Seit Beginn der Sanktionskrise in Russland sind bereits mehr als drei Monate vergangen, und ein klarer Wirtschaftsplan für das Leben des Landes unter den neuen Bedingungen ist bisher nicht zu sehen. Weder von hochrangigen Regierungsbeamten noch von angesehen Wirtschaftsfachleuten. Der Leiter des Rechnungshofes und einstige Finanzminister Alexej Kudrin erklärte am Mittwoch, dass es keinen solchen Plan für die Verhinderung eines Rückgangs gebe und nicht geben könne. Scheinbar distanzieren sich sozusagen viele Beamte von einer Analyse der aktuellen Situation und von der Suche nach einem neuen Wirtschaftsmodell. Lokale Antikrisenmaßnahmen werden – versteht sich – von den Offiziellen der Russischen Föderation verabschiedet. Wie aber das Land existieren wird, wenn es nicht in der Lage ist, selbst den kritischsten Import zu sichern, ist bisher unklar. Und selbst von den Hof-Wirtschaftsexperten kann man heute lediglich Prognosen hinsichtlich der Dauer der akuten Phase der Krise vernehmen, nach der sich unsere Wirtschaft sozusagen von selbst umstellen werde.
In den Bericht von Alexej Kudrin in der Staatsduma (dem Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) hatten viele große Hoffnungen gesetzt. Schließlich schreibt man gerade Kudrin die Schaffung des Reservefonds und des Fonds für nationales Wohlergehen, die Akkumulierung gigantischer Devisenreserven, die Reduzierung der Staatsausgaben und eine Erhöhung des Haushaltsplus, aber auch das Lobbyieren einer Anhebung des Rentenalters zu. Ja, und Kudrin selbst hatte sich auch nicht von eben jener Wirtschaftspolitik distanziert, die heute für Russland beinahe zu einem absoluten Bösen geworden ist. Anstelle einer Entwicklung der Wirtschaft sind aus der Russischen Föderation über Jahrzehnte hinweg reale Ressourcen gen Westen abgepumpt worden, die heute festgesetzt wurden und vollkommen verloren werden können. Und dennoch hatten die Parlamentarier gehofft, von dem „Wirtschaftsstrategen“ einen durchdachten Plan für die Entwicklung des Landes unter den neuen Wirtschaftsbedingungen zu erhalten. So lenkte der Staatsduma-Abgeordnete Dmitrij Gusjew (Partei „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“) die Aufmerksamkeit des Chefs des Rechnungshofs darauf, dass sein Amt Prognosen über die Dauer der Krise präsentiere, aber keine Maßnahmen zu deren Überwindung.
Alexej Kudrin hatte zu Beginn der Woche mitgeteilt, dass die nächsten zwei Jahre für die Umgestaltung der Wirtschaft entsprechend dem Sanktionsregime verstreichen werden. Aber bereits ab dem Jahr 2024 könne man mit einer Zunahme der Wirtschaftsaktivitäten rechnen. „Diese anderthalb, zwei Jahre, die die sind für eine Umgestaltung der Wirtschaft unter Berücksichtigung dieser neuen Herausforderungen (erforderlich). Im Weiteren wird unbedingt die Arbeit hinsichtlich einer strukturellen Umgestaltung der Wirtschaft im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, selbst Erzeugnisse zu produzieren, fortgesetzt. Der Investitionszyklus zur Planung und Herstellung großer Produkte erfolgt fünf bis zehn Jahre lang. Das heißt: Dies ist eine langfristige strukturelle Umgestaltung“, erläuterte der Leiter des Rechnungshofs. „Die ersten Änderungen der Ströme, der Erzeugnisse, der Ersetzung oder des Beginns der Herstellung werden im Verlauf von zwei Jahren erfolgen. Im Grunde genommen können diese zwei Jahre Jahre eines Rückgangs des BIP sein. Weiter wird bisher prognostiziert, dass es ein positives sein wird, das heißt, wir werden ein positives Wachstum erreichen“, teilte der Staatsbeamte mit.
