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Lukaschenko hat Gewalt als Mittel zur Lösung der politischen Probleme ausgewählt


Das Urteil gegen die Bürgerin Russlands und Administratorin eines weißrussischen oppositionellen Internetkanals Sophia Sapega ist in Kraft getreten. Die Zwangslandung eines Ryanair-Jets auf dem Flug von Athen nach Vilnius, die vor einem Jahr erfolgte, brachte sie auf die Anklagebank, hatte aber für die Offiziellen von Weißrussland auch nicht wenige Probleme verursacht. Die Vertreter des Westens versprechen, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die Schuld an den Zwischenfall tragen. Und sie betrachten diesen Vorfall als eine Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft.

Das Oberste Gericht der Republik Belarus teilte mit: „Das Urteil des Gebietsgerichts von Grodno gegen Sapega ist nicht angefochten worden und ist legitim in Kraft getreten“. Gegen die Verurteilte wurde eine Bestrafung in Form von sechs Jahren Freiheitsentzug mit Verbüßung in einem Straflager mit allgemeinen Haftbedingungen verhängt. Allerdings habe das Mädchen laut Aussagen ihrer Verwandten ein Gnadengesuch an Präsident Alexander Lukaschenko geschrieben. Damit ist augenscheinlich auch der Verzicht auf eine Berufung zu erklären.

Sapega war Administratorin des Telegram-Kanals „Schwarzes Buch von Belarus“, der in der Republik als ein extremistischer eingestuft wurde. Das 24jährige Mädchen wurde des Schürens sozialer Feindschaft und Zwietracht, aber auch des ungesetzlichen Sammelns und Verbreitens von Angaben über das Privatleben, was einen Schaden für die Rechte, Freiheiten und legitimen Interessen der Betroffenen nach sich gezogen hat, bezichtigt.

Sophia Sapega war zusammen mit ihrem damaligen Freund, dem früheren Chefredakteur des gleichfalls als extremistisch eingestuften Telegram-Kanals NEXTA Roman Protassewitsch von weißrussischen Rechtsschützern Ende Mai letzten Jahres nach einer erzwungenen Landung eines nach Vilnius fliegenden Ryanair-Jets in Minsk festgenommen worden (Protassewitsch hat sich inzwischen auf die Seite der weißrussischen Offiziellen gestellt und auch Sophia den Laufpass gegeben, um jüngst eine Weißrussin zu ehelichen – Anmerkung der Redaktion) Der Ryanair-Zwischenfall hatte weitreichende Konsequenzen. Viele große Fluggesellschaft erklärten, dass sie die Flüge über Weißrussland einstellen würden. Die USA ließen die früher ausgesetzten Sanktionen gegen neun weißrussische Staatsunternehmen der Petrolchemie wiederaufleben. Später hat die EU Flüge von Jets aller staatlichen weißrussischen Airlines über dem Territorium der Europäischen Union untersagt. Die Europäische Kommission legte die finanzielle Hilfe für Weißrussland über drei Milliarden Euro auf Eis. Und der Europäische Rat verhängte sektorale Sanktionen, die ein Verbot für Lieferungen von Waren und Technologien mit einer Zweifach-Zweckbestimmung, Restriktionen für den Handel mit Erdölprodukten, Kalidünger und Waren, die für die Herstellung von Tabakerzeugnissen erforderlich sind, vorsahen.

Das heißt: Der Preis erwies sich als ein unermesslich hoher. Und es versteht sich, dass für Alexander Lukaschenko dieses Thema ein äußerst schmerzhaftes bleibt, was sich im Verlauf seines jüngsten Interviews für die US-amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press offenbarte. „Ich vernehme irgendwie nicht dieses Thema. Was zählen Sie es nicht als eine Beanstandung mir gegenüber auf? Weil dies von Ihrer Seite aus ein Fake war. Da haben sich Spezialisten der ICAO Klarheit verschafft. Es gibt keine Gründe, um gegen uns Beschwerden vorzubringen. Und da herrscht auf einmal Stille. Und bald wird sich dies alles verflüchtigen. Ihre Sanktionen sind nicht legitim“, erklärte Alexander Lukaschenko.

