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Lukaschenko hat keine Angst vor dem Coronavirus


In Weißrussland ist die Forderung vollkommen aufgehoben worden, medizinische Schutzmasken zu tragen. Präsident Alexander Lukaschenko erklärt, dass das Tempo der Erkrankungsrate bezüglich COVID-19 zurückgehe. Experten sehen keinen Anlass für Optimismus. Die Opponenten der Herrschenden drohen allen mit Prozessen, die die verbrecherischen Anweisungen erfüllen und eine Ansteckung der Bevölkerung fördern.

Am Dienstag hat sich Alexander Lukaschenko erneut in ein Krankenhaus begeben, um persönlich zu demonstrieren, dass er keine Angst vor dem Coronavirus hat. Dieses Mal war er in die Kreisstadt Lida im Verwaltungsgebiet Grodno gekommen. Der Pressedienst des Staatsoberhauptes zeigte Videoaufnahmen, auf denen die Begleiter Lukaschenkos, die in Schutzanzügen und Handschuhen sowie mit Atemschutzmasken und Schutzschilden waren, ihn veranlassen, zumindest eine Atemschutzmaske anzulegen. „Das stört zu arbeiten… Mein Gott… Nun gib’ schon her“, empört sich Lukaschenko und bedient sich demonstrativ reichlich an einer Antiseptik-Flasche, die man ihm für die Behandlung der Hände gereicht hatte. In einem Operationssaal nimmt er die Maske ab, die ihn begleitenden und vollkommen mit individuellen Schutzmitteln versehenen Beamten wenden sich ihm zu und fordern, dass er sie – wie es sich gehört – anlegt. Er ordnet sich unwillig unter.

Im Krankenhaus legte er gegenüber den Medizinern seine Sicht auf die epidemiologische Situation dar: „Natürlich, hat man die Gelegenheit nicht beim Schopfe gepackt… Doch man hat innerhalb einer Woche einen Rückgang von zwei bis vier Prozent erreicht“, sagte er. Die durchschnittliche Zunahme neuer Fälle ist innerhalb der letzten Woche um das 1,5fache zurückgegangen. Die Zahl der eingelieferten Patienten mit einer Pneumonie (Lungenentzündung) bleibt auf dem bisherigen Stand. Dabei hat sich in der letzten Woche die Anzahl der aus der stationären Behandlung entlassenen Patienten um 6,4 Prozent erhöht. 44 Menschen weniger müssen künstlich beatmet werden. Der Verbrauch von Sauerstoff ist im Vergleich zur Vorwoche insgesamt um 1,3 Prozent im Land zurückgegangen. Nach seinen Angaben würden auch die Facheinrichtungen des Gesundheitswesens, die für die Gewährung von Hilfe für COVID-19-Infizierte umfunktioniert worden waren, anfangen, zu ihren eigentlichen Funktionen zurückzukehren.

Die Öffentlichkeit ist weit vom Optimismus Alexander Lukaschenkos entfernt. Wobei dafür nicht einmal die offizielle Statistik gibt. Laut letzten Angaben kommen täglich im Land rund 2.000 neue Erkrankte hinzu. Das Gesundheitsministerium meldet, dass jeden Tag 15 bis 16 Menschen an COVID-19 sterben würden. Offizielle Angaben bezüglich der Sterblichkeit zu bekommen, ist unmöglich, da das weißrussische Statistikamt Belstat alle Angaben, die die Demografie betreffen (sowohl die Zahl der Verstorbenen als auch die der Ausgereisten), zur Verschlusssache erklärte. Ein mehr oder weniger reales Bild vom Geschehen kann man aus einzelnen Daten gewinnen, die aus den Krankenhäusern kommen.

