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Lukaschenko in Erwartung der Frühjahrsproteste


Die Weißrussen bereiten sich vor, im Frühjahr den Herrschenden ihren Protest zu bekunden. Die Offiziellen sprechen von Provokationen, die vorbereitet werden. Das KGB (Komitee für Staatssicherheit) erwartet eine Aktivierung der Proteste im Zeitraum vom 25. bis 27. März. Die Vertreter der weißrussischen bewaffneten und Rechtsschutzorgane versuchen, die Kommunikation der Protest-Öffentlichkeit zu stören. Chats von Höfen werden extremistischen Organisationen gleichgestellt.

Über Pläne, die die Gegner der Herrschenden angeblich schmieden würden, berichtete am 9. März der Chef des weißrussischen KGB Iwan Tertel in einer Abendsendung des Staatsfernsehens. Am Tag zuvor hatte er sich in den Mittagsstunden mit Alexander Lukaschenko getroffen.

Nach Aussagen des KGB-Chefs seien „Versuche zur Stabilisierung der Situation im Land“ für den 25.-27. März geplant. Vorbereiten würden sie „Politemigranten-Wühl-Zentren“ im Ausland, die durch die Anführer der weißrussischen Proteste geschaffen worden seien, „die seinerzeit unser Land verlassen haben und jetzt von ausländischen Geheimdiensten ausgehalten werden“. Aus den Worten des Vorsitzenden des KGB ergab sich, dass den Organisatoren für die „Destabilisierung“ große Geldmengen bereitgestellt worden seien, die sie einfach untereinander aufteilen würden. Für das Auf-die-Straßen-kommen der Menschen würden die Vertreter der weißrussischen Opposition und die Koordinatoren der Haus-Chats haften.

Die Ernsthaftigkeit der Vorbereitung der „Terroristen“ würde nach Aussagen Tertels die bereits vorgenommene Untersuchung der Tätigkeit von zwei terroristischen Gruppen belegen – von Igor Olinjewitsch und Nikolaj Awtuchowitsch (beide sind ehemalige politische Häftlinge). Tertel erklärte, dass sie mit gewissen Kräften im Ausland verbunden seien. Insbesondere „auf dem Territorium Westeuropas, Polens und der Ukraine“. „Wir sehen, dass vom Territorium der Ukraine aus große Lieferungen von Waffen für eine weitere Verwendung zur Destabilisierung der Situation herangeschafft wurden. Geplant wurden Terrorakte sowohl gegen Objekte staatlicher Institutionen als auch gegen einzelne Beamte, darunter mit der Gefahr des Todes einer großen Menge an Bevölkerung“, erklärte der KGB-Chef. Er versprach auch „für später“ Details. Allerdings zeuge nach Meinung einheimischer Beobachter das Ausbleiben von Einzelheiten vom Nichtvorhandensein der Tatsachen an sich, denn, wenn es sie geben würde, würden die Offiziellen über sie an jeder Ecke von ihnen sprechen. Wenn Menschen für einen gekratzten Finger eines Vertreters der bewaffneten und Rechtsschutzorgane reale Haftstrafen erhalten, so hätten sie Terroristen mit Sprengstoff der Öffentlichkeit ganz bestimmt vorgeführt.

Iwan Tertel erklärte, dass dem KGB sich in Vorbereitung befindliche Provokationen „mit möglichen Opfern aus den Reihen der einfachen Bürger und irgendwelchen Ausnahmesituationen“ bekannt seien. Möglich seien Zusammenstöße mit Rechtsschützern und „härtere Szenarios mit Beteiligung dritter Personen und mit Zufügung von Verletzungen an Menschen“. Er legte drei, den weißrussischen Geheimdiensten bekannte Szenarios für die Entwicklung der Ereignisse dar, die sich im Großen und Ganzen lediglich durch den Austragungsort unterscheiden. Die Offiziellen konstatieren, dass die Vertreter der weißrussischen Opposition damit rechnen würden, eine offizielle Genehmigung für die Abhaltung einer Massenveranstaltung am 25. März, am sogenannten Tag des Willens zu erhalten. Die Opposition begeht ihn alljährlich. An diesem Tag war 1918 die Bildung des ersten unabhängigen weißrussischen Staates – der Weißrussischen Volksrepublik – proklamiert worden. In diesem Jahr ist ebenfalls ein Antrag für die Durchführung eines Umzugs, einer Kundgebung und eines Konzerts gestellt worden. Die Antragsteller sind drei politische Kräfte – die Bewegung „Für die Freiheit“, die Weißrussische Volksfront und die Weißrussische sozialdemokratische Partei. Allerdings erklären die Organisatoren, dass im Falle des Ausbleibens einer offiziellen Genehmigung sie die Menschen nicht auf die Straßen rufen würden, da sie nicht bereit seien, die Verantwortung für die Konsequenzen zu übernehmen.

