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Lukaschenko hat die Politik in die Schule gebracht


Weißrussland verstärkt die ideologische Komponente im System des Bildungswesens. Entsprechend den Ergebnissen der Proteste des vergangenen Jahres sind selbst Kindergärten als Brutstätten der „bunten Revolution“ eingestuft worden. Probleme im Zusammenhang mit einer Rückkehr in die Heimat und der Arbeitsbeschaffung versprechen die Offiziellen auch jenen, die im Ausland studiert haben.

„Die Schule kann nicht außerhalb der Politik stehen. Die Politik dort darf aber nur eine sein, die Politik des Staates. Und lassen Sie uns das Gerede zu diesem Thema beenden“, erklärte Alexander Lukaschenko am Dienstag, als er vor Mitarbeitern des Bildungswesens beim sogenannten Republikanischen Pädagogischen Rat auftrat. Aus dem von Lukaschenko Gesagten folgte, dass man die Lehrer künftig entsprechend ihrer „staatsbürgerlichen Position“ beurteilen wird. „Die staatsbürgerliche und Lebensposition eines Pädagogen, seine Teilnahme am gesellschaftlichen oder politischen Leben des Landes sind das Vorbild, an dem nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer erzogen werden“.

Die Schule erziehe nicht nur die Schüler, sondern, was weitaus schwieriger sei, erziehe sehr viele Eltern um, meint das Staatsoberhaupt Weißrusslands. „Einen Patrioten kann nur ein Patriot erziehen“, ist er sich gewiss. Nach Meinung Lukaschenkos würden die Ereignisse des vergangenen Jahres, insbesondere die Teilnahme junger Menschen an den Protestaktionen belegen, dass die weißrussischen Pädagogen in den Fragen der patriotischen Erziehung unzureichend gearbeitet hätten. „Dies belegen Fakten. All unsere Fehler, die negativen Ereignisse des letzten Jahres – dies sind unsere schulischen Fehlschläge“, konstatierte Lukaschenko.

Die Offiziellen Weißrusslands beabsichtigen, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um künftig keine „Fehler“, das heißt kein Auftreten von Dissidententum, von anderem Denken in der Gesellschaft zuzulassen. Im Zusammenhang damit gibt es Gründe dafür, Restriktionen bei der Arbeitsbeschaffung für jene jungen Menschen zu erwarten, die eine Ausbildung im Ausland erhalten haben. „Man muss sich aufmerksamer anschauen, wer und was man ihnen dort beibringt. Einst habe ich in einer sehr scharfen Form unseren Bildungsminister beauftragt, sich solche vorzunehmen, die ins Ausland gehen und zu uns zurückkehren“, erinnerte Lukaschenko. Nach seinen Worten habe Weißrussland zu Beginn der Pandemie seine verlorenen Kinder freundlicherweise wiederaufgenommen, die man aufgrund der COVID-Einschränkungen aus den europäischen Ländern nach Hause zurückgeschickt hatte. Sie aber hätten dies dem Land mit Undank vergolten, indem sie zu einer Triebkraft der Proteste geworden seien. „Ich habe sie aufgenommen. Und wo sind sie m August vergangenen Jahres gewesen? Auf der anderen Seite der Barrikaden. Sie sind … nun gut gegen mich aufgetreten… Sie traten für eine Zerstörung des eigenen Staates ein, der sie gerade gestern erst auf seinem Territorium aufgenommen hatte“, empörte sich Lukaschenko. „Ich habe den Bildungsminister beauftragt, sich solch eine Ausbildung anzuschauen, denn sie ist zu 100 Prozent zum Schaden. Fahrt los, studiert, doch bleibt ihr bitte auch dort, denn dort bildet man nicht so sehr aus (glauben Sie mir, sie haben es weit bis zu unserer Ausbildung), sondern nimmt an ihnen eine Gehirnwäsche vor und schickt sie zu uns bereits als Agenten mit gewaschenen Hirnen. Dies sind bereits ideelle – wenn nicht Feinde, so Gegner unseres Staates. Und wir müssen gegen sie kämpfen. Sie sind bereits schwer umerziehbare“, erklärte Alexander Lukaschenko.

In den Bewertungen der potenziellen Gefahr ist Weißrusslands Bildungsminister Igor Karpenko noch weiter gegangen. Nach seiner Meinung hätten sich „als Stützpunkte der bunten Revolution“ private Schulen und Kindergärten erwiesen. Dies erklärte er gleichfalls bei seinem Auftritt vor dem Pädagogischen Rat. „Die halblegalen privaten Kindergärten und Schulen unter dem Firmenschild individueller Unternehmer, gesellschaftlicher oder religiöser Vereinigungen wurden mehrheitlich für politische Ziele ausgenutzt, wurden zu Stützpunkten für die bunte Revolution. Und ihre Mitarbeiter und Leiter haben sich in destruktiven Organisationen unterschiedlicher Art wiedergefunden“, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Belta seine Worte.

