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Lawrow und Kuleba haben keine gemeinsame Sprache gefunden


Im türkischen Antalya hat am Rande des Diplomatischen Forums ein Treffen stattgefunden, dass seit dem Zeitpunkt der russischen Operation in der Ukraine erwartet wurde. Die Außenminister Russlands und der Ukraine, Sergej Lawrow und Dmitrij Kuleba, setzten sich am Donnerstag an einen Verhandlungstisch. Ihren anschließenden Pressekonferenzen nach zu urteilen, hat es mit einem richtigen Gespräch nicht geklappt. Den beiden Minister war es nicht gelungen, innerhalb von anderthalb Stunden irgendeine Vereinbarung zu erzielen. Und laut ihren Worten ergab sich, dass sie über Unterschiedliches gesprochen haben. Bemerkenswert ist jedoch schon allein die Tatsache, dass endlich hochrangige Beamte bei Verhandlungen zum Einsatz gekommen waren.

Bereits vor Beginn des Treffens von Lawrow und Kuleba hatte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu aufgerufen, „keine Wunder von den Gesprächen zu erwarten“. Er betonte lediglich die eigentliche Tatsache dessen, dass „Kontakte auf dieser Ebene begonnen haben“. Zuvor hatten sich die Verhandlungen zwischen beiden Ländern auf Treffen von Delegationen in Weißrussland beschränkt, wo die Offiziellen sowohl Russlands als auch der Ukraine nicht auf höchster diplomatischer Ebene vertreten waren. Es sei daran erinnert, dass die russische Verhandlungsdelegation der ehemalige Kulturminister und nunmehrige Präsidentenberater Wladimir Medinskij leitet. Wer die ukrainische Delegation leitet – Verteidigungsminister Alexej Resnikow oder der Vorsitzende der parlamentarischen Fraktion der regierenden Partei „Diener des Volkes“ David Arachamia – ist gänzlich unklar.

Die Verhandlungen Lawrows und Kulebas dauerten nur ganze 90 Minuten. Nach deren Abschluss gaben sie getrennte Pressekonferenzen, die sich sowohl hinsichtlich der Stilistik als auch vom Wesen der angesprochenen Fragen unterschieden. Der spürbar nervös wirkende Lawrow musste einen Großteil der Pressekonferenz die russischen Erklärungen für die Gründe des Beginns der Operation in der Ukraine wiederholen und vermochte nicht alle zu überzeugen. Der knapp 72jährige Minister verwendete dabei hinsichtlich der Ziele Russlands in der Ukraine mehrfach das Wort „Entnazifizierung“, dass in den letzten Tagen aus der Lexik der russischen offiziellen Vertreter verschwunden war.

Außerdem stellte man ihm dreimal die Frage nach dem Beschuss eines Entbindungsheims in Mariupol. Lawrow gestand ein, dass russische Truppen die Geburtsklinik beschossen hätten, erklärte aber, dass dies getan worden sei, da sie in einen Stützpunkt des in der Russischen Föderation verbotenen Bataillons „Asow“ verwandelt worden sei. „Vor einigen Tagen wurden bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates durch die russische Delegation Fakten darüber vorgestellt, dass dieses Entbindungsheim schon lange durch das Bataillon „Asow“ und andere radikale Kräfte besetzt wurde. Von dort hat man alle Wöchnerinnen, alle Krankenschwestern und überhaupt das gesamte Personal vertrieben“, sagte der Minister, ohne mit der Wimper zu zucken. Und er wurde noch in den Abendstunden von Igor Konaschenkow aus dem russischen Verteidigungsminister blamiert, denn die Aussagen wurden dementiert.

