Gericht Russlands zerren können. Für den Pontifex soll nun jedoch Konstantin Jankauskas geradestehen. Der 35jährige Moskauer Lokalpolitiker mit litauischen Wurzeln hatte am 14. März den Wortlaut eines Appells von Papst Franziskus im Messenger-Dienst Telegram gepostet. Und der hauptstädtische Polizeimajor Andrej Majew hatte in diesem Gebet für Frieden und ein Ende des Krieges in der Ukraine einen Versuch ausgemacht, den „Einsatz der Streitkräfte der Russischen Föderation zwecks Vornahme der militärischen Sonderoperation“ zu behindern. Dabei wird aber in dem am 15. Juli (also vier Monate nach der Veröffentlichung des Papst-Gebetes) abgefassten Protokoll des Majors erklärt, dass die Handlungen von Jankauskas keine Merkmale für eine strafrechtlich zu ahnende Tat aufweisen würden. Folglich droht dem studierten Wirtschaftswissenschaftler maximal eine hohe Geldstrafe. Für den 1. September ist die nächste Gerichtsverhandlung angesetzt worden, bis zu der der zuständige Richter hoffentlich die Zeit finden wird, sich mit dem Wortlaut des Friedensgebetes des argentinischen Papstes vom 13. März vertraut zu machen.
Die Redaktion von „NG Deutschland“ hat sich um eine Arbeitsübersetzung des Appells bemüht, denn solch ein Quellenstudium kann sich als recht nützlich erweisen.
„Brüder und Schwestern,
wir haben gerade zur Jungfrau Maria gebetet. In dieser Woche wurde die Stadt, die ihren Namen trägt, Mariupol, zu einer Märtyrerstadt in dem erschütternden Krieg, der in der Ukraine wütet. Angesichts der Barbarei der Tötung von Kindern, unschuldigen Menschen und wehrlosen Zivilisten gibt es keine stichhaltigen strategischen Gründe: Das Einzige, was getan werden muss, ist, der inakzeptablen bewaffneten Aggression ein Ende zu setzen, bevor sie Städte in Friedhöfe verwandelt.
Mit Trauer im Herzen schließe ich mich der Stimme des einfachen Volkes an, das um ein Ende des Krieges bittet. In Gottes Namen, hört die Schreie der Leidenden und lasst die Bombardierungen und Angriffe aufhören! Wir sollten uns wirklich und entschlossen auf Verhandlungen konzentrieren und dafür sorgen, dass die humanitären Korridore effizient und sicher sind. Im Namen Gottes bitte ich Euch: Stoppt dieses Massaker!
Ich möchte noch einmal dazu aufrufen, die vielen Flüchtlinge, in denen Christus gegenwärtig ist, willkommen zu heißen und für das große Netz der Solidarität zu danken, das sich gebildet hat. Ich bitte alle Diözesan- und Ordensgemeinschaften, mehr Momente des Gebets für den Frieden zu schaffen. Mehr Momente des Gebets für den Frieden. Gott ist nur ein Gott des Friedens, er ist kein Gott des Krieges, und diejenigen, die Gewalt unterstützen, entweihen seinen Namen. Lasst uns nun in der Stille für die Leidenden beten und dass Gott die Herzen zu einem festen Friedenswillen bekehren möge.“
Konstantin Jankauskas und seine Verteidiger Maria Eismont und Kirill Gorbunow waren nach dem ersten Verhandlungstag am vergangenen Freitag zuversichtlich und hoffen, dass der zuständige Richter das Verfahren einstellt. Zu beschämend ist das alles, was da Major Andrej Majew durch seinen „Diensteifer“ angezettelt hat. Und Jankauskas selbst verstehe nicht, wie ein Gebet für Frieden und Leben „irgendjemanden diskreditieren kann“