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Lukaschenko hat die Opposition mit einem „Espen-Kreuz“ belegt


Feiertage wurden zu einem Anlass für spektakuläre Erklärungen Alexander Lukaschenkos. Vom Wesen her setzte er seine politischen Gegner mit den Komplizen der Nazis gleich. Die wiederum warfen ihm eine Spaltung der weißrussischen Gesellschaft vor. Oppositionelle Politologen sind der Auffassung, dass die gegenwärtigen Herrschenden eine „militärische“ Rhetorik ausnutzen und an die Verbrechen der Vergangenheit zwecks Unterdrückung der Protestbewegung appellieren würden.

In diesem Jahr sind zwei Feiertage in Weißrussland faktisch zu einem verschmolzen. Der Tag des Staatswappen und der Flagge der Republik Belarus wird seit 1995 an jedem zweiten Mai-Sonntag begangen. Und dieses Mal fiel er gerade auf den Vorabend des Tages des Sieges. Und die Erklärungen von Alexander Lukaschenko, die bei festlichen Zeremonien, die eine nach der anderen folgten, abgegeben worden waren, wurden zu einer klaren Artikulation seiner Ideologie und zu einer Botschaft à la „Urbi et Orbi“ (lat. „Der Stadt und dem Erdkreis“).

Er erklärte unter anderem, dass der Sieg von 1945 „die weißrussische Nation bewahrte und den Entwicklungsweg aller Generationen von Weißrussen vorausbestimmte sowie zu einem untrennbaren Teil der gesamten nationalen Idee geworden ist“.

Gerade die sowjetische Identität liege der Einheit Russlands und Weißrusslands zugrunde. Und dem Westen werde es laut den Worten Lukaschenkos nicht gelingen, sie zu zerstören. Er empörte sich: „Man wirft uns vor, dass wir Russland unterstützen. Kommen Sie zur Vernunft! Die Weißrussen haben weder ein juristisches noch ein moralisches Recht, Russland nicht zu unterstützen. Wir waren stets zusammen, wir waren immer geeint. Und was auch immer Sie tun, welche Pfeile Sie auch in unsere Richtung schießen mögen, Ihnen wird es nicht gelingen, uns in Stücke zu zerreißen und zu trennen“.

Am Vorabend, beim Feiern des Wappens und der Flagge, die gleichfalls eine offenkundige Kontinuität hinsichtlich der sowjetischen Symbolik aufweisen, betonte der Präsident, dass gerade er der Initiator ihrer Wiedergeburt im unabhängigen Weißrussland gewesen sei. „Ich hatte das erste und das zweite Symbol zur Abstimmung bei einem Referendum gebracht. Möge das Volk bestimmen. Und das Volk hat sich festgelegt… Und keinerlei Häufchen von Nachkommen der Kollaborateure und Verräter kann heute diese Entscheidung ändern“.

Und weiter bestimmte Alexander Lukaschenko recht offenherzig und eindeutig seine Haltung zu der Symbolik, die bei dem erwähnten Referendum eine Niederlage erlitten hatte (wobei die Ursache dafür auf einem anderen Blatt stehen – Anmerkung der Redaktion) und die die Opposition aktiv verwendet, vor allem zur weiß-rot-weißen Flagge (weißrussisch: bel-tschyrvona-bely szjag, umgangssprachlich abgekürzt: BTschB). Das Staatsoberhaupt erklärte: „Die Flagge und das Wappen, ihr Wesen besteht darin, dass sich das ganze Volk, dass wir alle uns vor ihnen verneigen müssen. Dies sind, wenn Sie wollen, weltliche Symbole, dies ist eine profane Ikone im Land. Sagen Sie bitte, wie konnten wir uns vor der BTschB-Flagge und dem anderen verneigen?“.

Der Präsident appellierte unmittelbar an die Opfer und Teilnehmer des Zweiten Weltkrieges: „Sowohl jene, die dies wissen und begreifen, als auch jene, die überlebten, sind noch nicht gestorben. Sie leben. Wir konnten wir uns darauf einlassen, unseren Menschen das Recht zu geben, sie aufzurufen, sich vor jener Symbolik zu verneigen! An jener Symbolik ist das Blut unserer Menschen. An dieser Symbolik haften das Weinen und Stöhnen unserer Kinder, der Kinder von Katyn, von Frauen und Alten… Da sind das Weinen und Stöhnen der Menschen, die in den Konzentrationslagern zu Tode gepeinigt wurden, daran haften Schaden, Verrat und Kollaborantentum“.