Aber bald erhielt er eine seine Aussage dementierende Antwort von der Weißrussland-Beauftragten der Vereinigten Julie Fisher: „Vor einem Jahr hat das Lukaschenko-Regime in Belarus den Ryanair-Flug 4978 gezwungen, in Minsk zu landen, nachdem die Gefahr eines Sprengstoffanschlags vorgelogen wurde… Die Länder der ganzen Welt arbeiten schon lange zusammen, um die Sicherheit von Passagierflügen zu gewährleisten. Aber der Regime von Lukaschenko hatte vorsätzlich dieses Vertrauen untergraben, indem es einen internationalen Flug umlenkte, um ein Andersdenken zu unterdrücken, um unabhängige Stimmen zum Schweigen zu nötigen und um den Opponenten das düstere Signal zu senden, dass es für sie, selbst wenn sie sich außerhalb von Belarus befinden, keine Sicherheitsgarantien gibt“.

Die Sonderbeauftragte warnte: „Die Vereinigten Staaten stehen zur Arbeit mit unseren Partnern, um die hauptsächlichen Beteiligten dieser Aktion zur Verantwortung zu ziehen, die nicht nur die internationalen Normen und das Strafrecht der USA verletzte, sondern auch das Leben von Bürgern der USA und anderer unschuldiger Passagiere an Bord des Ryanair-Flugzeuges an diesem Tag gefährdete“.

Derweil haben es die vor einem Jahr Festgenommenen in der vergangenen Zeit geschafft, ihre Beziehungen nicht nur miteinander, sondern auch mit der Protestbewegung abzubrechen. Protassewitsch, der aktiv mit den Untersuchungsorganen zusammenarbeitet, weshalb er sich nicht hinter Gefängnismauern, sondern unter Hausarrest befindet, erklärte dieser Tage auf seinem Telegram-Kanal: „Natürlich, im öffentlichen Bewusstsein werde ich insgesamt schon nie zu einem „guten Jungen“ werden. Wissen Sie, aus welchem einfachen Grund? Ja, weil man mich nicht sofort für 20 Jahre eingesperrt hat. Wenn ich sofort und für lange hinter Gitter gekommen wäre und die Offiziellen in eine bekannte Richtung geschickt hätte, ja dies wäre eine andere Sache gewesen. Ja, da wäre ich ein Held gewesen! Ja und dann? Nach zwei, drei Monaten hätte man mich bereits vergessen. Und Briefe würden nur die aller Nächsten schicken. Aber warten Sie einmal! Ich rede propagandistischen Unsinn über politische Häftlinge, die die Gesellschaft und die Medien bereits nach ein Paar Monaten vergessen? Nun denn, probieren Sie einmal aus dem Stand heraus die Namen zumindest von 15, 20 politischen Häftlingen zu nennen, von denen es nach Meinung einzelner Organisationen im Land bereits mehr als 1100 gibt“.

Diese Worte sind eine Konstatierung nicht einfach einer persönlichen Aufgabe des Kampfes, sondern des Rückgangs der oppositionellen Aktivitäten, den die Herrschenden zu erreichen vermochten. Den Mechanismus dieses Umbruchs erläutert in seinem Blog der Politologe Valerij Karbalewitsch. „Die Proteste des Jahres 2020 haben das gesamte Paradigma der Landesentwicklung drastisch verändert. Eine Aufrechterhaltung des sozialen Status quo wurde unmöglich. Die Herrschenden standen vor einem Dilemma: entweder sich an die Bedürfnisse und Anforderungen der Gesellschaft anpassen und Reformen beginnen oder den Versuch unternehmen, die Gesellschaft zu zwingen, sich an die Bedürfnisse des Regimes anzupassen. Lukaschenko hatte nicht eine Sekunde geschwankt und eindeutig die zweite Variante gewählt. Dafür wurde unverhohlene Gewalt als einzige und universelle Methode zur Lösung aller Probleme angewandt. Und man kann nicht sagen, dass das Regime in dieser Hinsicht keine Erfolge hat. Die Unzufriedenen werden massenhaft aus dem Land verdrängt. Es nimmt die Zahl der Konsumenten staatlicher Medien zu, was schrittweise die gesellschaftlichen Stimmungen beeinflusst. Folglich kehrt der Totalitarismus ins 21. Jahrhundert zurück, obgleich auch in einer neuen Gestalt“.