Aus den Worten Lawrows blieb auch sehr unklar, was er eigentlich von dem Treffen mit seinem ukrainischen 41jährigen Amtskollegen erwartet, der im Übrigen bei seiner Pressekonferenz klar die Ziele Kiews skizzierte. Kuleba erklärte, dass er die Organisierung eines humanitären Korridors aus Mariupol in Richtung der Ukraine erreichen, sich aber auch zumindest über eine 24stündige Waffenruhe einigen möchte. Nach Aussagen des ukrainischen Ministers war er bereit gewesen, unverzüglich die entsprechenden Personen anzurufen, die eine Entscheidung über eine Feuereinstellung treffen würden. Und er schlug Lawrow vor, das gleiche zu tun. Der hatte jedoch nach Aussagen Kulebas gar nicht erst geantwortet. „Ich hoffe aufrichtig, dass Minister Lawrow mit denjenigen in Russland kommuniziert, die solche Entscheidungen fällen, und der humanitäre Korridor doch zu funktionieren beginnt“, sagte der ukrainische Minister. Insgesamt sei Lawrow nach seinen Worten nicht auf das Erreichen irgendwelcher Vereinbarungen aus gewesen. „Ich war (zu dem Treffen) als Außenminister gekommen, der beauftragt worden war, nach Wegen für eine Lösung der Probleme zu suchen und Entscheidungen zu treffen. Er war, wie er gesagt hatte, gekommen, um zuzuhören“, teilte Kuleba mit.

Seinerseits verwies Lawrow darauf, dass er auch gar nicht vorgehabt hätte, einen Waffenstillstand zu erörtern. „Wir sind nicht hierhergekommen, um den Verhandlungstrack zu ersetzen, der durch Russlands Präsidenten und den Präsidenten der Ukraine geschaffen wurde und der auf weißrussischem Territorium entwickelt wird. Gerade dort werden praktische Fragen diskutiert, gerade dort wird auf detaillierteste Weise geklärt, was getan werden muss, um diese Krise zu beenden. Dies sind sowohl eine Demilitarisierung als auch eine Entnazifizierung und die Gewährleistung des neutralen Status der Ukraine sowie eine ganze Reihe anderer Sachen“, sagte der Minister. Somit hatte Lawrow betont, dass aus der Sicht der Russischen Föderation gerade die Verhandlungen in Weißrussland die wichtigsten seien und der Kreml nicht beabsichtige, „einen parallelen Trend zu schaffen, wie dies sicher die ukrainische Seite möchte“. Lawrow sprach recht viel darüber, dass noch zu Zeiten der Erörterung der Minsker Vereinbarungen die Ukraine angestrebt hätte, „die konkrete Arbeit zur Umsetzung der Vereinbarungen durch die Etablierung neuer Formate zu ersetzen, die unbedingt in den Nachrichten den Hauptplatz einnehmen und damit deren Aktivität demonstrieren sollten“ und eine reale Arbeit zu simulieren.

Lawrow betonte unter anderem, dass gerade bei den Verhandlungen in Weißrussland die Frage nach Verhandlungen von Wladimir Putin und Wladimir Selenskij erörtert werde. Sie durchzuführen hatte mehrfach der ukrainische Präsident vorgeschlagen. Zur gleichen Zeit nannten sowohl Lawrow als auch Kuleba das, worauf sich die Führungen ihrer Länder nicht einlassen würden oder zumindest nicht einlassen wollen. Der russische Außenamtschef erklärte, dass das Thema eines Nuklearkrieges durch den Westen in den Umlauf gebracht werde. Lawrow selbst glaubt aber nicht daran, dass solch ein Krieg möglich sei. „Ich möchte nicht daran glauben und glaube nicht daran“, sagte er. Und Kuleba hält eine Kapitulation seines Landes nicht für möglich. „Die Ukraine hat sich nicht ergeben, ergibt sich nicht und wird sich nicht ergeben“, versicherte.

Letztlich aufhorchen ließ aber eine Statement Lawrows, das bei vielen nicht nur in Antalya eine Frage aufwarf. Der Moskauer Außenminister erklärte in dem türkischen Ferienort am Donnerstag, dass Russland die Ukraine nicht überfallen hätte. Und wie soll man da dies bezeichnen, was da am 24. Februar auf Befehl von Präsident Wladimir in der Ukraine begonnen hat. Die russischen Journalisten bei der Lawrow-Pressekonferenz hüllten sich dazu in betretenes Schweigen.