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Lukaschenko stellt Vertreter der Rechtsschutzorgane unter besonderen Schutz


Aus dem Protest-Frühling in Weißrussland ist nichts geworden, konstatieren Experten. Die Unzufriedenheit derjenigen, die auf die Straßen gekommen sind, ist jedoch nicht verschwunden. Die Situation kann sich zu jedem Moment hochschaukeln. In dieser Situation bewahrt das Setzen auf den Block der Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane seine Aktualität. Und die Offiziellen sind bereit, sich auf alles einzulassen, um deren Loyalität zu wahren. Über Maßnahmen zum Schutz der Rechtsschützer berichtete am Sonntag der stellvertretende Staatssekretär des weißrussischen Sicherheitsrates Alexander Rachmanow.

„Auf diese Personen werden sich gleichfalls die zusätzlichen Schutzmaßnahmen in der festgelegten Art und Weise gemäß der Entscheidung des Innenministers erstrecken, die erlauben werden, sowohl der Gesundheit als auch deren Leben sowie deren Eigentum vor jeglichen verbrecherischen Angriffen zu bewahren. Ein recht breites Spektrum dieser Maßnahmen ist im Gesetz „Über den staatlichen Schutz“ vorgesehen worden, angefangen beim physischen Schutz bis hin zu einer Veränderung ihrer Daten. Und vorgesehen ist sogar solch eine Norm – „Veränderung des Äußeren““, erklärte der stellvertretende Staatssekretär des Sicherheitsrates Alexander Rachmanow in einer Sendung eines einheimischen staatlichen TV-Kanals, als er sich über die Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane sowie Journalisten der staatlichen Medien äußerte. Ein großes Interview mit ihm zu Fragen der nationalen Sicherheit war am Sonntagabend ausgestrahlt worden.

Die Notwendigkeit eines Schutzes der Rechtsschützer und Propagandisten hatte sich im Zusammenhang mit der großen Anzahl von Drohungen ergeben, die sie seitens der Bevölkerung erreichen. Laut Angaben des Innenministeriums wurden ab August bis einschließlich Dezember letzten Jahres 332 Strafverfahren aufgrund von Tatsachen einer Verbreitung von Angaben über Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane, die die weißrussische Justiz für verleumderische hält, eingeleitet. Die Rechtsschützer und ihre Familien hatten in dieser Zeit 225 Drohungen und 382 Beleidigungen. Fixiert wurden über 18.000 Fälle einer Preisgabe ihrer Personendaten. Laut Informationen der Generalstaatsanwaltschaft sind bis zum 26. März 102 Straffälle über Beleidigungen von Vertretern der Behörden „während der Ausübung der Dienstpflichten“ an Gerichte übergeben worden. In deren Rahmen gibt es 103 Angeklagte, und 65 Personen sind bereits verurteilt worden.

Für das Berühren eines Rechtsschützerы erhalten Menschen reale Haftstrafen. Der Einwohner Gomels Sergej Werestschagin beispielsweise bekam fünf Jahre Straflager dafür, dass er gemäß der Version der Anklage einem Rechtsschützer bei der Festnahme ins Auge geschlagen habe. Entsprechend seiner Version dafür, dass er sich aus dem Fenster über das Vorgehen von Rechtsschützern empört hatte, die Menschen brutal festgenommen hatten. Dabei hatte man ihn selbst bereits nach der Verhaftung in der Stadtbezirksabteilung des Innern brutal geprügelt. Durch medizinische Dokumente ist bestätigt worden, dass der junge Mann Kopfverletzungen, eine Gehirnerschütterung, Brustkorbverletzungen sowie ein Trauma im Hals- und Lendenwirbelbereich erlitten hatte. Genauso vehement verteidigen die Herrschenden auch die Propagandisten. In der vergangenen Woche erhielt die Übersetzerin Olga Kalazkaja zwei Jahre sogenannte „Haus-Chemie“ (drastisch eingeschränkte Bewegungsfreiheit ohne Verbüßung der Strafe in einem Straflager – Anmerkung der Redaktion) für zwei Ohrfeigen für einen der berüchtigtsten Staatspropagandisten des hiesigen Hauptstadtfernsehens.

Wie Experten betonen, ist es Alexander Lukaschenko gelungen, nur dank einer beispiellosen Gewalt und überaus harter Repressalien die Macht zu behalten. Sie hören auch jetzt nicht auf, ungeachtet dessen, dass dem Protest laut Versicherungen der Machtvertreter „die Puste ausgegangen“ sei.

