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Lukaschenko rächt sich am Westen durch Einwanderer


In Litauen erwartet man eine Zunahme des Zustroms illegaler Einwanderer vom Territorium Weißrusslands aus. In Minsk erwartet man noch drei Flüge aus dem Irak. Das offizielle Vilnius spricht von einem hybriden Krieg, Minsk – vom Unwillen des Westens, einen Dialog zu führen.

Seit Dienstag schickt der litauische Grenzdienst die illegalen Einwanderer zurück, die vom Territorium Weißrusslands aus gekommen sind. Das meldete das litauische Nachrichtenportal Delfi, wobei es sich auf Litauens stellvertretenden Innenminister Arnoldas Abramavičius berief. Berichtet wird, dass bereits mehrere Gruppen zurückgeführt worden seien. „Litauen kann nicht mehr den ständig zunehmenden Flüchtlingsstrom aufnehmen (mit Stand vom Mittwoch erreichte er bereits 4090 Menschen – Anmerkung der Redaktion). Außerdem ist das illegale Überschreiten der Grenze eine rechtswidrige Handlung“, erläuterte er. Der konservative Politiker scherzte, dass die litauischen Grenzbeamten die illegalen Einwanderer als sich verlaufene Touristen auffassen würden. „Schließlich sind sie in den herrliche Land Belarus gekommen, haben sich an dessen Natur ergötzt und sich verlaufen. Jetzt können sie ihre Belarus-Tour fortsetzen“, erklärte Arnoldas Abramavičius.

Einen Tag zuvor hatte die Innenministerin Litauens Agnė Bilotaitė die Pläne signalisiert, jene Migranten nach Belarus zurückzuführen, die illegal kommen würden. „Zum Schutz der Staatsgrenze und Verhinderung einer Einreise auf das Territorium Litauens werden die Personen, die ungesetzlich die Grenze außerhalb der Übergangsstellen überschreiten, zur nächsten funktionierenden internationalen Übergangsstelle an der Grenze oder in eine diplomatische Vertretung gebracht“, heißt es in einer diesbezüglichen offiziellen Mitteilung.

Die Nachrichtenseite Delfi berichtet gleichfalls, dass in der nächsten Woche, am 10. August, der litauische Seimas (das Landesparlament) zu einer Sondersitzung zusammentreten werde, um zu erörtern, wie man unter den Bedingungen weiter handeln müsse, unter denen das benachbarte Weißrussland gegen Litauen einen Hybrid-Krieg führe. Diskutiert werde die Möglichkeit der Verhängung des Ausnahmezustands. Es geht nicht um dessen Verhängung auf dem Territorium des ganzen Landes, sondern in den grenznahen Gebieten (in einem Streifen von fünf Kilometern von der Grenze) oder in einzelnen grenznahen Kommunen. Das Regime eines Ausnahmezustands werde an und für sich die Probleme lösen, werde aber erlauben, die Armee für einen Schutz der Grenze einzusetzen, erläutert man in Vilnius.

Litauen erwartet nicht, dass das Problem in der nächsten Zeit gelöst wird. Vor einigen Tagen hatten litauische Grenzbeamte behauptet, dass laut ihren Angaben in Grodno 2.000 Migranten auf ihren Grenzübertritt nach Litauen warten würden. Die sorgenvollen Erwartungen der Litauer bestätigt die Zunahme der Flüge aus dem Irak nach Minsk. Auf dem Flugplan des Minsker Airports sind drei weitere Flüge der Fluggesellschaft Iraqi Airways aufgetaucht. Der erste Flug traf bereits am Montag ein. Aus Basra wird am 5. Juli ein Flug erwartet, und aus Erbil – am 7. August. Die Agentur Frontex (Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache), die den litauischen Grenzbeamten hilft, hat ein Video veröffentlicht, in dem zu sehen ist, dass eine Gruppe von illegalen Einwanderern ein Auto begleitet. Die litauischen Grenzbeamten behaupten, dass dies ein Dienstfahrzeug der weißrussischen Geheimdienste gewesen sei.

In Minsk bestreitet man seine Beteiligung an der Zunahme des Einwandererstroms. Dort erklärt man, dass es derer stets so viele gewesen seien, doch früher hätten sich die weißrussischen Grenzer mit ihnen herumgeschlagen. Jetzt würden sie dies nicht tun, da Litauen und die EU alle früheren Vereinbarungen gelöst hätten und sich auf keinen Dialog einlassen würden. „Belarus hat seit April des Jahres 2021 mehrfach und nachdrücklich über alle wenigen, durch Brüssel belassenen Kanäle den Wunsch signalisiert, Konsultationen zu den Migrationsfragen durchzuführen. Und dies sogar unter Berücksichtigung des Aussetzens der Kooperationsprogramme, die früher durch die EU abgestimmt wurden. Ich unterstreiche: Unsere Angebote wie auch die anderen Initiativen in den für alle wichtigen Bereichen sind ohne irgendeine Antwort geblieben“, erklärte am Dienstag der offizielle Sprecher des weißrussischen Außenministeriums Anatolij Glas. „Und jetzt ist nicht eine Stimme in der EU zugunsten eines Dialogs zu vernehmen, der auf eine gemeinsame Lösung des entstandenen Problems abzielt“, erinnerte er und betonte die Bereitschaft des offiziellen Minsk, einen Dialog aufzunehmen.

