Schusswaffen und Spezialtechnik für das Auseinandertreiben von Protesten wird man in Weißrussland jetzt legitim einsetzen können. Die Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane werden jetzt nicht für den Schaden haften, der durch Waffen zugefügt worden ist. Der Staat verspricht, sie vor dem Zorn des Volkes und Lynchjustiz zu schützen.
Zu Wochenbeginn teilte der Pressedienst von Alexander Lukaschenko mit, dass er zwei Gesetze unterzeichnet habe – „Über den staatlichen Schutz“ und „Über die Änderung von Gesetzen zu Fragen der Gewährleistung der nationalen Sicherheit“. Zuvor hatten diese Dokumente beide Kammern des weißrussischen Parlaments verabschiedet. Der Wortlaut der Dokumente ist bisher nicht veröffentlicht worden. Sie treten in einem Monat in Kraft. Über ihren Inhalt kann man auf der Grundlage jener Informationen urteilen, die offizielle Quellen mitteilen. Unter anderem wird mitgeteilt, dass den Grad der Transparenz der Tätigkeit der Organe des Innern sie selbst „im Rahmen der Gesetzgebung“ bestimmen werden.
Gleichfalls erhalten die Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane das Recht, Kampf- und Spezialtechnik für ein Auseinandertreiben von Protesten einzusetzen und keine Verantwortung für den Schaden zu tragen, den sie im Verlauf der Anwendung von Gewalt, Waffen und Sondermittel zufügen, „wenn der Einsatz legitim erfolgte“. Die Mitarbeiter der Miliz erhalten das Recht, den Bürgern zu verbieten, „Foto- und Videoaufnahmen bei der Vornahme von prozessualen Handlungen, bei Schutz der Ordnung und bei der Gewährleistung der persönlichen und öffentlichen Sicherheit vorzunehmen“, „Audio- und Videoaufnahmen der umgebenden Lage und anderer Menschen durchzuführen“.
Im Grunde genommen gelten all diese Regeln bereits, ungeachtet ihres Fehlens in der Gesetzgebung. Die weißrussischen Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane bewahren seit Beginn der Proteste Anonymität – sie verhüllen die Gesichter mit einer Art Skimütze, sie stellen sich nie vor, vor Gericht machen sie auch mit verhüllten Gesichtern Aussagen, wobei sie sich Iwan Iwanowitsch Iwanow, Pjotr Petrowitsch Petrow usw. nennen. Ihre Handlungen gegenüber den Bürgern werden gleichfalls durch nichts eingeschränkt. Jetzt können sie nicht nur ungehindert Foto- und Videoaufnahmen verbieten, sondern auch einen Bürger an sich ohne eine Erklärung der Ursachen festnehmen.
Am vergangenen Montag fand beispielsweise eine Gerichtsverhandlung gegen die Journalistin des Portals TUT.BY Ljubow Kasperowitsch statt. Man hatte sie am Freitag neben dem Gerichtsgebäude verhaftet, in dem ein Prozess gegen Studenten erfolgt, denen man die Organisierung von Protesten vorwirft. Die junge Frau bereitete darüber einen Beitrag vor und hatte eine offizielle Akkreditierung des Gerichts. Wie sie berichtete, habe ihr keiner irgendwelche Anklagen vorgebracht und die Gründe für die Festnahme erklärt. Während der Gerichtsverhandlung behauptete ein Mitarbeiter der Miliz in Skimütze namens Iwan Iwanowitsch Iwanow, dass sie an einer ungesetzlichen Massenveranstaltung am Gerichtsgebäude teilgenommen hätte. Entsprechend genau solch einem Schema wurden am Gerichtsgebäude in Mogiljow die Journalisten Alexander Burakow und Wladimir Lapzewitsch festgenommen. Sie erhielten jeweils 20 Tage Ordnungshaft.
