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Lukaschenko hat die letzte Trumpfkarte gezückt


Alexander Lukaschenko behauptet, dass er die Krim schon lange als russisches Territorium betrachte, und ist darüber erstaunt, dass immer noch keine weißrussischen Flugzeuge dorthin fliegen. Die Meinungen der Experten, die zu verstehen versuchen, was Lukaschenko in diesem Fall meinte, gehen auseinander.

Am Mittwoch veröffentlichte der Pressedienst Lukaschenkos weiter dessen Offenbarungen über die Anerkennung der Krim als russische und über die Bereitschaft, gegen die Ukraine auf der Seite der Russischen Föderation zu kämpfen. „Ich werde nie auf der Seine des nationalistischen Rauschs sein, der in der Ukraine herrscht. Ich werde alles tun, damit die Ukraine zu unserer wird. Sie ist unsere. Dort ist das Volk unseres. Dies sind meine festen Überzeugungen. Daher werden wir, wenn wir uns, Gott bewahre… Wenn Russland vor einer Aggression seitens der Ukraine steht, in engster Verbindung – juristisch, wirtschaftlich und politisch – mit Russland sein“, zitiert der Pressedienst Lukaschenkos dessen Erklärungen.

Es sei daran erinnert, dass einen Tag zuvor Alexander Lukaschenko bereits erklärt hatte, dass er die Krim de facto und de jure für russisches Territorium halte und mit Ungeduld erwarte, wann Russlands Präsident Wladimir Putin einlade, diese Halbinsel zu besuchen. Das Oberhaupt Weißrusslands zeigte sich bildhaft darüber erstaunt, dass immer noch keine weißrussischen Flugzeuge auf die Krim fliegen würden. „Fliegen wir etwa nicht auf die Krim? Ehrlich gesagt habe ich das nicht einmal gewusst, dass wir nicht auf die Krim fliegen“, sagte er als Antwort auf eine Frage des Direktors der staatlichen russischen Nachrichtenagentur „Russland heute“, Dmitrij Kiseljow. „Wir werden dorthin fliegen, wenn wir dies brauchen“, versprach Lukaschenko.

Das Erstaunen Lukaschenkos hinsichtlich der Nichtvornahme von Flügen auf die Krim hat die Zweifel der Experten bezüglich der Ernsthaftigkeit der Erklärungen des weißrussischen Staatschefs nur bestärkt. Die Sache ist dies, dass er früher bereits zu diesem Thema Überlegungen angestellt und klar zu verstehen gegeben hatte, dass er um die reale Situation der Dinge wisse. Als die Länder der EU und mit ihnen auch die Ukraine zu Beginn des Sommers ihren Luftraum für weißrussische Flugzeuge sperrten, drohte Alexander Lukaschenko der Ukraine an, dass er als Vergeltung auf die Krim fliegen werde. „Was die Krim angeht, registrieren Sie dies: Ich habe gesagt, dass wir diese Frage behandeln…“, hatte er noch zu Beginn des Sommers gesagt. Lukaschenko erläuterte, dass angesichts der unfreundlichen Schließung des ukrainischen Luftraums für weißrussische Flugzeuge die Flüge auf die Krim logische sein würden. Dennoch aber sind bisher keine Flugzeuge (aus Weißrussland) dorthin geflogen.

Wie auch die Erklärungen zu den Flugzeugen so könnten auch die nunmehrigen Eingeständnisse Lukaschenkos Worte bleiben, meinen viele Experten. „Der weißrussische De-facto-Staatschef hat schon lange den Ruf – sagen wir es einmal so – eines Politikers, der ein Herr seines Wortes ist. In dem Sinn: Was der Herr wollte, hat er gegeben. Was er wollte, hat er sich genommen. Da gibt es nichts Neues. Und auch von eben jener Krim war schon vielfach das Unterschiedlichste gesagt worden“, schreibt aus diesem Anlass der politische Analytiker Pjotr Kusnezow in seinem Telegram-Kanal. Der Experte betont, dass das von Lukaschenko Gesagte keinerlei juristische Anerkennung der Krim als ein russisches Territorium sei. „Eine juristische Anerkennung erfolgt zwecks Herstellung gewisser formeller Beziehungen, die auch als eines der Merkmale solch einer Anerkennung dienen werden. Ein Konsulat, eine Handelsvertretung und sonst noch etwas in dieser Art“, urteilt er. „In unserem Fall aber, nach der Erklärung, wonach „wir dies und das und da noch etwas anerkennen“, musste man sich auf die Frage danach, warum nicht einmal Flugzeuge fliegen, herauswinden“ betont der Experte. Pjotr Kusnezow ist sich gewiss, dass man diese Situation zu jeder beliebigen Zeit rückgängig machen könne, „indem man beispielsweise auf falsche Interpretationen verweist. Oder überhaupt ganz simpel, indem man den Anschein erweckt, dass so etwas nicht gesagt worden sei oder überhaupt gar nicht dies gesagt worden sei“.

