Alexander Lukaschenko hat Brüssel die Bedingung gestellt: Die Migrantenkrise hört auf, wenn man ihn als Präsidenten anerkennt und die Sanktionen aufhebt. In Europa hat man aber vorerst nicht entscheiden, ob es lohne, überhaupt mit ihm zu sprechen.
Darüber, welche Bedingungen Alexander Lukaschenko während des Gesprächs mit Deutschlands amtierender Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte, hat Estlands Außenministerin Eva-Maria Liimets berichtet. Nach ihren Worten verlangte Weißrusslands Staatsoberhaupt als Gegenleistung für die Beendigung der Migrantenkrise an der Grenze zur EU, dass Europa ihn als Präsidenten anerkenne und die Sanktionen aufhebe. Es sei daran erinnert, dass gerade solche Vermutungen hinsichtlich des Gesprächsinhalts und der Absichten Lukaschenkos auch Experten geäußert hatten.
Das offizielle Minsk hatte dies durch Außenminister Wladimir Makei angedeutet und recht geradlinig über die Staatspropagandisten erklärt. Das Gespräch erfolgte am 15. November. Einen Tag zuvor hatte es Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigt, was viele Experten veranlasste, von einem Einfluss Russlands auf den Prozess der Anerkennung Lukaschenkos zu sprechen.
Den offiziellen Erklärungen europäischer Politiker nach zu urteilen, steht für sie bisher nicht die Frage nach einer Anerkennung Lukaschenkos. Viele Länder haben das Telefonat von Angela Merkel vom Prinzip her kritisch bewertet, wobei sie erklärten, dass dies der europäischen Politik zuwiderlaufe. Dies erklärte man unter anderem in Polen. „Polen erkennt keinerlei Vereinbarungen an, die über unsere Köpfe hinweg getroffen werden“, erklärte der Präsident dieses Landes, Andrzej Duda. Den Dialog mit Lukaschenko kritisierte man gleichfalls in Estland. „Dies war eine ernsthafte Enttäuschung, da wir die gemeinsame Position eingenommen hatten, dass wir Lukaschenko nicht als Oberhaupt des weißrussischen Staates anerkennen. Solch ein Kontakt von Merkel verursacht einen recht merkwürdigen Eindruck. Außerdem hat sie dies unter Umgehung von Polen getan, was Putin sehr gefallen haben dürfte“, zitieren europäische Medien eine entsprechende Äußerung des Chefs des außenpolitischen Ausschusses von Estlands Parlament Marko Michelson. In Deutschland selbst stieß die Haltung von Angela Merkel bei vielen auf Unverständnis. Das Mitglied des Bundestagsausschusses für internationale Angelegenheiten Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte, dass Merkel mit ihrem Anruf faktisch Lukaschenko als Präsident entgegen dem anerkannt hätte, dass die EU ihn nicht als solch einen anerkenne. Das in Kiew ansässige weißrussische Nachrichtenportal www.zerkalo.io zitiert Worte des Sprechers der EU-Kommission Peter Stano. „ich kann nur wiederholen, dass Lukaschenko keine Legitimität besitzt und er nach unserer Auffassung kein Präsident ist, nachdem er die Wahlen manipulierte. Er kann nur in dem Fall als Präsident anerkannt werden, wenn er bei freien und ehrlichen Wahlen unter internationaler Beobachtung und im Ergebnis einer Entscheidung der Mehrheit des weißrussischen Volkes gewählt wird“, sagte er.
Die Eskalation des Konflikts an der Grenze einen Tag nach dem Gespräch Lukaschenkos mit Merkel werteten viele Experten als eine weitere Demonstration der Stärke und seiner Siegesgewissheit. Es sei daran erinnert, dass an diesem Tag die Migranten den Versuch unternahmen, die Grenze im Sturm zu nehmen, und die polnischen Militärs zwangen, Tränengas und Wasserwerfer einzusetzen. Dennoch hatte sich aber bis zum Ende des Tages die Situation relativ normalisiert. Die weißrussischen Behörden holten die meisten Migranten von der Grenze weg und brachte sie zur Übernachtung in einem Logistikzentrum unter. Eine kleine Gruppe an der Grenzübergangsstelle Zurückgebliebener verhielt sich relativ friedlich. Mit Stand vom Mittwochmorgen gab es drei Migrantenlager – eins im erwähnten Logistikzentrum, ein zweites an der Grenzübergangsstelle Bruzgi und ein drittes in einem alten Lager entlang der Grenze, dass die Migranten mit Hilfe der weißrussischen Behörden errichtet hatten. Gewaltsame Versuche eines Sturms wurden nicht fixiert. Im Tagesverlauf hat man eine der Migrantengruppen mit Bussen irgendwohin gebracht. Vermutlich erfolgt am Donnerstag (am 18. November) ein Evakuationsflug in den Irak. Den hatte das Transportministerium Weißrusslands angekündigt. Das irakische Außenministerium erklärte, dass sich für ihn nur 170 Menschen gemeldet hätten, obgleich sich laut Angaben des Außenministeriums dort (in Weißrussland – „NG“) um die 600 Bürger dieses Landes befinden würden. Es sei daran erinnert, dass Alexander Lukaschenko einen Tag zuvor behauptet hatte, dass keiner abreisen wolle. Die Staatspropagandisten behaupteten am Mittwoch nach wie vor, dass die Migranten nicht vorhätten, die Belagerung der Grenze endgültig aufzuheben und doch auf die Möglichkeit warten würden, in die EU zu gelangen.
Polen und Weißrussland haben am Dienstag gegenseitig Strafverfahren zu den Ergebnissen der Ereignisse an der Grenze eingeleitet. Die Weißrussen qualifizierten die Handlungen der Polen, die ihre Grenze verteidigten, als „Verbrechen gegen die Sicherheit der Menschheit“. Die Kreisstaatsanwaltschaft in der polnischen Stadt Sokółka leitete ein Verfahren zur Tatsache des Angriffs auf Mitarbeiter ihrer Sicherheits- und bewaffneten Strukturen ein.
„Lukaschenko hat lediglich die „Truppen“ für eine Atempause und Neugruppierung abgezogen. Er wartet auf weitere Schritte der EU“, bewertete der Politologe Pawel Usow die Situation an der Grenze am Mittwoch. Nach seiner Meinung werde, wenn ein fünftes Sanktionspaket in Kraft gesetzt wird, die Attacke mit neuer Stärke beginnen. Bekanntlich hatte die EU am 15. November anstelle des angekündigten Sanktionspaketes irgendwelche nebulösen „Rahmenbedingungen“ verabschiedet, was Experten und die weißrussischen Offiziellen als ein Zurückweichen bewerteten. In dieser Situation sei Lukaschenko in seiner Auffassung nur bestärkt worden und beabsichtige nicht, den Druck zu verringern, meint der Experte. Nach Auffassung von Pawel Usow wird, selbst wenn die Migrantenkrise gelöst werde, „das Regime andeuten, dass das Problem nicht gelöst ist und für ein Vermeiden von Komplikationen eine ständige Verhandlungsplattform nötig ist“. „Ich vermute, die EU wird gezwungen sein, diesen Prozess in Gang zu setzen“, resümiert der Experte.