Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Lukaschenko bereitet sich ernsthaft auf einen Krieg vor


Alexander Lukaschenko hat die These wiederholt, wonach ringsherum Feinde seien, und gab mehrere sensationelle Erklärungen ab. Nach seiner Meinung würden sich die Feinde Russlands und Weißrusslands auf einen bewaffneten Konflikt vorbereiten und hätten die Situation mit den Migranten organisiert, um die Aufmerksamkeit der weißrussischen Militärs abzulenken. Er erklärte gleichfalls, dass er bereit sei, an der Seite Russlands im Donbass gegen die Ukraine zu kämpfen, wenn „sie wieder angreifen“.

Der hybride Krieg gegen Weißrussland drohe, zu einem militärischen Konflikt überzugehen, erklärte Lukaschenko bei einer Tagung im Verteidigungsministerium am Montag. „Ich hatte Sie bereits Ende vergangenen Jahres gewarnt, dass gegen uns ein hybrider Krieg praktisch hinsichtlich aller Richtungen entfaltet worden ist. Man ist bis zu einer heißen (harten – „NG“) Konfrontation gegangen“, sagte er. Die Tagung hatte Lukaschenko für die Erörterung eines Plans „für ein Reagieren der Streitkräfte auf mögliche unfreundliche und aggressive Schritte in Richtung Belarus“ einberufen. „Gerade der Streitkräfte. Nicht nur der Armee, sondern auch des Innenministeriums, der Grenztruppen und des Komitees für Staatssicherheit“, präzisierte er.

Wie sich aus dem Gesagten ergab, gibt es nicht nur in den angrenzenden Ländern Feinde Weißrusslands. Er ist sich gewiss, dass das Land ein aktiver und wichtiger militär-politischer Akteur in der Region sei. „Ich möchte, dass die hier Anwesenden eine Sache begreifen: Die Situation um Belarus kann nicht autonom, unabhängig dessen, was sich in der Region des Schwarzen Meeres vollzieht, unabhängig von den Fragen im Zusammenhang mit der Ukraine, mit Polen und den Ländern des Baltikums, betrachtet werden. Wir sind ein Glied dieser ganzen Kette“, ist er sich sicher.

Was die Nachbarländer angeht, so teilte er unter Berufung auf Russlands Verteidigungsministerium mit, dass sie bereits „ein Abwerfen von Bomben trainieren“, wobei sie einen Nuklearschlag gegen Russland üben würden, und Truppen zu den weißrussischen Grenzen verlegen würden. „Dies erfolgt nicht ohne Grund. Dahinter steht etwas“, ist Lukaschenko überzeugt. Auf einen Krieg würde sich die Ukraine vorbereiten. „In Belarus sieht man, wie in der Ukraine Manöver unter der Codebezeichnung „Polesje“ (nach dem Namen einer historischen Landschaft in Polen, Belarus, der Ukraine und Russland – Anmerkung der Redaktion) durchführt“, betonte Lukaschenko.

Im Verlauf der Beratung gab er die sensationelle Erklärung ab, dass er im Bedarfsfall bereit sei, im Donbass zu kämpfen. „Wenn sie (die westlichen Feinde Weißrusslands und Russlands – „NG“) erneut einen kleinen Krieg im Donbass oder irgendwo an der Grenze zu Russland entfesseln, wird Belarus nicht abseits bleiben. Und es ist klar, auf wessen Seite Belarus sein wird“, sagte er.

Diese ganze Geschichte mit den Migranten an der Westgrenze sei nach seinen Worten auch nicht einfach so losgetreten worden. Sie sei ein Ablenkungsmanöver, ist sich Lukaschenko gewiss. „Sie begreifen ausgezeichnet: Sobald die Ukraine versucht, einen Konflikt mit Russland zu entfesseln, wird Belarus nicht im Abseits stehen. Daher will man die weißrussische Armee zügeln, an den westlichen Grenzen (Lettland, Litauen und Polen) und im Süden — durch eine Verstärkung der ukrainischen Grenze — in Spannung halten“, erläuterte er die angebliche Absicht der Feinde.

Der Gegner mache bei der Realisierung seiner tückischen Pläne vor nichts Halt, empörte sich Alexander Lukaschenko. „In dieser Migrantenkrise sind die Schufte bis zu einer Ermordung von Menschen gegangen. Gestern Nacht haben sie einen Leichnam zu unserer Grenze gebracht. Heute Nacht hat man noch eine Leiche gefunden“, berichtete er. „Dies sind doch, stellen Sie sich einmal vor, „Demokraten“. Auf was für eine Abscheulichkeit muss man sich einlassen, um Menschen zu töten und auf das benachbarte Territorium zu werfen“, entrüstete sich das Staatsoberhaupt Weißrusslands.