Pjotr Kusnezow ist sich sicher, dass tatsächlich der Adressat dieser spektakulären Erklärungen von Alexander Lukaschenko der letzten Tage der Westen sei. Gerade ihn erpresse Alexander Lukaschenko mit der Androhung, in Weißrussland Kernwaffen zu stationieren, die Krim anzuerkennen und einen Krieg gegen die Ukraine zu beginnen. „Wir sind bereit, an den Grenzen Kernwaffen aufzustellen. Wir sind bereit, die Krim anzuerkennen. Wir sind bereit, gegen die Ukraine zu kämpfen. Denn wir können ohne Russland nicht umhinkommen. Sie aber wollen nicht mit uns sprechen. Wenn sie aber keinen Krieg und keine Kernwaffen wollen, reden Sie (mit uns)“, derart ist nach Meinung des Experten die Message von Alexander Lukaschenko an die westlichen Politiker.

Alexander Lukaschenko braucht den Westen, um kein Referendum (zur neuen Verfassung – Anmerkung der Redaktion) abzuhalten und keinen Machttransit vorzunehmen, worauf nach Meinung des Analytikers Moskau bestehe. „Es geht um eine Informations- und inhaltliche Attacke, deren einziger Zweck ist, durch Erpressung und ein Ultimatum den Westen zu einem Dialog und einer Deblockierung des „Vektors“ zu nötigen, um die Möglichkeit zu bekommen, von dem schicksalsträchtigen von Moskau aufgezwungenen Referendum „abzuspringen““, sagt er diesbezüglich. Angesichts dessen seien die Erklärungen Lukaschenkos über die Anerkennung der Krim keine Kapitulation gegenüber Moskau, wie viele Experten behaupten, sondern ein Kampf gegen dieses, meint Pjotr Kusnezow.

Im öffentlichen Raum gibt es keine Informationen darüber, was für Verhandlungen Moskau und Brüssel in Bezug auf Weißrussland führen. Pjotr Kusnezow ist der Annahme, dass Alexander Lukaschenko diesbezüglich auch ungute Verdachtsmomente habe, dass sie sich „geeinigt“ haben und gemeinsam Lukaschenko zu einem Machttransit veranlassen werden.

Den Standpunkt, dass „Moskau Druck macht“, vertritt der Politologe Andrej Jelisejew. „Der Kreml macht an allen Fronten Druck und hat die für Lukaschenko so nötige finanzielle Unterstützung nicht nur mit der Unterzeichnung der Integrationsdokumente, sondern auch mit einer eindeutigen Anerkennung der Krim als russische verknüpft“, schreibt der Experte diesbezüglich auf seinem Account im Internet. Andrej Jelisejew denkt, dass Alexander Lukaschenko Russlands finanzielle Unterstützung brauche. Und von ihm auch den Segen zu solch einem Referendum, das ihm erlauben wird, ewig an der Macht zu bleiben. Im Gegenzug müsse Lukaschenko einer tiefgreifenden Integration zustimmen und die Krim anerkennen. „Entsprechend der Absicht Moskaus nehmen die Unterzeichnung der Integrationsabkommen (am 4. November) und deren weitere Umsetzung Belarus die Souveränität in den inneren Angelegenheiten, und die endgültige Anerkennung der Krim als russisch – in den äußeren“, urteilt der Experte.

Unabhängig davon, worin das Ziel der Erklärungen von Alexander Lukaschenko über die Anerkennung der Krim bestand, seien sie seine „letzte Trumpfkarte“, die er für „den Notfall“ in petto hielt“, betont der Politologe Valerij Karbalewitsch. Der Experte pflichtet gleichfalls dem bei, dass dieser äußerste Fall das anstehende Referendum und die Perspektiven von Alexander Lukaschenko, an der Macht zu bleiben, betreffe. Eine wichtige Frage, für die man die Beziehungen mit der Ukraine opfern könne, sei „die Unterstützung jener Variante für einen Transit durch Putin, die sich Lukaschenko ausgedacht hat“, meint der Experte. „Allem nach zu urteilen, gefällt Russlands Präsident nicht sehr dies, was sich Lukaschenko ausgedacht hat. Doch einen Machttransit und ein Verfassungsreferendum entgegen den Plänen Putins vorzunehmen, ist eine riskante Sache. Man muss es mit irgendetwas Wichtigem für den Kreml schmackhaft machen. Die Anerkennung der Krim als russische ist der Preis, den Lukaschenko zu zahlen bereit ist“, meint Valerij Karbalewitsch. Allerdings schließt der Experte auch nicht aus, dass es weiter als bis zu diesen Worten nicht kommen werde.