Der Moskau-Besuch von Weißrusslands Präsident sieht nach den Attacken gegen die „Belgazprombank“ zwiespältig aus.
Alexander Lukaschenko besuchte mit seinen Söhnen am 24. Juni die Siegesparade in Moskau. Das Pikante der Situation besteht darin, dass er seinen Wahlkampf unter antirussischen Losungen führt. Überdies hat er im Zuge damit, dass er mit seinem Hauptkonkurrenten bei den für den 9. August geplanten Wahlen abrechnet, die Bank von „Gazprom“ niedergeschmettert.
„Wladimir Putin hat den weißrussischen Amtskollegen zur Parade eingeladen. Alexander Lukaschenko wird an ihr teilnehmen. Er wird zusammen mit seinen Söhnen auf der Tribüne sein“, hatte am Vorabend die Pressesekretärin von Weißrusslands Präsident, Natalia Eismont, mitgeteilt. „Nun, wir werden fahren und die Parade veranstalten“, hatte Lukaschenko herablassend vor einer Woche, während eines Besuchs von Grodno gesagt. „Aber die Lage ist eine sehr schwere, und wir werden natürlich auf unsere leiblichen Brüder so schauen, damit dies auf uns nicht zurückfällt“, erklärte er hinsichtlich der Coronavirus-Situation.
Überdies ist noch nicht allzu viel Zeit seit der Durchführung der Siegesparade in Weißrussland vergangen, die, wie Analytiker behaupten, der weißrussische Präsident dem russischen zum Trotz veranstaltete, der den Termin für die Feierlichkeiten aufgrund der Coronavirus-Epidemie verschoben hatte.
„Er nimmt eine Art Revanche auch in jenem Konkurrenzkampf um das Erbe des Sieges, der zwischen Minsk und Moskau in den vergangenen Jahren zu beobachten war, und dafür, dass er gewöhnlich in der Rolle eines von Moskau abhängigen Mannes aufgetreten ist. Jetzt aber ergibt sich, dass er da das Zentrum der Feierlichkeiten des 75. Jahrestages des Großen Sieges nach Weißrussland geholt hatte, und Moskau schluckt sozusagen den aufgewirbelten Staub“, sagte aus diesem Anlass der politische Kommentator Alexander Klaskowskij.
Moskau und Minsk hatten das Jahr mit einem Ölkonflikt und ohne unterschriebene Verträge für Öllieferungen nach Weißrussland begonnen. Später, als auf dem Weltmarkt die Gaspreise einbrachen, kamen auch Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf das Erdgas hinzu. „Dies ist doch nicht in Ordnung. Ich rede schon nicht vom Jahr des 75. Jahrestages (des Sieges), in dem man Deutschland das Erdgas für bis zu 70 Dollar (für 1000 Kubikmeter) verkauft, wie meine Informationen belegen (das sah da verschieden aus), aber in keiner Weise für 127 wie für Weißrussland“, empörte er sich hinsichtlich der Gaspreise. Die Seiten führten Verhandlungen, bildeten Arbeitsgruppen, Minsk brachte Vorschläge ein. Dies hatte aber seitens der Moskauer Partner keinerlei Reaktion ausgelöst. Mehr noch, in „Gazprom“ erklärte man, dass Minsk für das Gas 165 Millionen Dollar schulde und der russische Lieferant bereit sei, die Preise sogar für das Jahr 2021 erst nach deren Tilgung zu diskutieren.
All diese Fragen rückten jedoch in den Hintergrund, als in Weißrussland für alle völlig überraschend ein aktiver Wahlkampf begann. Gegen die schon längst von Lukaschenko gezähmte nominelle Opposition trat ein „Schwergewicht“ an, der Chef der „Belgazprombank“, Viktor Babariko. Nach Annahme dieser ambitionierten Entscheidung schied er aus der Bank aus. Dies hat jedoch weder ihm noch der Bank geholfen. In der erfolgreichen Bank wurden überraschenderweise viele Verstöße festgestellt – irgendein Abbuchen von Geldern und die Ausfuhr von Bildern ins Ausland. Gegen 15 ehemalige und gegenwärtige Mitarbeiter der Bank sind Untersuchungen eingeleitet worden. Das Management wurde ohne eine Beteiligung der Hauptaktionäre – von „Gazprom“ und der „Gazprombank“ – von der Leitung der Geschäfte suspendiert und durch eine zeitweilige Verwaltung ersetzt. Babariko selbst kam in die U-Haftanstalt des KGB. Doch was ihm angelastet wird, hat man bisher immer noch nicht mitgeteilt. Generalstaatsanwalt Alexander Konjuk deutete lediglich an, dass es um eine Gefährdung der nationalen Sicherheit gehe.