Die Straffreiheit und Willkür der Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane wurden zur Ursache ihrer Schikanierung seitens bekannter und unbekannter Bürger. Ohne auf den Staat zu hoffen, haben die Menschen versucht, sie selbst zu strafen. Die weißrussischen Gerichte haben jedoch die Bürger hart bestraft, die es gewagt haben, etwas über die Vertreter der Rechtsschutzorgane zu schreiben und umso mehr sie anzutasten. Reale Haftstrafen erhalten die Menschen gleichfalls für moralische Leiden der Rechtsschützer. So begann am 14. Mai die Behandlung des Falls der 29jährigen Mia Mitkjewitsch. Wegen drei Posts mit einer Verurteilung der Gewalt, die nach den Wahlen auf den Straßen Weißrusslands herrschte, und nach der Erklärung „Mag mit ihnen all dies geschehen, was sie dem weißrussischen Volk antun“ drohen dem Mädchen fünf Jahre Lagerhaft. Zuvor war der von Rechtsschützern in Brest getötete Gennadij Schutow ganz und gar posthum des Widerstands gegen sie für schuldig befunden worden.
Das Gesetz „Über den staatlichen Schutz“, das Lukaschenko unterschrieb, setzt diese Politik des Schutzes der Rechtsschützer vor dem Volkszorn fort. Durch das Dokument wird unter anderem die Liste der Kategorien von Personen erweitert, denen ein Staatsschutz bis hin zu einer Veränderung des Äußeren und des Tätigkeitsbereichs für sie und ihre Verwandten gewährt werden kann. Während früher damit Richter, Mitarbeiter der Rechtsschutz- und kontrollierenden Organe sowie die Organe des Staatsschutzes rechnen konnten, so jetzt die Militärangehörigen jeglicher Truppen und Formationen „im Falle der Vornahme eines Schutzes der öffentlichen Ordnung“, Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes des Präsidenten und des Operativ-analytischen Zentrums beim Präsidenten, aber auch „andere Personen“ „im Zusammenhang mit einem Antasten ihrer Sicherheit“, aber auch nahe Verwandte all dieser Bürger.
„Abgeschlossen wird der Prozess der gesetzgeberischen Ausgestaltung des Zustands eines Terrors in Belarus. Jetzt sind die Offiziellen und das sie bedienende Personal auf der Ebene der Gesetzgebung Terroristen“, wertete der Politologe Pawel Usow die Neuerungen der Gesetzgebung. „Das Gesetz stattet sie mit einem durch nichts eingeschränkten Recht auf Gewalt und Willkür aus“, konstatiert er in seinem Telegram-Kanal. „Der Terror wird zu einem kollektiven Produkt… Das Endziel der Politik Lukaschenkos wie auch jeglicher Tyrannei ist, es so zu bewerkstelligen, möglichst viele Menschen in den Machtstrukturen durch Blut zu binden, das heißt: sie zu Verbrechern zu machen. Kollektiver Terror und eine Diktatur sind die beste Methode, um das System zu stabilisieren. Je mehr es hörige Vollstrecker geben wird, desto länger wird das Regime existieren“, meint der Experte.
Es sei daran erinnert, dass Lukaschenko Ende vergangener Woche Gesetze über eine Nichtzulassung einer Rehabilitierung des Nazismus und über eine Bekämpfung des Terrorismus unterschrieb. Der Extremismus-Begriff wird in ihm recht weit ausgelegt. Beispielsweise ist die Verbreitung von vorsätzlich falschen Angaben über die politische, wirtschaftliche, soziale, militärische oder internationale Lage des Landes Extremismus. Entsprechend der sich herausgebildeten weißrussischen Praxis sind falsche Angaben all jene, die nicht der staatlichen Propaganda entsprechen. Aufrufe zur Teilnahme an einer nichtsanktionierten Massenveranstaltung — dies ist ebenfalls Extremismus. De facto ist jeglicher Protest bereits Extremismus, denn es gibt in Weißrussland keine genehmigten Massenprotestaktionen. Gemäß der neuen Gesetzgebung können als extremistische Materialien Symbolik und Attribute eingestuft werden. Dies schafft eine gesetzgeberische Grundlage für die derzeit umfangreich angewandte Praxis von Festnahmen aufgrund weiß-rot-weißer Strümpfe, Schirme, Schals und andere Accessoires und Gegenstände der Kleidung und des Alltags. Entsprechend der alten Gesetzgebung wird dies als Mahnwache eingestuft. Nach Inkrafttreten des Gesetzes wird man das Tragen solcher Accessoires und Gegenstände bereits als Extremismus qualifizieren und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.