Alexander Lukaschenko hat erklärt, dass Weißrussland in der nächsten Perspektive im Regime einer belagerten Festung leben werde. Er warnte, dass es die Militärausgaben erhöhen und die Repressalien nicht einstellen werde. Nach Meinung von Experten könne solch eine Situation mindestens bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen andauern.
Das Referendum zum Entwurf der neuen Verfassung wird am 27. Februar in Weißrussland stattfinden. Im Zusammenhang damit ist Alexander Lukaschenko mit einer programmatischen Rede vor den Abgeordneten und vor Staatsbeamten aufgetreten. Die Veranstaltung war als Ansprache an das Parlament und das Volk angekündigt worden. Doch bereits im Verlauf des eigentlichen Auftritts teilte er mit, dass es in Weißrussland solch ein Format nicht mehr geben werde. Im Weiteren werde er vor der Gesamtweißrussischen Volksversammlung (GVV) auftreten.
„Dieser Auftritt hat gezeigt, dass Lukaschenko sich nicht anschickt, das Wesen des autoritären Systems zu ändern. Das Publikum, das ihm zuhörte, skizzierte er als Prototyp der künftigen Gesamtweißrussischen Volksversammlung, an die er sich im Weiteren mit solchen Botschaften zu wenden beabsichtigt“, betonte der politische Analytiker Alexander Klaskowskij. Der Experte lenkt das Augenmerk darauf, dass das Volk nicht an der Formierung dieses Publikums teilgenommen habe. „Im Saal hatte man Beamte und erprobte Loyalisten versammelt, die dazu berufen waren, eine breite Volksvertretung zu imitieren“, schreibt Klaskowskij in seinem Telegram-Kanal. Nach seiner Meinung werde man die GVV, die die neue Verfassung verankern wird, „auf genau solch einer undurchsichtigen und weit vom Volk entfernten Art und Weise formen“. „Die heutige herrschende Elite möchte praktisch eine von der Willensbekundung des Volks isolierte politische Konstruktion schaffen, die erlauben werde, alle entscheidenden Staatsfragen im Regime eines Kaffeekränzchens zu lösen“, resümiert der Experte.
Bei der Kommentierung des Lukaschenko-Auftritts sagte der Politologe Valerij Karbalewitsch der „NG“, dass Weißrussland „in einer Ära der Destabilisierung eintritt“. Nach Meinung des Experten ergebe sich aus dem Gesagten von Lukaschenko, dass in der nächsten Perspektive sowohl die innere als auch die äußere Krise andauern würden. Und „es wird kein Zurück zu dem geben, was vor den Präsidentschaftswahlen gewesen war“. „Jetzt ist Lukaschenko kein Stabilisierungsfaktor und kein Garant für die Stabilität, sondern im Gegenteil ein Garant für eine Destabilisierung“, konstatiert der Experte.
Im Verlauf seines Auftritts schloss Lukaschenko nicht aus, dass der Besitz der Opponenten der Offiziellen, die ins Ausland geflohen sind, konfisziert werde. Er rief sie gleichfalls auf, zurückzukehren, Buße zu tun und den dem Land zugefügten Schaden, soweit dies möglich sei, wiedergutzumachen sowie ins Gefängnis zu gehen. „Innerhalb des Landes wird es keinerlei Amnestie geben, keinerlei Versöhnung wird es geben. Alle, die zurückkehren wollen, müssen eine Gefängnishaft absitzen. Und ihr Eigentum wird man konfiszieren“, kommentierte Valerij Karbalewitsch die Pläne der weißrussischen Herrschenden hinsichtlich der Entwicklung der Situation im Land.
Dementsprechend mache es keinen Sinn, eine Verbesserung der Situation auch in der Außenpolitik zu erwarten. Lukaschenko erklärte, dass ihn Signale aus dem Westen „erreichen“, wonach man dort Beziehungen anbahnen wolle, aber es nicht könnten, da sie „das Gesicht wahren“ müssten. „Wir werden Ihnen helfen, das Gesicht zu wahren. Wenn Sie mit uns wirklich und demokratisch zusammenarbeiten wollen, ohne unsere Souveränität und Unabhängigkeit zu verletzen und ohne uns die Frage zu stellen: Sind Sie mit Russland oder gegen Russland?“, formulierte er die Bedingung.