Die weißrussische Öffentlichkeit wartete vom unmittelbaren Beginn des „Kriegs“ von Alexander Lukaschenko gegen die „Belgazprombank“ an auf eine Reaktion aus Moskau auf das Geschehen. Das hat sich jedoch als selten träge entpuppt. Die „Gazprombank“ erklärte, dass der Anteil der weißrussischen „Tochter“ so nichtig sei, dass das „Management die möglichen wirtschaftlichen Folgen der ausgewiesenen Aktionen der staatlichen Organe der Republik Weißrussland als für die Gruppe unwesentliche bewertet“. Freilich, in Telegram-Kanälen wurde ein Schreiben von „Gazprom“ selbst veröffentlicht, in dem die Aktionen der weißrussischen Rechtsschützer als ungesetzliche und die Rechte ausländischer Investoren verletzende bezeichnet wurden. Laut Aussagen der Leiterin der zeitweiligen Verwaltung, Nadeschda Jermakowa, ist bekannt, dass die russischen Aktionäre eine Zusammenarbeit mit ihr abgelehnt hätten. Als Gerüchte kursierten Informationen über Pläne des russischen Lieferanten, die Gaslieferungen ab dem 1. Juli nach Weißrussland zu stoppen. Dies ist jedoch bisher nicht geschehen.
Experten in Minsk sind auch durch das Ausbleiben einer Reaktion auf die Äußerungen von Alexander Lukaschenko neugierig geworden, der Viktor Babariko mal als eine Kreatur gewisser russischer Oligarchen, die Weißrussland ausplündern wollen, und mal sogar als „Handlanger des Kremls“, der bereit sei, sein Land der Unabhängigkeit zu berauben, bezeichnet. Der weißrussische Präsident weist nicht aus, von wem konkret eine Gefahr ausgeht, doch das Thema eines möglichen Verlusts der Unabhängigkeit, wenn er nicht Präsident werde, erklingt jeden Tag.
„Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass der Kreml bei diesen Wahlen Lukaschenko stürzen will“, konstatiert Alexander Klaskowskij. Für das Ausbleiben einer Reaktion Moskaus versuchen die Experten in Minsk, Erklärungen zu finden. Klaskowskij nimmt unter anderem an, dass man sich im Kreml zufrieden die Hände reiben würde, angesichts dessen, wie Lukaschenko zugebissen und den Köder geschluckt habe. Das nach den Repressalien und dem Sieg des Populismus über die Wirtschaft geschwächte und die Unterstützung des Westens verlorene Weißrussland werde für den Kreml zu einer leichten Beute, vermutet er.
Einzelne Experten schließen nicht aus, dass der weißrussische Präsident Russland bereits irgendetwas als Gegenleistung dafür versprochen habe, dass es die Augen vor seinem Eigensinn während des Wahlkampfs verschließt. Einige Analytiker betonen, dass Alexander Lukaschenko ganz und gar nicht über die russische Führung rede, sondern gewissen Vertretern der russischen Elite Vorhaltungen mache, die sich auch dem Kreml entgegenstellen würden. Nun, und last and least haben bei allen Widersprüchen die Präsidenten beider Länder gegenwärtig ähnliche Interessen – die Macht bewahren. Daher wird Moskau, auch wenn es auf die Ereignisse in Weißrussland zu reagieren beginnt, dies mindestens erst nach dem 1. Juli, nach der Abstimmung zu den Verfassungsänderungen in Russland, tun. Groß war die Wahrscheinlichkeit, dass die unangenehmen Themen am 24. Juni gänzlich ausgeklammert werden. Zumal während der Begegnung mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow in der vergangenen Woche in Minsk weder Lukaschenko noch der Gast aus Russland keinerlei Anlass für Verdachte dahingehend gaben, dass sich in den Beziehungen zwischen beiden Ländern Widersprüche angehäuft haben.