Der Bildungsminister teilte mit, dass bereits Änderungen an der Gesetzgebung vorbereitet wurden, die die Einführung einer Lizensierung der Tätigkeit von Bildungseinrichtungen vorsehen. Um die Möglichkeit zu haben, Kindergärten, Schulen oder Gymnasien einzurichten, müssen die Unternehmen bestimmten Kriterien entsprechen. „Die Ausbildung und Erziehung der Kinder müssen unter einer aufmerksamen Kontrolle des Staates stehen“, ist sich Karpenko sicher. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass zu einem der Kriterien der Übereinstimmung mit den neuen Anforderungen bei Eröffnung von Kindergärten und Schulen die ideologische Komponente wird. Groß ist die Wahrscheinlichkeit dessen, dass sie künftig nur staatliche sein werden, da Igor Karpenko in der privaten Ausbildung die Gefahr einer Zersetzung der Bevölkerung in Schichten und „der Einrichtung von Kanälen für einen äußeren negativen Einfluss auf das Bildungssystem, die Kinder und Eltern“ sieht.

Die Erklärungen, die durch Alexander Lukaschenko hinsichtlich der neuen Anforderungen an die Bildungseinrichtungen vorgenommen wurden, fügen sich in die Prognose ein, die früher von Experten abgegeben wurde. Die Herrschenden werden jegliche Erscheinungen von Dissidententum bzw. Andersdenken vollkommen beseitigen, um keine Wiederholung dessen zuzulassen, was sich im vergangenen Jahr ereignete. „Er hält sich an den Gedanken fest, dass er noch bis zum Jahr 2025 im Amt sitzen wird“, sagte der politische Kommentator Alexander Klaskowskij hinsichtlich der Pläne von Alexander Lukaschenko. Dafür ist es erforderlich, dass „der Protest nicht einmal das Haupt erhebt“. Im Zusammenhang damit sei „eine der Richtungen in der Politik der Offiziellen – wen nicht einsperren und wenn ins Ausland verdrängen“, urteilt Klaskowskij.

„Sogar die Bolschewiken hatten in den 1920er Jahren ausländische Spezialisten und jene Bürger Russlands, die im Westen studiert hatten, aufgerufen, nach Russland zurückzukehren und die Wissenschaft und Industrie aufzubauen. Selbst das derzeitige Oberhaupt von Nordkorea Kim Jong-un hat in der Schweiz studiert. Afrikanische Diktatoren und kleine Zaren haben selbst im Westen studiert und schicken ihre Kinder zum Studium dorthin. Lukaschenko geht weiter als sie. Er bezeichnet jeden, der in besten Universitäten im Westen studierte, als Feind bzw. Gegner“, schreibt der politische Kommentator Vitalij Tsygankow diesbezüglich in seinem Telegram-Kanal. „Es gibt keinen solchen Schaden, den Lukaschenko nicht bereit wäre, dem Land zwecks Bewahrung seiner Macht und der Herrschaft seiner Ideologie zuzufügen. Wenn mehrere Millionen gezwungen sein werden, das Land zu verlassen, so wird er nicht dagegen sein. Wenn in den weißrussischen Universitäten morgen zu 50 Prozent die Studienplätze nicht belegt sein werden, so wird dies ihn nicht beunruhigen. Wenn für eine Immatrikulation an den Militärhochschulen 100 (von 400) Punkten ausreichend sein werden, wird er sich nur darüber freuen. „Je mehr Holzköpfe in der Armee sein werden, umso stärker die Verteidigung“, resümiert der Experte.

Wie mitgeteilt wurde, haben die Hochschule in diesem Jahr rund 1000 Studenten weniger (als der Plan vorsah) immatrikulieren können. Durch zusätzliche Ausschreibungen gelang es, die Hälfte der freigebliebenen Studienplätze zu besetzen. Doch etwa 500 sind vakante geblieben. Dies hängt unter anderem auch damit zusammen, dass die Weißrussen, die Repressalien ausgesetzt wurden oder einfach nicht unter den Bedingungen einer totalen Bekämpfung jeglichen Dissidententums bzw. Andersdenken leben wollen, massenhaft das Land verlassen. Laut jüngsten Angaben haben Litauen und Polen über 120.000 Visa für Weißrussen ausgestellt. Nicht so viele, aber auch mehrere tausend sind nach Lettland, Tschechien und Russland gegangen. Zwischen der Ukraine und Weißrussland besteht keine Visumspflicht. Und laut Angaben des litauischen Grenzdienstes haben 100.000 Weißrussen die Grenze passiert. Der Auswanderungsprozess gewinnt bisher nur an Tempo, und der Staat fördert auf jegliche Weise die Ausreise jener, die mit der gegenwärtigen Politik nicht einverstanden sind. Freilich ist man sich da wohl nicht der weitreichenden Konsequenzen solch eines Exodus für das Land bewusst.