Es sei an der Stelle präzisiert, dass die politische Opposition in Weißrussland und die protestierende Öffentlichkeit unterschiedliche Kräfte sind. Einige Vertreter der Opposition hatten an den Protesten teilgenommen, andere schlossen sich dem Stab der Anführerin der Proteste Swetlana Tichanowskaja an. Jedoch ist die Opposition zu keiner aktiven politischen Kraft der Proteste geworden. Die Protestierenden sind in ihrer Mehrheit aktive Vertreter der Mittelklasse und mittleren Alters, die sich bis zu den Wahlen vom 9. August des vergangenen Jahres nicht mit Politik befasst hatten und nach dem Machtwechsel auch gewillt sind, zu ihrem gewohnten Leben zurückzukehren. Auf die Straßen hatte sie das Gefühl von Ungerechtigkeit im Zusammenhang mit der Fälschung der Wahlergebnisse gebracht. Und dort zu bleiben, hatte die Empörung über den Grad der Gewalt, mit der die Herrschenden auf die friedlichen Proteste der Bürger geantwortet hatte. Ungeachtet des beispiellosen Ausmaßes der Repressalien gegenüber den Teilnehmern der Proteste sind sie nicht bereit, „die Seite umzuschlagen“, wie Alexander Lukaschenko vorschlägt. Im Unterschied zur politischen Opposition beabsichtigen die weißrussischen Protestierenden nicht, entsprechend den Regeln der Herrschenden zu spielen, und sind auf einen realen Machtwechsel im Land und nicht auf einen träge verlaufenden Prozess der Konfrontation aus. „Soziologische Untersuchungen bestätigen, dass die Proteststimmungen bei den Menschen nicht nachgelassen haben. 70 bis 80 Prozent sind doch auf einen langwierigen Kampf und für ein Herauskommen zu Protesten eingestellt“, sagte diesbezüglich der Politologe Andrej Jegorow. „Der Protest ist nicht nur nirgends versiegt, sondern hat sich gar ausgedehnt… Die Manifestationen sind eingestellt worden. Sie haben aber bereits alles gesagt. Politisch sind die Forderungen der Gesellschaft formuliert worden“, erklärte Sergej Antontschik, Ex-Abgeordneter des Obersten Sowjets der 12. Legislaturperiode und Anführer der Protestbewegung der 90er. Dabei rief er auf, keine Tragödie aus der Einstellung der Massenaktionen zu machen. Dies sagte er in einem Interview für die Internetseite „Weißrussischer Partisan“.

Die Offiziellen warnen, dass die Konsequenzen der nichtsanktionierten Straßenaktionen harte sein werden. „Wir werden nicht schwanken. Unterbinden werden wir gemäß dem Gesetz, aber hart. Wir werden unbedingt das Grundprinzip der Rechtsprechung gewährleisten – die Unausweichlichkeit einer Bestrafung für das Begangene“, warnte Iwan Tertel und rief die Bürger auf, sich nicht provozieren zu lassen. Die Herrschenden begreifen jedoch auch, dass eine Gefahr unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht nur die Straßenaktionen, sondern auch jegliche Formen einer Kommunikation der auf Proteste eingestellten Bevölkerung darstellen. Im Zusammenhang damit hat das Untersuchungskomitee im Vorfeld des Protest-Frühlings erklärt, dass es selbst Hof-Chats auf Telegram als extremistische Organisationen ansehen werde. „In den vergangenen Monaten haben sogenannte Hof-Chats große Popularität unter der Bevölkerung gewonnen. Durch die Untersuchungsbehörden sind mehrfache Tatsachen ermittelt worden, wonach sie zu extremistischen Formationen auswachsen, deren Hauptausrichtung radikale Aktionen sind. Wir lenken die Aufmerksamkeit der Bürger darauf, dass im Weiteren deren Administratoren gemäß Artikel 3611 des Strafgesetzbuches der Republik Belarus haften werden“, heißt es in einer Mitteilung des Untersuchungskomitees, die am 10. März auf der Internetseite der Behörde veröffentlicht wurde.

Am vergangenen Mittwoch teilte das Untersuchungskomitee Weißrusslands gleichfalls mit, dass es beabsichtige, noch einen Telegram-Kanal – „MotolkoPomogi“ („Motolko hilf’“) – als einen extremistischen anzuerkennen. Dieser wurde nach seinem Gründer, dem Stadtaktivisten, der sich bis zu den Protesten mit der Lösung lokaler städtischer Probleme befasst hatte, Anton Motolko benannt. Gegen ihn selbst wurde ein Strafverfahren eingeleitet. „Gewonnen wurden Beweise über eine Beteiligung des Bloggers A. Motolko an der Verübung einer Reihe von Straftaten, darunter der durch Artikel 293 (Massenunruhen) und Artikel 342 (Organisation und Vorbereitung von Handlungen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen) des Strafgesetzbuches der Republik Belarus vorgesehenen (Straftaten)“, heißt es in der entsprechenden Mitteilung des Untersuchungskomitees. „Die ausgewiesenen Handlungen wurde auch unter Nutzung des durch ihn verwalteten Telegram-Kanals begangen… Außerdem hat A. Motolko, in Vorabsprache mit nichtermittelten Personen, die sich außerhalb der Republik Belarus befinden, handelnd, zwecks Vornahme einer widerrechtlichen Tätigkeit extremistische Gruppen (sogenannte Hof-Chats) vereint, eine extremistische Formation geschaffen und führt sie an“, zählte das Untersuchungskomitee die Verbrechen von Anton Motolko auf. „Jetzt sind wir alle Extremisten“, resümieren die Weißrussen in den sozialen Netzwerken.