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Lukaschenko kam auf die Liste der Feinde der Pressefreiheit


Der Name Lukaschenko ist in einer Liste der Feinde der Pressefreiheit neben 36 anderen aufgetaucht. Diesen zweifelhaften Status bekräftigend, haben die Behörden Weißrusslands das Korrespondentenbüro von „Euroradio“ geschlossen. Die Herrschenden halten unabhängige Massenmedien beinahe für die Organisatoren der Proteste des vergangenen Jahres und beabsichtigen, sie vollkommen zu vernichten, meinen Experten.

Eine neue Liste der weltweit größten „Feindinnen und Feinde der Pressefreiheit“ veröffentlichte am Montag, dem 5. Juli die internationale nichtstaatliche Organisation „Reporter ohne Grenzen“. In diesem Jahr umfasst sie 37 Staats- und Regierungschefs, die den härtesten Druck auf Journalisten ausüben. Neben Alexander Lukaschenko stehen auf ihr die Staats- und Regierungsoberhäupter Russlands, Chinas, Nordkoreas, Hongkongs, Turkmenistans, Tadschikistans, Aserbaidschans, Brasiliens und sogar des EU-Landes Ungarn. Die Autoren des Reports betonen, dass erstmals zwei Frauen auf die Liste gesetzt worden sind – Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam und Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina.

Alle Feinde der Pressefreiheit hätten ihre eigenen Methoden, wird in dem Bericht konstatiert. In Bezug auf Alexander Lukaschenko ist von Staatsterror die Rede, der sich im August 2020 „beispiellos verschärfte“. Die Autoren des Berichts heben die massenhaften Festnahmen von Journalisten, die Drohungen, Gewalt, Folterungen, die Abschaltung des Internets und Zensur hervor. Alexander Lukaschenko „kriminalisierte“ die Gesetzgebung für die Massenmedien. Unter anderem werden jene, die nichtsanktionierte Veranstaltungen covern, den Teilnehmern gleichgesetzt. Live-Streams von solchen Veranstaltungen sind verboten worden. Das dem Präsidenten unterstehende Justizsystem qualifiziert die Arbeit von Journalisten als Extremismus. Die Ausmaße der Repressalien nötigten viele Journalisten, ins Ausland zu fliehen, insbesondere nach Polen, in die Ukraine und in die Länder des Baltikums, heißt es in der Übersicht. Erwähnt werden dort auch die Schließung der Nachrichtenseite TUT.BY und die erzwungene Landung eines Ryanair-Flugzeugs, um den Journalisten Roman Protasewitsch festzunehmen.

Am Tag der Veröffentlichung des Verzeichnisses der „Feinde der Pressefreiheit“ wurde bekannt, dass die Behörden Weißrusslands das Korrespondentenbüro von „Euroradio“ in Minsk schlossen, das seit 2009 in der Hauptstadt arbeitete. Zuvor hatten die Offiziellen Weißrusslands im Oktober letzten Jahres vor dem Hintergrund der Protestaktionen den Korrespondenten von „Euroradio“ (der Sender ist in Polen registriert) neben anderen Vertretern ausländischer Medien die Akkreditierung entzogen. Damals hatten sie eine Neuregistrierung auf der Grundlage neuer Bedingungen bekanntgegeben. Die heute arbeitenden Journalisten konnten jedoch die neuen Bedingungen nicht einhalten. Die Behörden Weißrusslands fordern unter anderem, dass die ausländischen Staaten in ihr Land Bürger der eigenen Länder entsenden und keine weißrussischen einstellen. Auf die Frage „warum“ antwortend, teilte der weißrussische Außenminister Wladimir Makej „offen“ mit, dass „es in früheren Zeiten in der Praxis so war, dass eine Reihe von Medien, in erster Linie des Westens, in Belarus Opponenten der Herrschenden als ihre Journalisten akkreditierten“, und sie hätten „ideologisch infizierte“ Beiträge vorbereitet. Im Übrigen sind auch die russischen Medien unter die neuen Akkreditierungsregeln gefallen. Beispielsweise ist von den drei Korrespondenten der staatlichen Nachrichtenagentur TASS nur einer akkreditiert worden. Die anderen würden nach Aussagen von Wladimir Makej nicht jenen Kriterien entsprechen, denen die Journalisten entsprechen müssten.