Dabei sind keine konkreten Vorschläge zur „Abschwächung des Sanktionsschlages“ vorgeschlagen worden. Kudrin betonte lediglich, dass „es Fragen hinsichtlich des Exports von Erzeugnissen und zur Bedienung der Zahlungen gibt“. Die Abgeordneten forderten aber vom Veteranen der Wirtschaftspolitik, die Effektivität der bereits vorgenommenen Antikrisen-Ausgaben der Regierung einzuschätzen. „Wie haben sich diese Maßnahmen auf die Wirtschaft ausgewirkt? Waren sie effiziente?“ erkundigten sich die Parlamentarier bei Kudrin. Und unterbreiteten den Vorschlag, den Rechnungshof speziell zu beauftragen, die verabschiedeten Maßnahmen zu bewerten und Varianten für deren Korrektur vorzuschlagen. Es sei angemerkt, dass die Beurteilung der Effektivität der Haushaltsausgaben der Regierung eine direkte Pflicht des Vorsitzenden des Rechnungshofes ist.
Alexej Kudrin versicherte den Abgeordneten, dass sich das Amt „am Puls der Ereignisse“ befinde und ein Monitoring der Antisanktionsmaßnahmen der Regierung vornehme. Dabei fügte er aus irgendeinem Grunde hinzu, dass sein Amt auch seinen eigenen alternativen Antikrisenplan nicht unterbreiten müsse. Obgleich sich Kudrin früher regelmäßig zu solchen Fragen der Wirtschaftspolitik geäußert hatte, die direkt nicht zu den Pflichten des Haupt-Haushaltskontrolleurs gehören.
Bemerkenswert ist, dass Kudrin in der Staatsduma erklärte, dass er heute keinerlei solche Maßnahmen geben würde, die einen Rückgang des BIP verhindern oder nicht zulassen könnten, sehe. „Man kann aber den Rückgang des Lebensniveaus der Bevölkerung dämpfen. Zahlungen für Familien mit Kindern im Alter von sieben bis 17 Jahren sind eine sehr starke Maßnahme. Sie verlangt rund 400 Milliarden Rubel. Und solch eine Maßnahme deckt mehr als die Hälfte der Bedürftigen im Land ab“, berichtete Kudrin im russischen Unterhaus. Was unter dem Begriff „abdecken“ alles zu verstehen sei, erläuterte der Chef des Rechnungshofes nicht. Anstelle dessen teilte der Haupt-Budget-Auditor mit, dass er gegen ein unverzügliches Aussteigen der Russischen Föderation aus unterschiedlichen internationalen Abkommen, Konventionen, System und Standards sei. Denn auf der Grundlage dieser Abkommen würden unter anderem auch die asiatischen Länder arbeiten.
Bemerkenswert ist, dass Alexej Kudrin keine Fehler im Schaffen des sogenannten „Sicherheitskissens“ sieht, dass Russland keinerlei finanzielle Sicherheit gewährleistete und durch die Regierungen der sogenannten unfreundlichen Länder buchstäblich innerhalb einer Minute eingezogen wurde. „Wir stabilisierten damals durch die Etatregel und die Bewahrung der Erdöl- und Erdgaseinnahmen die Wirtschaftspolitik, schützten die Wirtschaft vor einer zu starken Festigung des Rubels. Die retteten uns vor der holländischen Krankheit (ein volkswirtschaftliches Modell, das die negativen Auswirkungen eines Booms des Rohstoffsektors auf den produzierenden Sektor beschreibt – Anmerkung der Redaktion) und half, die Produktion zu stärken“, erklärte Kudrin den Abgeordneten. So antwortete er der Volksvertreterin Oxana Dmitrijewa (Partei des Wachstums, Faktion der Partei „Gerechtes Russland – für die Wahrheit“), die sich beim Leiter des Rechnungshofes dafür interessierte, ob denn die Auditoren nachgerechnet hätten, wieviel Mittel die Wirtschaft der Russischen Föderation aufgrund der Bildung des sogenannten Erdöl-Schutzpuffers nicht erhalten hätte.
Aber neue Prinzipien für die Wirtschaftspolitik unter den prinzipiell neuen Bedingungen kann vorerst nicht nur Alexej Kudrin nicht vorstellen, sondern auch viele andere Staatsbeamte. So hatte der Chef des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung Maxim Reschetnikow früher behauptet, dass die Wirtschaft der Russischen Föderation gerade dank der Antikrisenmaßnahmen der Regierung die Stabilität bewahrt hätte. „Zu den Hauptzielen dieses Plans wurden die Gewährleistung einer maximalen Freiheit für die Arbeit des Business über die Aufhebung übermäßiger Überprüfungsprozeduren und Forderungen, eine Neuausrichtung der Produktion durch die Erweiterung der Kreditvergabe und der Unterstützung der Umlaufmittel der Unternehmen, die Sättigung des Warenmarktes und eine Aufhebung der Restriktionen auf dem Wege des Imports“, erläuterte der Minister.