Es sei daran erinnert, dass ein Herauskommen der protestierenden Öffentlichkeit auf die Straßen ihre Anführer sowohl für den 25. als auch für den 27. März angekündigt hatten. Menschen sind auf die Straßen gekommen, die Dimensionen waren jedoch nicht mit denen vergleichbar, die es im August bis November letzten Jahres gegeben hatte. Und die Hauptursache dafür ist Angst. „Der Preis für ein Herauskommen auf die Straße ist jetzt im Vergleich zum vergangenen Jahr stark angestiegen. Im Sommer und Herbst des Jahres 2020 hatten sich die Menschen nicht so stark vor Festnahmen gefürchtet. Viele hatten gedacht, dass all dies nicht für lange sei, dass alles bald zusammenbreche. Jetzt ist die Situation eine andere“, schreibt diesbezüglich der Politologe Valerij Karbalewitsch. „Die Offiziellen haben eine Haufen Leute und Technik ins Zentrum von Minsk verlegt und haben allen, die aufmucken, Strafverfahren angedroht. Und die Massenaktionen haben nicht stattgefunden. Zwei, drei Jahre Gefängnis aufgrund eines Herauskommens auf die Straßen, um an Protesten teilzunehmen, abzufassen – ist ein zu hoher Preis, selbst wenn dir das derzeitige Regime zum Hals raushängt“, urteilt der politische Kommentator Alexander Klaskowskij auf seinem Telegram-Kanal.

Die Angst und die Gewalt als Faktoren, die die Massenprotesten störten, hat auch die Botschaft der USA hervorgehoben, als sie auf die Ereignisse der letzten Tage in Weißrussland reagierte. „Das Einschüchtern, willkürliche Festnahmen und gewaltsame Verhaftungen friedlicher Weißrussen widerlegen die Behauptung, dass keiner protestieren wolle. Die Gewährung der Möglichkeit für die Weißrussen, friedlich zusammenzukommen, wird die Wahrheit offenbaren“, heißt es in einer Erklärung der US-Botschaft in Minsk.

Ja, und die Erklärungen der Offiziellen bestätigen solch eine Version. Laut Angaben des Innenministeriums hat es am Samstag, dem 27. März in der weißrussischen Hauptstadt keine Massenveranstaltungen gegeben. Dabei sind aber über 100 Menschen festgenommen worden. Laut Angaben von Menschenrechtlern, habe es wesentlich mehr Festgenommene gegeben. In der Liste des Menschenrechtszentrums „Wesna“ sind 245 Namen (mit Stand vom Sonntag, 09.30 Uhr und landesweit – Anmerkung der Redaktion). Unter den Festgenommenen waren erneut Journalisten – von der Zeitung „Nascha Niwa“ und der Informationsplattform TUT.BY, aber auch von russischen Medien. Freilich, bis Ende des Tages wurden sie wieder auf freien Fuß gelassen. Interessant ist, dass man hinsichtlich des Chefredakteurs von „Nascha Niwa“ Jegor Martinowitsch ein Protokoll wegen „Teilnahme an einer ungesetzlichen Massenveranstaltung“ ausstellte, obgleich es laut der Version des Innenministeriums sie an diesem Tag nicht gegeben hatte.

Somit besteht die Aufgabe der Herrschenden darin, einerseits den aus- und den inländischen Informationskonsumenten davon zu überzeugen, dass es keine Proteste gibt, und andererseits den Grad der Repressalien zu verringern. Einschüchtern und nicht bestrafen – derart ist gegenwärtig die Aufgabe der Offiziellen, betonen Experten. Daher werden einfach jene festgenommen, die auf die Straße gegangen sind, die so unvorsichtig waren und an einer Bus- oder Straßenbahn-Haltestelle standen oder in einen Laden gingen.

Nach Meinung des Politologen Igor Tyschkjewitsch werde sich das weißrussische Regime noch mindestens bis Ende des Frühjahrs im Zustand einer stärksten Mobilisierung befinden. Es steht noch der 26. April an, der Tag, an dem die weißrussische Opposition traditionell den Marsch „Tschernobyl-Weg“ veranstaltete. Gleichzeitig aber nehmen die meisten Experten an, dass es schon keine Massenaktionen geben werde, die sowohl die Herrschenden als auch die Anführer der Proteste erwartet hatten. „Die Erwartungen der einen und die Befürchtungen der anderen sind nicht aufgegangen. Es gab lokale Spaziergänge und Partisanen-Flashmobs (weiß-rot-weiße Flaggen an Gebäuden, Feuerwerke u. a.). Zu Massenaktionen war es nicht gekommen. Eine Wiederholung des heißen Sommers und Herbsts des vergangenen Jahres wird es nicht geben“, meint Valerij Karbalewitsch. „Die Straßen-Phase des Protests, die, die wir im vergangenen Jahr beobachten, ist unterdrückt worden“, konstatiert der politische Kommentator Artjom Schreibman. Dabei sind die Experten nicht geneigt, die Auffassung zu vertreten, dass Lukaschenko gesiegt habe. Die Unzufriedenheit über die Herrschenden hat sich nirgendwohin verflüchtigt.