Die Journalisten des geschlossenen „Euroradio“-Büros an sich bringen diese Schließung mit der Verhängung der europäischen Sanktionen in einen Zusammenhang. „Wahrscheinlich ist dies eine der Antworten der weißrussischen Offiziellen auf die Sanktionen seitens der EU. Wir haben offiziell elf Jahre in Minsk gearbeitet. Dass die Behörden das Korrespondentenbüro gerade jetzt, nach der Inkraftsetzung des „vierten (Sanktions-) Paketes“ und den sektoralen Sanktionen schließen, die ist wohl kaum ein Zufall“, kommentierte „Euroradio“ die Situation auf seiner Internetseite. Die Mitarbeiter erklärten, dass sie nicht planen würden, weder die Arbeit einzustellen noch „in den Untergrund zu gehen“. „Wir werden gemäß dem Prozedere handeln und weiter arbeiten. Wir haben ein Office in Warschau, dass die Behörden Weißrusslands nicht schließen können“, erklärten sie.

Allerdings gehe es nach Meinung von Experten nicht nur um die Sanktionen. Die Offiziellen Weißrusslands würden unabhängig von den Sanktionen gewillt sein, vom Prinzip her den Informationsraum vollkommen zu bereinigen. Solch eine Meinung äußerte unter anderem der Politologe Valerij Karbalewitsch gegenüber der „NG“. „Für mich ist ein sehr wichtiges Symptom das, was die Behörden mit TUT.BY machen wollen (das Informationsprodukt des geschlossenen Internetportals TUT.BY wollen die Behörden als ein extremistisches anerkennen – „NG“). Allem nach zu urteilen, wollen sie jetzt WJA (Weißrussische Journalistenassoziation, die Vertreter nichtstaatlicher Medien vereint. Ende Juni hatte das Justizministerium eine Überprüfung deren Tätigkeit begonnen. – „NG“) liquidieren. TUT.BY ist solch, wissen Sie, Symptom… Alle Materialien des Portals als extremistische erklären, dies bedeutet, dass alle Journalisten, die dort arbeiteten, automatisch unter den Extremismus-Paragrafen fallen. Ich denke, dass mit allen anderen unabhängigen Massenmedien im Weiteren genau das Gleiche passieren wird“, sagte der Experte. Nach seiner Meinung ergebe sich jetzt für die Journalisten der unabhängigen Medien, die in Weißrussland arbeiten, ein Dilemma – „entweder ausreisen oder ins Gefängnis kommen oder den Beruf aufgeben“. „Vielleicht wird es in Belarus auch kein Nordkorea geben, aber durchaus etwas Ähnliches wie in Aserbaidschan. Dort sind die unabhängigen Massenmedien liquidiert worden. Und das macht nichts. Aserbaidschan hat keine schlechten Beziehungen mit dem Westen“, konstatierte Karbalewitsch.

Hinsichtlich der Ursachen für solch eine Haltung gegenüber den Medien erklärte der Experte, dass Alexander Lukaschenko gerade sie für die Schuldigen all dessen halte, was sich im vergangenen Jahr ereignete. „Die informationsseitige Bedrohung sei das Wichtigste, meinen die Offiziellen. Gerade die Medien hätten alle Ereignisse des vergangenen Jahres „angezettelt“. Gerade sie hätten das gute und arglose Volk, das heilig Lukaschenko geglaubt habe, „vom Wege abgebracht“. Daher müsse man sie auch von Grund aus als eine Klasse liquidieren“, urteilt Karbalewitsch.