Lukaschenko ist sich sicher, dass er die Situation nicht anheize und „nicht dramatisiert“. „Ich warne die Militärs: Auf jegliche ihrer möglichen Körperbewegung müssen wir eine adäquate Antwort haben“, wies er an und beauftragte den Verteidigungsminister und Chef des Generalstabs der Streitkräfte, einen „Plan für die Antwort auf eine mögliche Aggression und mögliche widerrechtliche Handlungen gegenüber Belarus“ vorzubereiten.

Nebenbei erinnerte Alexander Lukaschenko daran, dass er dennoch einen Dialog mit diesen Gegnern haben möchte, obgleich sich aus dem Gesagten der Eindruck ergab, dass er selbst schon nicht daran glaubt. „Wenn irgendwer mit uns wie mit friedlichen Menschen sprechen möchte, bitte, ab dem heutigen Tag. Wir sind bereit, uns zu unterhalten. Wenn aber irgendwer mit einem Schwert oder mit einer Waffe zu uns kommt, so können wir darauf antworten“, sagte er.

Zu den Vorwürfen an die Adresse Polens hinsichtlich einer unfreundlichen Haltung gegenüber Weißrussland kam noch eine „Sünde“ hinzu. Lukaschenko bezichtigte Polen der Absicht, mit Hilfe der USA die Europäische Union zu entzweien. „Sie sehen (doch), dass diese polnischen kleinen Schufte schon durch die Länder zu reisen angefangen haben. Und haben Sie gestern bemerkt, wohin Morawiecki (Mateusz Morawiecki, Polens Premierminister – „NG“) gefahren ist – nach Großbritannien. Ich bin mir sicher, und Sie werden es sehen: Sie wollen innerhalb von ein, zwei Jahren mit Unterstützung Amerikas die Europäische Union zerstören“, sagte er.

Bei der Kommentierung der Erklärungen Lukaschenkos sprechen die Experten wie auch früher in erster Linie darüber, dass deren Ziel sei, seine Anhänger zu mobilisieren und in einer ständigen Anspannung zu halten. „Der Migrationskonflikt ist verloren worden. Doch der Bedarf an einer Eskalation ist nirgendwohin verschwunden. Daher die nächste Etappe – die Erpressung mit einem wahren Krieg“, schreibt aus diesem Anlass der politische Kommentator Igor Iljasch.

Der Experte lenkt das Augenmerk nicht nur darauf, dass sich Weißrussland öffentlich von der früher deklarierten Neutralität lossagt, sondern faktisch auch sagt, dass es selbst anzugreifen bereit sei. „Vom Wesen her ist öffentlich erklärt worden, dass im Falle eines großen Krieges zwischen Russland und der Ukraine Belarus an der Seite Moskaus antreten wird. Und da alle ausgezeichnet verstehen, dass die Ukraine ganz bestimmt nicht Russland überfallen kann, so lassen Sie uns genauer diese Message übersetzen: Wenn nötig, ist Belarus bereit, die neue Etappe der russischen Aggression gegen die Ukraine zu unterstützen“, urteilt Igor Iljasch auf seiner Internetseite.

Allerdings ist sich der Experte nicht sicher, dass hinter diesen Erklärungen der reale Wunsch nach realen Kampfhandlungen stehe. „Einerseits erpresst das Regime den Westen. Andererseits sucht es mit derartigen ergebenen Reden, die Neigung Putins zu gewinnen“, meinte er hinsichtlich der nächsten Adressaten der sensationellen Statements aus dem offiziellen Minsk. „Das Problem besteht darin, dass solche Erklärungen an und für sich gefährlich sind. Bei weitem nicht alle Konflikte beginnen, weil irgendwer wirklich einen Krieg will und ihn lange plant. Oft kommt es anders: Politiker bringen unbedacht die Spirale der Eskalation in Gang, die sich entgegen den Absichten der Autoren hochzuschaukeln beginnt, wobei sie sich ausschließlich einer eigenen Logik unterordnet. Wenn man sehr lange mit den Waffeln rasseln wird, so werden sie früher oder später zu schießen beginnen“, resümiert der Experte.

„Ich habe solch einen Eindruck gewonnen, dass Lukaschenko Experimente an den Weißrussen vornimmt: Nun, lasst uns noch eine Migrantenkrise organisieren. Und lassen Sie iuns gegen die Ukraine kämpfen, wenn im Donbass ein Krieg beginnt. Wie werden Sie reagieren? Was haben Sie mir angetan?“, kommentierte der Politologe Valerij Karbalewitsch das von Weißrusslands Präsident Gesagte für die „NG“. „Der Mann hat zum Ende des politischen Lebens aufgehört, Populismus zu spielen, er hat aufgehört, daran zu denken, der Bevölkerung zu gefallen. Und er bleibt seiner selbst“, meint der Experte. Solch eine Initiative werde wohl kaum selbst den Anhängern Lukaschenkos gefallen, betont Valerij Karbalewitsch. Dabei schließt er aber nicht aus, dass alles von Lukaschenko Gesagte tatsächlich passieren könne.