Unter den Leistungen der Regierung nannte Reschetnikow die Einführung eines Moratoriums für Kontrollen des Business oder für eine Verlängerung von Lizenzen. Für eine wichtige Antikrisenmaßnahme hält die Regierung auch die Programme für eine Vergabe vergünstigter Kredite an das Business. Zu einer Schlüsselentscheidung sei die Gewährung eines Aufschubs für die Unternehmen hinsichtlich der Versicherungsbeiträge für das II. und das III. Quartal geworden. Nach Aussagen des Ministers seien die 1,6 Billionen Rubel für zinsfreie Kredite für ein Jahr eine beispiellose Unterstützungsmaßnahme für die Wirtschaft. „Dies ist die größte Unterstützungsmaßnahme, die wir in dieser Zeit realisierten. Wichtig ist, dass man sich nicht an das Steueramt oder die Sozialfonds wenden muss. Die Maßnahme wird automatisch wirken“, betonte der Wirtschaftsminister.
Die Zentralbank konzentrierte sich in ihrem Bericht über die Geld- und Kreditpolitik auf Prognosen und Erwartungen dessen, dass die in Russland begonnene Wirtschaftskrise von der Stärke her mit den Erschütterungen der 1990er Jahre vergleichbar sei. In der Zentralbank erklärte man, dass Russland für eine Anpassung der Wirtschaft zwei Etappen durchlaufen müsse. Dabei habe die erste bereits begonnen. Sie könne anderthalb bis zwei Jahre dauern. In dieser Zeit werde die Zentralbank die Stabilität der Preise unterstützen. Die zweite Etappe werde sofort nach der ersten beginnen. Dann könne man eine Stabilisierung der Wirtschaft erwarten. Einen großen Teil des Weges der Anpassung werde die russische Wirtschaft bereits bis Mitte des Jahres 2023 zulegen. „Die von der Regierung und der Zentralbank zu ergreifenden Maßnahmen werden die strukturelle Transformation der Wirtschaft, den Übergang zu neuen ausgewogenen Trends unterstützen“, folgt aus dem Report.
Die gewisse Verwirrung der Finanz-Offiziellen erklären Experten mit den anhaltenden Versuchen, „Varianten für ein Reagieren auf die sich ändernde Situation zu ertasten“. „Der bisherige Mechanismus der Geld- und Kreditpolitik, der erlaubte, eine ausreichende Rubelmenge im Umlauf und den Devisenkurs zu unterstützen, ist heute zerstört worden. Daher versucht die Zentralbank, Varianten zu ertasten, um irgendwie die Situation zu managen“, meinte der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Moskauer Börse Oleg Wjugin. So kommentierte er im Vorfeld die neue Reduzierung des Leitzinses, den die Zentralbankführung bei ihrer Sondersitzung vom Donnerstag von 14 auf 11 Prozent absenkte. Dabei vertrat Wjugin die Auffassung, dass die neue Verringerung des Leitzinses nicht einem Herauskommen der Wirtschaft aus der Krise helfen werde. „Es ist mehrfach gesagt worden, dass das Problem darin besteht, dass der Import nicht wiederhergestellt wird, und der Export ist aus der Sicht der Erlöse ein sehr guter. Die grundlegenden Konten sind nicht nur durch die Zentralbank, sondern auch durch VISA und Mastercard blockiert worden. Solange die Handelsbilanz eine sehr starke ist, wird nichts gelingen, ob man den Leitzins reduziert oder ob man ihn anhebt“, erklärte Wjugin laut Angaben des Hörfunksenders „Business FM“.