Vorerst entwickele sich der Konflikt in der Richtung einer weiteren Eskalation, konstatieren Experten. „Die litauische Führung hat beschlossen, den Versuch zu unternehmen, die Migranten zurück nach Belarus zu schicken. Wenn die weißrussischen Behörden beginnen, dem irgendwie entgegenzuwirken, wird dies ein Konflikt zwischen den Grenzern beider Länder. Und geb’ Gott, dass dies nicht zu irgendwelchen gewaltsamen Zusammenstößen führt“, kommentierte der Politologe Valerij Karbalewitsch die Situation für die „NG“.

Die Experten versuchen, die Logik der weißrussischen Offiziellen zu erraten, die den Konflikt täglich verschlimmern. Nach Meinung des politischen Analytikers Pjotr Kusnezow „spielt das offizielle Minsk sein Spiel, in dem es ein recht klares Ziel gibt … Es besteht darin, gar nicht einmal für Litauen…, sondern für die gesamte EU solch ein Problem zu schaffen, das zum Gegenstand für einen Deal und einen „Dialog“ werden könnte, wobei es die Tagesordnung um die Menschenrechte und Repressionen im Land in den Schatten stellt und sie in den Hintergrund schiebt“, schreibt der Experte in seinem Telegram-Kanal.

Nach Meinung von Valerij Karbalewitsch sei das Hauptmotiv von Alexander Lukaschenko doch ein emotionales, dies sei eine Rache überhaupt gegen den Westen und gegen Litauen in Sonderheit, das als einer der ersten begann, eigene Sanktionen zu verhängen, noch bevor es die EU tat. Er schließt jedoch auch das Bestehen rationaler Motive nicht aus – „den Westen, die EU und Litauen zu zwingen, sich in der Sanktionsfrage auf Zugeständnisse einzulassen – das heißt, entweder sie aufzuheben oder zumindest zu lockern“. „Es gibt auch noch eine dritte Aufgabe. Dies ist, Russland zu demonstrieren, dass Belarus in der Avantgarde des Kampfs gegen den Westen ist, allen voran eilt und Russland zeigt, wie man mit dem Westen kämpfen muss. Dies kann gefallen – wenn nicht Putin, so irgendwelchen chauvinistischen Kreisen Russlands, die eifriger für eine Verteidigung Lukaschenkos eintreten werden“, sagte der Experte der „NG“.

Die Experten sind sich in der Bewertung dessen nicht einig, wie sich die Ereignisse weiter entwickeln können. Valerij Karbalewitsch beispielsweise nimmt an, dass die Idee mit der Erpressung zwecks Abwehr der Sanktionen aufgehen könne. „Ich würde nicht sagen, dass dies ein völlig dummes Unterfangen ist. Litauens Außenminister hat bereits erklärt, dass, wenn Belarus beginnen werde, die illegalen Einwanderer zu stoppen, Litauen nicht auf die Verhängung neuer Sanktionen bestehen werde“, erinnerte der Experte. Zur gleichen Zeit ist Pjotr Kusnezow davon überzeugt, dass „Europa genug Willen habe, um das Problem auf solch eine Weise zu lösen, die nicht erlauben wird, es in der Zukunft zu erpressen“.

„Es ist schwer, eine Vermutung zu äußern, was es weiter geben wird. Aber eine Schlussfolgerung kann man aus der Geschichte bestimmt ziehen – die Ungelöstheit der innenpolitischen Krise in Belarus wird dazu führen, dass sich die Krise außerhalb von ihm zu verbreiten beginnt“, formulierte Valerij Karbalewitsch seine Gedanken gegenüber der „NG“. Dies wiederum werde bedeuten, dass „irgendwelche aktiveren internationalen Anstrengungen gebraucht werden, um die innere politische Krise als Urquelle des Schürens regionaler Spannungen zu regeln“.

Nach Meinung des Experten mangele es dem Westen an politischem Willen für die Lösung des „Problems Lukaschenko“. „Die Sanktionspolitik ist nicht vollends realisiert worden. Die Sanktionen, nicht nur, dass sie eine Reihe von Restriktionen enthalten, sie werden auch noch nicht bald zu wirken beginnen. Außerdem könnten die USA ernsthaft die Länder beeinflussen, die das weißrussische politische Regime unterstützen. Und dies ist nicht nur Russland, sondern dies sind auch Kasachstan und Aserbaidschan, die gute Beziehungen mit den Amerikanern haben, die (Vereinigten) Arabischen Emirate, die eine große Freundschaft mit Lukaschenko unterhalten, und eventuell die Türkei. Und mit China kann man sich irgendwie koordinieren und gemeinsame Interessen finden, wenn man sich dem annimmt“, meint Valerij Karbalewitsch.

Was Europa angeht, so lenkt der Politologe das Augenmerk auf Folgendes: „Während Belarus für Litauen, Polen und Lettland ein Problem ist, so sind Spanien und Portugal die weißrussischen Probleme egal. Daher werden die Entscheidungen in der EU lange und schwer gefällt“.