Kirgisiens Verteidigungsministerium hat die Manöver „Unzerstörbare Bruderschaft-2022“ mit Friedenstruppen der Organisation des Vertrages für kollektive Sicherheit (OVKS), die vom 10. bis 14. Oktober stattfinden sollten, abgesagt. Am Dienstag wurde bekannt, dass kirgisische Militärs nicht an den OVKS-Manövern „Grenze-2022“ in Tadschikistan teilnehmen werden. Zuvor hatte Präsident Sadyr Dschaparow unter Verweis auf seinen starken Beschäftigungsgrad verzichtet, am informellen GUS-Summit in Petersburg am 7. Oktober (dem 70. Geburtstag von Kremlchef Wladimir Putin – Anmerkung der Redaktion) teilzunehmen. In Bischkek ist man ungehalten über die Auszeichnung von Tadschikistans Präsidenten Emomali Rachmon mit dem russischen Orden „Für Verdiente vor dem Vaterland“ III. Grades und ist der Auffassung, dass Moskau im kirgisisch-tadschikischen Grenzkonflikt auf der Seite Duschanbes auftrete.
Der Generalsekretär der OVKS, der Weißrusse Stanislaw Sas, besuchte in der vergangenen Woche Bischkek, wo er sich mit der höchsten politischen und militärischen Führung der GUS-Republik traf. Mit Sadyr Dschaparow erörterte er unter anderem die Situation im Verantwortungsbereich der OVKS. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Lage in Zentralasien gewidmet, meldete die Internetseite www.24.kg.
In erster Linie betraf dies den jüngsten blutigen Konflikt an der kirgisisch-tadschikischen Grenze im Zeitraum vom 15. bis 17. September, für dessen Entfesselung Bischkek Duschanbe verantwortlich macht. Auf den Appell Kirgisiens, in die Situation einzugreifen, beschränkte sich die OVKS erwartungsgemäß und wie gewohnt auf eine Erklärung, in der vorgeschlagen wurde, die strittigen Fragen auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Der Sekretär des Sicherheitsrates der Republik Kyrgystan, Marat Imankulow, verwies darauf, dass es in der Organisation keine Mechanismen für eine Regelung territorialer Streitfragen zwischen den Teilnehmern gebe und unterbreitete den Vorschlag, Tadschikistan aus dem Militärblock auszuschließen.
Während Kirgisien auf eine Reformierung der Organisation besteht, prüfen die Verbündeten aus der Allianz – Kasachstan und Armenien – die Frage nach einer Lösung des Vertrages. Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan erklärte dies, nachdem sich die Organisation selbst von einer Verteidigung ihres Verbündeten im armenisch-aserbaidschanischen Grenzkonflikt suspendiert hatte. Armenien lehnte es ab, an den Manövern der Kollektiven Truppen für ein operatives Reagieren in Kasachstan teilzunehmen. Jerewan begründete seine Ablehnung mit der Zuspitzung an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze.
Kirgisien, das die Manöver im Rahmen der OVKS absagte, die vom 10. bis einschließlich 14. Oktober im Ausbildungszentrum „Edelweiß“ in Balyktschi stattfinden sollten, nannte offiziell keine Gründe. Experten verknüpfen dies mit einer Demarche gegen Tadschikistan, das einer Aggression gegen Kirgisien bezichtigt wird. Es sei daran erinnert, dass sich vom 15. bis 17. September eine bewaffnete Auseinandersetzung von Militärangehörigen beider Länder im Verwaltungsgebiet Batken ereignet hatte, in deren Verlauf modernste Waffen eingesetzt wurden, darunter auch Drohnen. Dutzende Menschen waren ums Leben gekommen, hunderte erlitten Verletzungen. Am Rande der 77. Vollversammlung der UNO machten sich die Seiten gegenseitig für das Entfachen des Konfliktes verantwortlich.
Derweil unterzeichnete der russische Präsident Wladimir Putin in der vergangenen Woche einen Erlass über die Würdigung von Tadschikistans Präsidenten Emomali Rachmon mit einer staatlichen Auszeichnung für die Gewährleistung von regionaler Stabilität und Sicherheit. Den Orden „Für Verdienste vor dem Vaterland“ III. Grades überreichte Putin dem tadschikischen Amtskollegen im Verlauf des informellen GUS-(Rumpf-) Summits, der am 7. Oktober in Sankt Petersburg erfolgte. An diesem Tag hatte das russische Staatsoberhaupt auch seinen 70. Geburtstag gefeiert. Emomali Rachmon war zwei Tage zuvor 70 geworden. Mehrere GUS-Staats- und Regierungschefs waren gekommen, um den Jubilaren persönlich zu gratulieren. Nicht gekommen war Kirgisiens Präsident Sadyr Dschaparow, aber auch Maia Sandu, die Präsidentin Moldawiens (Moldawien gehört formell nach wie vor zur GUS – Anmerkung der Redaktion). Das Staatsoberhaupt Kirgisiens veranstaltetet eine Demarche gegen Duschanbe. Es stellte sich aber heraus, dass sie auch gegen Moskau gerichtet war. Dschaparow, der auf seinen großen Arbeitsumfang verwies, wollte einfach nicht mit Präsident Rachmon an einem Tisch sitzen. Und umso mehr ihm zur Auszeichnung und zum vergangenen Geburtstag gratulieren. Mehr noch, in Bischkek wertete man die Auszeichnung Rachmons als eine Unterstützung für Tadschikistan durch Russland.