Derweil räumt Valerij Mironow, stellvertretender Direktor des Zentrums für Entwicklung der in Moskau ansässigen Hochschule für Wirtschaftswissenschaften, ein, dass die Zentralbank bereit sei, ihre Politik des Targetierens der Inflationsrate unter Berücksichtigung der anstehenden strukturellen Umgestaltung der Wirtschaft zu modifizieren. Einzelne Antikrisen-Vorschläge kommen doch von angesehenen Experten, sagen Beobachter. Die einen formulieren „vorrangige Maßnahmen“ für ein Reagieren, andere unterbreiten durchdachte Konzeptionen für die Suche nach neuen Quellen für ein Wachstum.
Beispielsweise hat das Vorstandsmitglied der Freien ökonomischen Gesellschaft und Chefvolkswirt der Vneshekonombank (Außenwirtschaftsbank) Andrej Klepatsch vorgeschlagen, in erster Linie den drastischen Rückgang der Realeinkommen der Bevölkerung durch deren Indexierung zu kompensieren. Das reale Einkommensniveau der Bevölkerung liege heute beinahe um neun Prozent unterhalb des Spitzenniveaus von 2013, erinnerte der Wirtschaftsfachmann. „Es schwer, sich eine andere Gesellschaft vorzustellen, die sich bereit erklären würde, eine Verschlechterung der Lage zu dulden und Opfer im Interesse einer Unterstützung des eigenen Landes zu bringen“, sagte Klepatsch. Russlands Bevölkerung befinde sich nach seinen Worten heute unter einem großen Druck, da in den Projekten nur eine minimale Indexierung der Renten, Löhne der Beschäftigten der aus dem Staatshaushalt finanzierten Bereiche und der Dienstbezüge der Militärs verankert worden sei, die den aktuellen Anstieg der Preise und den Verlust der Kaufkraft nicht kompensiere. Bei einer Inflationsrate von 19 Prozent (die Zentralbank hat inzwischen optimistischere Zahlen für dieses Jahr genannt – Anmerkung der Redaktion) könnten die Realeinkommen der Bevölkerung in diesem Jahr um neun Prozent zurückgehen, meint der Experte. (Eventuell wird die Anhebung der Mindestrenten und der Mindestlöhne um zehn Prozent ab 1. Juni als ein Dämpfer wirken, aber nicht die realen Verluste wettmachen. – Anmerkung der Redaktion).
Andrej Klepatsch ist der Annahme, dass, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden, Russland in Bezug auf den Stand der Bevölkerungseinkommen bis auf das Niveau von 2008-2009 absacken könne. „Und es ist unbekannt, wann wir diesen Rückgang kompensieren werden können“, erläuterte der frühere Vizewirtschaftsminister Russlands.
Ihrerseits haben Wirtschaftsexperten aus dem Institut für volkswirtschaftliche Prognostizierung der Russischen Akademie der Wissenschaften das Augenmerk auf den zunehmenden Dollar-Überhang im Außenhandel gelenkt, der für die Russische Föderation die Gefahr einer finanziellen Destabilisierung schaffe. Im erwähnten Institut schlägt man vor, durch eine Reduzierung der Förderung von Energieträgern einen finanziellen Schock zu vermeiden. „Unter den Bedingungen einer Einschränkung des Imports und der Unmöglichkeit eines Akkumulierens von Devisenreserven muss Russland schon nicht mehr solch eine Menge an Rohstoffwaren wie früher verkaufen“, meint Institutsdirektor Alexander Schirow. Er sieht die Notwendigkeit einer Konservierung der Herstellung von Exporterzeugnissen. Nach Aussagen des Wirtschaftsexperten müsse Russland heute die Erdölförderung um etwa 100 Millionen Tonnen im Jahr verringern. (Im vergangenen Jahr förderte die Russische Föderation über 520 Millionen Tonnen.) „Das gigantische Außenhandelsplus unter den gegenwärtigen Bedingungen ist ein Koffer ohne Griff. Die Geldmengen sind gewaltige. Was mit ihnen aber gemacht werden soll, ist nicht klar“, erläutert Schirow.
Nach Meinung des Wirtschaftsexperten müsse die Außenwirtschaftstätigkeit der Russischen Föderation vollkommen umgestaltet werden. Das heißt, der Umfang des Exports müsse vollkommen den Umfang des kritischen Imports des Landes sichern. Und gerade den Import jener Waren, die nicht durch einheimische analoge Produkte ersetzt werden könnten.
