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Lukaschenko hat jetzt auch in Betrieben Spione gefunden


Nachdem die Offiziellen Weißrusslands die unabhängigen Medien, die Menschenrechts- und gesellschaftlichen Organisationen zerschlagen haben, haben sie sich nun die Arbeiter vorgenommen. Werkarbeiter bezichtigt man einer Zusammenarbeit mit Geheimdiensten westlicher Länder. Sowohl die Offiziellen als auch ihre Opponenten würden alles unternehmen, um einen hohen Politisierungsgrad der Gesellschaft zu bewahren, konstatieren Experten.

„Schauen Sie sich ihre Mitarbeiter in den Unternehmen an. Ich habe Informationen, dass dort noch mehrere Schufte hier und da geblieben sind. Und sie stellen sich das Ziel, den kollektiven Westen darüber zu informieren, wie Parchomtschik und Nasarow (Pjotr Parchomtschik, Industrieminister; Jurij Nasarow, Vizepremier – „NG“) versuchen, die Sanktionen zu umgehen. Faktisch spionieren sie und übergeben Informationen dorthin“, erklärte Alexander Lukaschenko am Donnerstag, als er diese Beamten mit einem Report empfing. „Einige haben wir gefunden. Sie werden hinter Gittern sitzen – und für lange“, versprach er. Nach Aussagen Lukaschenkos seien die gefassten Spione nicht einfach „Menschen, die ihre staatsbürgerliche Haltung bekunden… Dies sind Menschen, die bewusst für Geld der Geheimdienste des Westens unserer Wirtschaft und genauso unserem Staat schaden“.

Die Untersuchungsorgane haben nichts über Strafverfahren aufgrund von Fakten einer Spionage gemeldet. Solche Informationen haben auch die staatlichen Propagandisten nicht mitgeteilt, die traditionell spektakuläre Untersuchungen ankündigen. Über festgenommene Werkarbeiter berichten jedoch Menschenrechtler. Laut Angaben des Menschenrechtszentrums „Wesna“ gehe es um mindestens 14 am 22. und 23. September Festgenommene. Einige wurden nach einer Befragung freigelassen. Andere sind in Haft genommen worden. Unter anderem sind laut Angaben des Mediums „Nascha Niwa“ fünf Festgenommene in die U-Haftanstalt des KGB gebracht worden. Hausdurchsuchungen erfolgten entsprechend dem Paragrafen „Landesverrat“. Verhaftet wurden Mitarbeiter von „Grodno Asot“ („Grodno Stickstoff“), des Weißrussischen Metallurgie-Werkes und der Weißrussischen Eisenbahn. Dabei handelt es sich um gegenwärtig arbeitende als auch bereits erlassene Personen. Sie hatten mit der Tätigkeit des Streikkomitees und der unabhängigen Gewerkschaft zu tun. Anfangs hatten einheimische Beobachter die Festnahmen mit Erklärungen von Opponenten der Herrschenden über einen sich in Vorbereitung befindenden Streik in Verbindung gebracht. Die Erklärungen von Alexander Lukaschenko geben jedoch Anlass zu dem Gedanken, dass es um Spionage-Vorwürfe gehen kann.

„Dass man angefangen hat, Spionage in den Unternehmen zu suchen, ist ein natürliches Ergebnis der Feindmanie-Kampagne, die bereits rund ein Jahr verfolgt wird. Ich schließe nicht aus, dass man bald auch in Kolchosen Spione finden wird, die das Vieh vergiften wollten. Dies ist die Logik des Jahres (19)37. Damals hatte man auch Spione gefunden, die die Ernte vernichteten“, kommentierte der Politologe Valerij Karbalewitsch die Erklärungen von Alexander Lukaschenko. Der Experte nimmt an, dass die Suche nach Spionen doch mit der Diskussion von Möglichkeiten für einen Streik auf mehreren oppositionellen Informationsportalen im Internet zusammenhänge. „Sicherlich haben sie die Herrschenden verschreckt, und sie versuchen, irgendwelche präventiven Maßnahmen zu ergreifen“, urteilt der Gesprächspartner der „NG“. Zur gleichen Zeit glaube er aber an keine realen Spione. „Ich stelle mir schwer vor, dass irgendein Arbeitnehmer beispielsweise von „Grodno Asot“ weiß, wie der Direktor des Betriebs beabsichtigt, Sanktionen zu umgehen“, sagte Valerij Karbalewitsch.

Wie bereits Experten betonten, würden das Ausbleiben von massenhaften Protestaktionen und die Erklärungen von Vertretern der Herrschenden, wonach die Situation im Land stabilisiert worden sei, ganz und gar nicht bedeuten, dass die politische Krise vorbei sei. Mehr noch, die Herrschenden würden mit ihren Handlungen den hohen Politisierungsgrad der Gesellschaft aufrechterhalten. „Früher, alle 26 Jahre der Herrschaft von Lukaschenko, haben sich die Herrschenden an die Strategie einer Entpolitisierung gehalten, wobei sie die Menschen davon überzeugten, sich mit allem Möglichen, aber nur nicht mit Politik zu befassen: Ihnen können die Herrschenden nicht gefallen. Das Wichtigste aber ist: Schweigen Sie! Eine öffentliche Unterstützung hat keiner gefordert. Nach den Ereignissen vom August vergangenen Jahres begannen die Offiziellen von allen zu fordern, sich klar festzulegen, mit wem sie sind. Man verlangt, irgendwelche Briefe zur Unterstützung der Herrschenden zu unterschreiben. Und alle, die nicht unterschreiben, nimmt man ins Visier. Das heißt, es erfolgt eine künstliche Politisierung der Gesellschaft“, nimmt Valerij Karbalewitsch an. Die Politisierung sei natürlich kein Selbstzweck. Sie sei lediglich eine „Nebenwirkung der erzwungenen Loyalität“, betont der Expert.