Dabei ist er der Auffassung, dass Alexander Lukaschenko in etwas recht habe, wenn er den Massenmedien Vorwürfe mache. „Dass die Herrschenden das Monopol an Informationen verloren haben, ist in der Tat zu einem wichtigen Faktor bei den Ereignissen des vergangenen Jahres geworden. Bisher hatte der Fernseher als Hauptinformationsquelle gedient. Dies war eine Situation. Als das Internet an die erste Stelle trat, verloren die Herrschenden den politischen Kampf. Nunmehr erfolgt der Versuch, den Status quo rückwirkend wiederherzustellen“, sagt der Experte. „Vollkommen das Problem zu lösen, gelingt nicht, da es die Telegram-Kanäle gibt. Man kann sie aber nur aus dem Ausland administrieren. Daher muss derjenige, der arbeiten möchte, ins Ausland gehen“.

Die Experten des Medien-Marktes teilen die Befürchtungen und Stimmungen der politischen Analytiker. Lesja Rudnik, Vertreterin des „Zentrums für neue Ideen“, skizzierte vier Szenarios für die Entwicklung der Situation in der weißrussischen Media-Landschaft der Epoche nach TUT.BY. Das erste – eine noch stärkere Digitalisierung und ein Wechsel des Auditoriums bzw. Publikums zu Telegram und YouTube. Das zweite – der Erhalt von Informationen aus radikaleren Medien und Kanälen. Das dritte – eine „Rückkehr von TUT.BY in einer neuen Gestalt“. Und das gefährlichste und vierte – eine „Entpolitisierung des Auditoriums“, das heißt ein Verlust des Interesses an politischen Informationen. „Schon heute verzichten die Weißrussen auf ein Abo für Telegram-Kanäle aus Sicherheitserwägungen und gewöhnen sich an die Repressalien, die bereits keine heftige Reaktion auslösen. Die Ermüdung durch schlechte Nachrichten und die Anhebung der Wahrnehmungsschwelle von Repressalien kann die Weißrussen in ein Stadium eines zeitweiligen Ausbleibens von Interesse an der Politik zurückbringen“, urteilt die Expertin in einem Beitrag, der auf der Internetseite www.thinktanks.by veröffentlicht wurde. Sie gesteht ein, dass dies auch „eine der Aufgaben des Regimes“ sei und schließt nicht aus, dass die Situation bis zum Auftauchen eines „neuen Fensters von Möglichkeiten für eine Teilnahme an der Politik im Innern des Landes“ andauern könne.

Es sei daran erinnert, dass sich in Weißrussland derzeit über 20 Journalisten hinter Gittern befinden. Einer von ihnen – Andrej Alexandrow – ist entsprechend dem Paragrafen „Landesverrat“ angeklagt worden. Ein Brief mit dem Appell, ihn freizulassen, ist am Montag auf der Internetseite der Menschenrechtsorganisation „Zensur-Index“ veröffentlicht worden. Ihn unterzeichneten 14 internationale Menschenrechtsorganisationen. Die Hälfte der sich in Haft befindenden Journalisten kommt vom durch die Behörden vernichteten populärsten Nachrichtenportal TUT.BY. Dessen Informationen haben täglich drei Millionen Menschen angeklickt – ein Drittel der Bevölkerung Weißrusslands. Man bezichtigt sie der Steuerhinterziehung durch die Nachrichtenseite.

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Am Dienstagvormittag verkündete derweil das Oberste Gericht Weißrusslands sein Urteil gegen den ehemaligen Leiter der „Belgazprombank“ und Hauptrivalen bei den Präsidentschaftswahlen des vergangenen Jahres, Viktor Babariko. Igor Ljubowizkij, Richter des Obersten Gerichts, verkündete ein Strafmaß von 14 Jahren Haft in einem Straflager strengen Regimes aufgrund des Erhalts von Bestechungsgeldern in großem Umfang im Rahmen einer organisierten kriminellen Gruppierung. Überdies entschied das Gericht, dass Babariko eine Strafe von über 47,7 Millionen weißrussischen Rubel (umgerechnet rund 18 Millionen US-Dollar) an den weißrussischen Staat zu zahlen habe.