Seinerseits merkte der Geschäftsmann und RUSAL-Chef Oleg Deripaska an, dass die gegenwärtige Krise neue Herangehensweisen erfordere. Unter den neuen Bedingungen dürfe man sich schon nicht mehr auf das bisherige Modell eines Staatskapitalismus stützen und versuchen, die Probleme durch die Annahme einer Vielzahl punktueller Maßnahmen zu lösen. Der Unternehmer schlägt vor, auf das Modell des Staatskapitalismus zu verzichten, um ein Mehrfaches den Staatsapparat und die Anzahl der Vertreter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane zu verringern. Zum Hauptsubjekt der Wirtschaft müsse der Unternehmer und nicht ein staatlicher Manager werden. Eine andere wichtige Bedingung von ihm ist die Schaffung eines entwickelten Schuldenmarktes. Die Wirtschaft brauche Finanzierungsbedingungen, die Möglichkeiten für die Schaffung neuer Verarbeitungsbetriebe gewährleisten – annehmbare Finanzierungskosten, lange Laufzeiten und keine harten Bedingungen in Bezug auf Kautionen, erinnert Deripaska. Dafür sei aber, sagte er, die Gestaltung eines entwickelten Marktes von Obligationen erforderlich.
Die Steuer- und Haushaltspolitik müsse von einem Anhäufen staatlicher Reserven zu einer aktiven Stimulierung der Wirtschaftsentwicklung sowohl durch eine Erhöhung der Ausgaben für eine Aufhebung der infrastrukturellen Einschränkungen als auch durch eine Verringerung der fiskalen Belastung in Gestalt von Steuern und ihnen analogen Quasi-Steuerzahlungen übergehen, meint der Geschäftsmann. Dabei müsse zum wichtigsten Teil der Verringerung der steuerlichen Belastung die Reduzierung des MWSt.-Satzes bis auf 15 Prozent bei Festlegung eines vergünstigten Steuersatzes von zehn Prozent für Gemeinschaftsunternehmen werden. Außerdem sei eine Verringerung der steuerlichen Belastung für die arbeitende Bevölkerung durch die Einführung eines steuerfreien Minimums für die Einkommen bei der Berechnung der Einkommenssteuer für natürliche Personen nötig, sagte er.
Dabei müsse die Transformierung der Wirtschaft entsprechend den Gedanken von Deripaska in erster Linie in den Regionen erfolgen, in denen existierende Produktionsstätten arbeiten und neue geschaffen werden. Gerade in den Regionen würde es sowohl Ressourcen als auch Produktionsstätten und Unternehmer-Initiativen geben, merkte er an. Ein wichtiger Teil der Transformation sei gleichfalls nicht eine Reduzierung des Exports, sondern eine Umorientierung auf andere Märkte, da die bisherigen nicht mehr zugänglich seien.
Bemerkenswert ist, dass nicht jedes berühmte wissenschaftliche Institut in der Russischen Föderation seinen Plan zur Überwindung der Krise vorgelegt hat. So ziehen es die Wirtschaftsfachleute aus der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst, des Gaidar-Instituts und der Hochschule für Wirtschaftswissenschaften bereits nach Beginn der wirtschaftlichen Transformation vor, „Nachrichten“ bzw. Informationen aus den Zeiten vor den Sanktionen zu analysieren und bilanzieren weiterhin das Jahr 2021.
Unter den Bedingungen der eingeschränkten Möglichkeiten für eine Anwendung der bisherigen Methoden zur Stimulierung der Wirtschaft brauche Russland jedoch ein neues Modell für das Wachstum, unterstreicht Valerij Mironow. Er ist der Auffassung, dass eine Akzentuierung auf die Erhöhung der Löhne und Gehälter sowie der Bevölkerungseinkommen recht effektiv das Wachstum des BIP angesichts der größeren Neigung zum Konsum bei den relativ wenig wohlhabenden Bevölkerungsschichten im Vergleich zu den materiell besser gestellten stimulieren könne. „Ein Wirtschaftswachstum bei einer stabilen Vergrößerung des Anteils der Löhne und Gehälter am BIP und das Akzentuieren eines Wachstums des Binnenmarktes (im Vergleich zum internationalen) sind ein Attribut einer „Wirtschaft, die durch die Löhne und Gehälter bestimmt wird, das heißt der sogenannten Wage-Led-Economy““, meint er.