Die Experten stehen der Perspektive der Anbahnung von Beziehungen mit dem Westen recht skeptisch gegenüber. „Lukaschenko hat keine Optionen für eine Rückkehr zu einer Mehr-Vektoren-Politik. Alle begreifen den Unterschied zu den Folgen der Proteste von 2010. Es gibt keine Strategien, die Lukaschenko vorschlagen würden, die politischen Gefangenen in der Hoffnung auf eine Wiederherstellung der politischen Verbindungen mit den benachbarten europäischen Ländern und insgesamt mit dem Westen freizulassen“, sagte aus diesem Anlass der Analytiker iSANS in einer Kolumne für die oppositionelle Internetseite www.reform.by. Mehr noch, nach Meinung des Experten habe Lukaschenko auch in den Augen Putins an Gewicht verloren. „Er hat sich endgültig für Moskau in einen der postsowjetischen Veteranen der politischen Bühne verwandelt“, meint der Analytiker.
In dieser Situation würden Weißrussland eine äußere Krise und weitere Konfrontation mit dem Westen erwarten. „Belarus ist faktisch als ein Element zur Destabilisierung der Region ins Zentrum der Aufmerksamkeit geraten. An die Stelle der Emigrantenkrise sind Militärmanöver gekommen“, konstatiert Valerij Karbalewitsch.
Aus den Erklärungen Lukaschenkos folgte, dass er weiter die militärische Thematik ausbeuten werde. „Seid ihr, die Weißrussen, bereit, für die eigene Verteidigung, für den eigenen Staat zu zahlen?“, fragte er die Landsleute. Er erläuterte, dass unter der Zahlung die Zunahme der Ausgaben für Waffen zu verstehen sei. „Die Aufgabe ist gestellt worden: alles Notwendige für die Verteidigung unseres Vaterlands herzustellen, für die Streitkräfte und die territoriale Verteidigung (dies ist sehr wichtig: Rund 300.000 Menschen werden für die Truppen der Territorialverteidigung mobilisiert werden. Die muss man mit eigenen Waffen und Munition ausrüsten)“, erläuterte er. „Mehr noch, wir haben modernste Waffen im Blick, darunter Raketenwaffen, unter anderem mit Hilfe unserer Verbündeten“, fügte Lukaschenko. „Die Menschen dürfen sich nicht darüber beklagen, dass die Löhne und Gehälter sowie Renten geringe sind, denn die Heimat ist in Gefahr. Geld wird für die Verteidigung gebraucht, deshalb werden Sie nicht kraftlos“, kommentierte Valerij Karbalewitsch diese Erklärung für die „NG“.
„Dies war der Versuch, sich in der Rolle des Präsidenten selbst zu bestätigen, zu beweisen, dass er legitim sowohl für die inneren Subjekte als auch für die äußeren ist. Das heißt: Ich kontrolliere die Situation in Weißrussland. Mit mir muss man rechnen. Dies ist meines Erachtens das Wichtigste in der Botschaft Lukaschenkos“, sagte Valerij Karbalewitsch bei der Gesamtbewertung des vom weißrussischen Staatsoberhaupt Gesagten.
Der Experte konstatierte, dass die Periode einer Destabilisierung, die Lukaschenko verkündete, recht lange andauern könne. „Auf jeden Fall bis 2025, bis zum Ende seiner derzeitigen Kadenz, hat er eindeutig vor zu herrschen“, meint der Gesprächspartner der „NG“. Der Experte lenkte dabei das Augenmerk darauf, dass Lukaschenko in seiner Ansprache versprochen hatte, das Amt zu verlassen, wenn die Situation im Land zu einer stabilen werde. Und „er selbst wird bestimmen, ob sie eine stabile ist oder nicht“.
Wie die „NG“ früher geschrieben hatte, konnten die Pläne Lukaschenkos hinsichtlich des zugesagten Machttransits die Ereignisse in Kasachstan beeinflussen (https://ngdeutschland.de/die-kasachische-lehre-fur-lukaschenko/). Schon damals hatten weißrussische Experten prognostiziert, dass Lukaschenko, nachdem er die Unsicherheit eines Transits entsprechend der Kasachstan-Variante gesehen hat, ihn für unbestimmte Zeit aufschieben oder gänzlich auf ihn verzichten werde. Die von ihm gemachten programmatischen Erklärungen haben diese Prognosen bestätigt.