Offiziell hatte sich Kirgisien nicht entschlossen, auf diese Auszeichnung mit einer Protestnote zu antworten. Es gab keine Statements weder seitens des Außenministeriums noch seitens der Präsidialverwaltung. Veröffentlicht wurde jedoch ein offener Brief des kirgisischen Parlamentsabgeordneten Schenischbek Toktorbajew, des nächsten Freundes und Mitstreiters des Leiters des Staatskomitees für nationale Sicherheit, Kamtschibek Taschijew. In dem Brief wird die Verantwortung für die Grenzkonflikte mit Tadschikistan und den Tod von Menschen Russland zugeschrieben. Wie Alexander Kobrinskij, Direktor der in Moskau ansässigen Agentur für ethnonationale Strategien, im Messenger-Dienst Telegram anmerkte, „verwehren die Autoren des Briefes Russland das Recht auf das Treffen eigenständiger Entscheidungen in der Region, was eine unerhörte Dreistigkeit seitens der Führung Kirgisiens gegenüber Russland ist“. „Kirgisien versucht, sich in die Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und Tadschikistan einzumischen“, betonte der Experte, der für seine oft umstrittenen, gegen einzelne zentralasiatische Länder gerichteten Statements bekannt ist. Nach seiner Meinung habe es für das Auftauchen solch eines Schreibens die Gewissheit hinsichtlich einer Unterstützung gegeben. „Aber unsere „Freunde“ bitten doch aktiv um Hilfe, erhalten sie, verteilen sie und werden persönlich reich. Zur gleichen Zeit aber dringt der angelsächsische Haken immer tiefer in die … staatlichen Kröten ein. Und dies sei bereits ganz zu schweigen von der türkischen Harpune gesagt“, merkte der Experte an.
Allerdings wird Sadyr Dschaparow bereits in den nächsten Tagen die Möglichkeit erhalten, sich gegenüber dem russischen Präsidenten zu erklären. In Astana finden am 14. Oktober eine Tagung des Rates der GUS-Staatsoberhäupter, aber auch der Gipfel „Zentralasien – Russland“ statt, an denen er teilnehmen wird.
Dr. sc. hist. Alexander Knjasew, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für internationale Studien der Diplomatenhochschule (MGIMO) des russischen Außenministeriums, sagte der „NG“, dass man all diese Demarchen der kirgisischen Seite in zwei Aspekten sehen müsse. Erstens könne man dies als einen gewissen Erfolg der regionalen Politik der USA ansehen, die sich seit Februar dieses Jahres spürbar aktiviert hätte. Es sei kein Zufall, dass bereits Ende Februar im Parlament Kirgisiens die Behandlung eines neuen Abkommens über eine Zusammenarbeit mit den USA begann. Das vorangegangene Basisabkommen von 1993 war im Jahr 2015 aufgehoben worden. Und zur gleichen Zeit haben Vertreter der Streitkräfte Kirgisiens und der Vereinigten Staaten (der Nationalgarde des US-Staates Montana und des Zentralen Kommandos USCENTOM) die Erörterung eines Plans für eine militärische Zusammenarbeit in den nächsten fünf Jahren aufgenommen. Die Aktivität der USA in den Staaten Zentralasiens über die Linie des State Departments und des Pentagons müsse man nicht nur in August hervorheben. Im August hätte Tadschikistan erfreut bei sich gemeinsame Militärmanöver mit den USA abgehalten. Zweitens sei dies ein Maßstab für den beschränkten Charakter der einheimischen herrschenden Eliten, die schmalspurig in kurzfristigen Kategorien denken würden, wobei sie von dem Bestreben ausgehen würden, entweder von den Amerikanern irgendwelche Präferenzen zu erhalten oder Moskau ihre angebliche Eigenständigkeit zu demonstrieren und bereits von der russischen Seite irgendetwas Bevorzugtes zu bekommen. „Ich kann nur annehmen, dass man dabei in Bischkek (Duschanbe usw.) begreift, dass die OVKS und Russland die einzigen realen Garanten für ihre eigentlichen Existenz in Form von Staaten sind. Was aber die OVKS angeht, so ist eine Reformierung dieser Organisation schon seit langem herangereift. Man muss in das Statut strengere Formen für die Verantwortung der Mitgliedsländer aufnehmen. Eine Nichterfüllung der Pflichten muss gewisse Maßnahmen für eine Einflussnahme nach sich ziehen. Ich spreche schon gar nicht von solchen wesentlichen Prinzipien wie die Notwendigkeit der Verfolgung einer abgestimmten Außenpolitik. Letzten Endes darf die OVKS nicht zu einem Spiel in Richtung eines Tores werden, bei dem alle etwas von Russland haben, ohne dabei nichts im Gegenzug zu leisten, und mitunter gegenüber Russland eine unzureichende Loyalität an den Tag legen“, unterstrich Knjasew.