Nach seinen Worten müsse die Steuerpolitik die Verantwortung für eine reale Stabilisierung, vollständige Beschäftigung und gleichmäßigere Verteilung der zur Verfügung stehenden Einkommen übernehmen. „Eine progressive Steuerpolitik, entsprechende Steuern auf Reichtümer. Besitz und Erbschaften, aber auch eine umverteilende Sozialpolitik werden die Bedingungen für eine massenhafte Wiederherstellung der Einkommen verbessern“, meint Mironow.
Der Wirtschaftsexperte merkt gleichfalls an, dass sich unter den neuen Bedingungen die Verbindung von Geld- und Kredit-Politik sowie von Haushalts- und Steuerpolitik theoretisch als hocheffektiv erweisen könne. „Bei einem fließenden Devisenkurs und einer faktisch vollständigen Immobilität des Kapitals gewährleistet eine makroökonomische Korrektur bekanntlich ein Stimulieren für das Wachstum des BIP in zwei Etappen: zuerst als Ergebnis einer zielgerichteten Anhebung der Haushaltsausgaben, danach automatisch als ein Ergebnis des Exports“, berichtet er, wobei er annimmt, dass es einerseits nötig sei, die multiplikative Wirkung durch die Investitionen aus dem Budget zu maximieren, wobei die Sektoren für eine Unterstützung richtig ausgewählt werden, andererseits Bedingungen für eine Unterstützung und Diversifizierung der Exportströme zu schaffen.
Eine aktive Antikrisenpolitik wird wahrscheinlich eine Beibehaltung von Maßnahmen zur Zügelung der Preise verlangen. Valerij Mironow schlägt dabei der Zentralbank vor, nicht den Index der Verbraucherpreise zu targetieren, sondern den Index für die Preise der Erzeuger/Hersteller. „In jeglicher von den Rohstoffen abhängigen Wirtschaft (nicht nur in Russland) ist das Targetieren des Indexes der Verbraucherpreise außerordentlich zyklisch, da unter den Bedingungen eines großen Anteils von Importwaren am Verbraucherkorb (aufgrund der Folgen der holländischen Krankheit) das Ansteigen des Leitzinses mit einem Rückgang der Preise für Rohstoffe und mit einem Rückgang des Kurses der nationalen Währung zusammenfällt. Somit erhält der reale Sektor einen zweifach negativen Impuls zum Zeitpunkt eines negativen Preisschocks und umgekehrt“, berichtet Mironow. Er ist der Auffassung, dass dies die Stabilität des realen (Wirtschafts-) Sektors und die Investitionsattraktivität der russischen Wirtschaft erhöhen werde.
Julia Gerasimowa, stellvertretende Leiterin des Sektors „Haushaltspolitik“ des Zentrums für strategische Entwicklungen, ist der Annahme, dass für eine Überwindung der Krise insgesamt die gleichen Instrumente eingesetzt werden würden, die erfolgreich im Jahr 2020 erprobt wurden. Sie erklärt, dass im Falle einer erheblichen Reduzierung der Haushaltseinnahmen für die Finanzierung des Haushaltsloches Mittel aus dem Fonds für nationales Wohlergehen genutzt werden würden. 2Es wird jedoch vorgesehen, solch eine Haushaltsregel auszuarbeiten, um ein schnelles Ausschöpfen des Fonds des nationalen Wohlstands zu vermeiden. Das heißt: Wenn begriffen wird, dass sich die Haushaltseinnahmen verringern und mittelfristig geringer werden, wird für einen gewissen Zeitraum der Mechanismus für eine Zurückhaltung/Optimierung/Reduzierung der Budgetausgaben in Kraft gesetzt. Anders gesagt: das Haushaltssystems darf nicht ohne Reservemittel bleiben“, sagte die Expertin. Außerdem würden auch alle möglichen Instrumente für eine Unterstützung der Wirtschaft und von Investitionen genutzt werden, betonte Gerasimowa.
Seinerseits nimmt Prof. Nikita Moisejew von der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität an, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Russischen Föderation von keinem eine klare und nachhaltige Strategie für die Entwicklung Russlands unter den neuen wirtschaftlichen Realitäten entwickelt worden sei. „Es gibt nur einzelne sektorale Initiativen und Entscheidungen der Regierung der Russischen Föderation, die einfach entsprechend der Situation wirken“, meint er.