Die Opponenten der Herrschenden leisten gleichfalls ihren Beitrag zur Politisierung der Gesellschaft und Forcierung des zivilen Widerstands. Unter anderem sind in der letzten Zeit die sogenannten Cyber-Partisanen aktiver geworden. Dies ist eine Gruppe von IT-Spezialisten, von Teilnehmern der durch Oppositionelle gebildeten Bewegung „Widerstand“, die staatliche Datenbanken hacken, insbesondere Datenbanken des Innenministeriums, und diese öffentlich zugänglich machen. Wer diese Menschen sind und wo sie sich territorial befinden, ist unbekannt. Diese Informationen werden sorgfältig geheim gehalten.

Ungeachtet des beispiellosen Inhalts der veröffentlichten Informationen, haben sich die Vertreter der Herrschenden bisher nicht öffentlich diesbezüglich geäußert. Lediglich Lukaschenko hat einmal im Verlauf einer Beratung mit Beamten angedeutet, dass, wenn sie nicht in der Lage seien, die Unversehrtheit und den Schutz von Informationen „auf ihren Computern“ zu sichern, mache es Sinn, zur Arbeit mit Papierträgern zurückzukehren. „Schreiben Sie per Hand und legen Sie dies in Ihr Schubfach“, schlug er vor. Auch berichten jene, die aus den Gefängnissen entlassen werden, dass die Veröffentlichung von Fakten dessen, was sich in den Strukturen der Rechtsschutzorgane ereigne, und die Preisgabe von persönlichen Angaben von Vertretern der Rechtsschutzorgane für sie ein schmerzhaftes Thema seien.

Zu Beginn dieser Woche veröffentlichten die Cyber-Partisanen eine „Karte der Denunziationen“. Erstellt wurde sie auf der Grundlage von Anrufen „nicht gleichgültiger Bürger“ bei der Miliz im August vergangenen Jahres. Auf ihr kann man Anschriften sowie die Vor- und Nachnamen von Denunzianten, aber auch den Inhalt der Denunziation finden. Die „netten Menschen“ hatten über Protestmärsche in Höfen, aufgehängte Flaggen und Banner usw. informiert.

Außerdem erschienen auf dem Telegram-Kanal der Cyber-Partisanen Aufnahmen von angeblichen Gesprächen hochrangiger Milizvertreter (auf der Ebene des Ministers, von stellvertretenden Ministern sowie Leitern von Gebiets- und Stadtverwaltungen des Innern), die am Vorabend der Präsidentschaftswahlen geführt wurden. Aus ihnen folgt, dass man die Vertreter der Rechtsschutzorgane im Voraus vorbereitet hatte, „physisch mit jenen zu arbeiten“, die auf die Straßen kommen, unabhängig davon, wie viele Menschen es sein werden und ob sie Aggression demonstrieren. „Zweihundert Leute sind zusammengekommen – ich fange sofort zu „arbeiten“ an“, sagt ein Mann, dessen Stimme einheimische Medien als die Stimme von Igor Podwoiskij, des stellvertretenden Leiters der Hauptverwaltung des Innern der Minsker Stadtverwaltung, identifizierten. Diese Stimme berichtet, dass es Vorschläge gegeben hätte, doch eine größere Aktion abzuwarten (mit etwa 5.000 Teilnehmern). Aber er unterstützte diese Idee nicht. Aus den öffentlich gemachten Gesprächen folgt, dass es die Anweisung von oben gegeben hatte, auch mit jenen „physisch zu arbeiten“, die die Abstimmungsergebnisse in den Wahllokalen abwarten werden. Es sei daran erinnert, dass entsprechend der früher formulierten offiziellen Version die Vertreter der Sicherheits- und Rechtsschutzorgane angefangen hatten, gegen die auf die Straße gekommenen Bürger physische Gewalt anzuwenden, um auf ihr aggressives Verhalten zu reagieren.

„Die Cyber-Partisanen leisten ihren Beitrag zum zivilen Widerstand, indem sie Instrumente der heutigen Epoche anwenden. Durch ihre Tätigkeit geben sie zu verstehen, dass die Zeiten der Anonymität bereits vorbei sind. Früher oder später kommt alles zu Tage, alles wird bekannt“, kommentierte Valerij Karbalewitsch die Situation für die „NG“. „Die ist eine ernsthafte moderne Waffe“, erklärte der Experte zu den Methoden, die von den Cyber-Partisanen genutzt werden. Das Begreifen der Unvermeidbarkeit einer Bestrafung nötigt die einen, die Rechtsschutzorgane zu verlassen, andere dagegen, die sich bereits ernsthaft etwas zu Schulden kommen ließen, bis zum Ende weiterzumachen, da „ein Sturz Lukaschenkos auch dramatische Veränderungen in ihrem persönlichen Schicksal bedeuten wird“.

„Dies sind zweifellos alles Elemente eines Bürgerkrieges. Er hat in Weißrussland bereits im Sommer vergangenen Jahres begonnen und dauert an – sowohl als ein kalter als auch zeitweise als ein heißer, wie dies in der Zeit vom 9. bis 12. August letzten Jahres war, als zehn Menschen ums Leben gekommen waren und Tausende zu Krüppeln gemacht wurden“, resümierte Valerij Karbalewitsch.