Laut Angaben des Telegram-Kanals von Medizinern „Weiße Kittel“ sind am 24. und 25. Oktober allein im 10. Stadtkrankenhaus von Minsk 16 Menschen gestorben, und in Mogiljow registriert man beispielsweise im Durchschnitt 50 Todesfälle am Tag. Die sich in den Krankenhäusern aufhaltenden Patienten schreiben in den sozialen Netzwerken, dass es keine freien Bettenplätze gebe. In den Netzwerken wurden u. a. Fotos aus Krankenhäusern von Brest und Witebsk gepostet, auf denen Patienten in einer Kantine liegen, in einem Raum vor dem Leichenschauhaus…

Weißrussische Mediziner haben bereits Anfang Oktober Alarm geschlagen. Das Gesundheitsministerium ordnete das obligatorische Tragen von Schutzmasken an, setzte geplante Operationen und medizinische Untersuchungen aus und riet davon ab, Massenveranstaltungen durchzuführen. Und einige örtliche Behörden hatten sie auch gänzlich in ihren Regionen verboten. Jedoch hat sich Alexander Lukaschenko in die Sache eingeschaltet. Und die Aufforderungen hinsichtlich der Notwendigkeit, medizinische Schutzmasken zu tragen, sind überall verschwunden.

Mediziner und Experten halten solch ein Verhalten für ein verbrecherisches. „Ich erkläre es (einmal) in einer Menschensprache. Während der Pandemie, in der die Polikliniken und Krankenstationen im ganzen Land sich vor dem Ansturm der Patienten mit COVID-19 nicht retten können, es an Sauerstoff und Medikamenten mangelt…, die Gewährung von Hilfe für Patienten praktisch mit einer Pathologie, die man ganz planbar behandeln kann, ausgesetzt wurde, die Ärzte gezwungen sind, viele Patienten selbst mit akuten Erkrankungen nach Hause zu schicken, um sich dort auszukurieren, da physisch einfach keine Möglichkeiten für eine Aufnahme zur stationären Behandlung da sind, ohne dem Risiko ausgesetzt zu werden, sich noch mit COVID-19 anzustecken, wird das obligatorische Schutzmasken-Regime an Orten mit einer Massenansammlung von Menschen aufgehoben“, charakterisierte auf seiner Facebook-Seite der bekannte Facharzt für Infektionskrankheiten Nikita Solowej die Situation in Weißrussland. Alle Beamten, die verbrecherische Entscheidungen treffen, „werden sich in der nahen Zukunft vor dem Gesetz und dem weißrussischen Volk (dafür) verantworten müssen“, ist er überzeugt.

Experten unternehmen den Versuch, das mehr als merkwürdige Verhalten von Alexander Lukaschenko zu erklären. Die „NG“ hatte bereits die Meinung jener vorgestellt, die dies als eine gewisse Form der Ablehnung des Westens ansehen. „Der Führer des Volkes kann sich nicht irren. Nie und in Bezug auf nichts. Selbst wenn man sich der ganzen Welt entgegenstellen und dafür einen hohen Preis zahlen muss“, schreibt der Politologe Valerij Karbalewitsch in seinem Telegram-Kanal über noch einen Grund für die Widerspenstigkeit Lukaschenkos.

Lukaschenko bestehe weiter darauf, dass in Weißrussland unter ihm das weltweit beste System des Gesundheitswesens geschaffen worden sei. Daher könnten sich die Weißrussen erlauben, keine Schutzmasken zu tragen und keine Lockdowns zu verhängen. Dies sei noch ein Anlass, die Ernsthaftigkeit des Problems nicht anzuerkennen. „Seine Argumente, wonach die ganze Welt die Richtigkeit des weißrussischen Vorgehens im Kampf gegen dieses Virus anerkannt hätte und jetzt bereits keinen Lockdown verhänge, halten keiner Kritik stand. Denn in den europäischen Ländern ist die Bevölkerungsmehrheit bereits vakziniert worden oder befindet sich im Prozess solch einer Lösung dieses Problems“, meint dabei Valerij Karbalewitsch.

Am Dienstag kommentierte einer der weißrussischen Telegram-Kanäle den erneuten Besuch Lukaschenkos einer „roten Zone“ ohne Schutzmittel und machte sogar eine Verbindung mit den Integrationsfragen aus. Nach Meinung der Autoren des Kanals handele Alexander Lukaschenko so, da er sich nicht mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin treffen und die Integrationsprogramme unterzeichnen wolle. „Lukaschenko besucht offen eine „rote Zone“, wobei er auf die Sanitär-Anforderungen spuckt, damit das Treffen nicht stattfindet. Somit möchte er einen Kontakt mit Putin vermeiden, der zur Unterzeichnung der Integrationsdokumente nötigen wird“.