Zur gleichen Zeit machte Lukaschenko keinen Hehl daraus, dass er Gründe auch für eine persönliche Ablehnung der alternativen Farben hat. „Wir haben das Jahr 2020 überstanden, haben unterschiedliche Farben und Banner in dieser Zeit zu sehen bekommen. Einerseits ist die schlecht, andererseits aber gut, dass wir diese Fahnen gesehen haben und wer mit ihnen herumzieht“. Und das Staatsoberhaupt versicherte den Zuhörern: „Im Jahr 2020 haben wir ein für alle Mal ein Espen-Kreuz (nicht nur bei den Slawen ein Symbol für eine übernatürliche und unbezwingbare Kraft – Anmerkung der Redaktion) auf das Grab jener gesetzt, die unser Land zerstören und vernichten wollen“.

Die letzte Erklärung erklang recht zweideutig, da gerade am Vorabend die Trauerzeremonie für das am 4. Mai im 87. Lebensjahr verstorbene erste Staatsoberhaupt des unabhängigen Weißrusslands Stanislaw Schuschkjewitsch stattgefunden hatte. An den Trauerveranstaltungen hatten sich tausende Menschen beteiligt. Und der Sarg des Politikers war gerade mit einer weiß-rot-weißen Flagge bedeckt, die durch Alexander Lukaschenko als eine „Kollaboranten“-Flagge gebrandmarkt wird.

Der Politologe Valerij Karbalewitsch kommentierte für die Internetseite der weißrussischen Redaktion des US-Senders „Radio Liberty“ (der in der Russischen Föderation als „ausländischer Agent“ abgestempelt wurde) die Situation im Land so: „Wir haben in Belarus eine gespaltene Gesellschaft. Und ich denke, dass sich diese Spaltung heute auch auf die Haltung zum Zweiten Weltkrieg erstreckt. Bis zum Jahr 2020 hatte die Mehrheit der weißrussischen Gesellschaft vorrangig die Narrative der Offiziellen hinsichtlich jenes Krieges geteilt“.

Aber nach dem Jahr 2020, nach den Massenprotesten haben die Herrschenden versucht, die gesamte weißrussische Protest-Gemeinschaft mit den Nazis gleichzusetzen. Kollaborateure hätten ja die weiß-rot-weiße Flagge verwendet. Die Protestierenden im Jahr 2020 haben sie verwendet. Ergo seien alle, die gegen Lukaschenko auftreten, Nachfahren der Faschisten, die Herrschenden aber – Nachfahren jener, die in jenem Krieg gesiegt hatten. „Solch eine Verwendung jenes Krieges im heutigen politischen Kampf verändert die Ansichten der Protest-Öffentlichkeit. Sie weist den offiziellen Diskurs auch in dieser Frage zurück.

Der politische Kampf offenbare sich sichtbar in einem Krieg von Symbolen und erlaube, ein Appellieren an sie für eine direkte Unterdrückung der Opposition auszunutzen. Dies erklärte in einer Sendung von „Malanka-LIVE“ der Politologe Pawel Usow. „Vom Wesen her gibt es in Belarus jetzt eine Front, und es gibt einen Krieg zur Vernichtung. Das heißt: Die Lukaschenko-Anhänger versuchen, die Werte zu vernichten, die die demokratische Community unterstützt. Sie streben nicht an, irgendwen zu überzeugen oder sie zu ihren Anhängern zu machen“.

Der Experte betonte: „Die Offiziellen werden auf einen großangelegten Massenterror nicht verzichten. Sie werden alles Mögliche tun, um nicht nur irgendwelche Aktivität in Belarus zu unterdrücken, sondern auch weiterhin die Passionara-Aktivisten (Anspielung auf Dolores Ibárruri Gómez, genannt La Pasionaria, eine spanische Kommunistin die leidenschaftlich und engagiert gegen das Franco-Regime auftrat – Anmerkung der Redaktion) aus dem Land zu verdrängen, die aktivsten Vertreter der Gesellschaft, damit in Belarus eine kontrollierbare Masse bleibt“.