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Lukaschenkos Ex-Mitstreiter wurde zum Helden eines Agenten-Thrillers


Der Führer der Partei „Weißrussische Volksfront“ Grigorij Kostusjew ist festgenommen und in die U-Haftanstalt des KGB eingeliefert worden. Dort hat sich auch der am Vorabend in Moskau verschwundene Publizist Alexander Feduta angefunden. Experten sprechen von einer Politik der „verbrannten Erde“ in Bezug auf jegliches Andersdenken (Dissidententum) in Weißrussland.

„Durch das Komitee für Staatssicherheit sind im Rahmen der Untersuchung zu einem eingeleiteten Strafverfahren gemäß Artikel 108 der Strafprozessordnung der Republik Belarus entsprechend dem unmittelbar aufgekommenen Verdacht auf die Verübung eines Verbrechens Grigorij Kostusjew und Alexander Feduta festgenommen worden“, meldete am Dienstag die staatliche Nachrichtenagentur Belta. „Nach Vornahme der unaufschiebbaren Untersuchungshandlungen sowie operativer Fahndungsmaßnahmen werden vollständige Informationen zu dieser Situation vorgelegt“, wurde in der Meldung betont.

Es sei präzisiert, dass der Artikel 108 der Strafprozessordnung erlaubt, Bürger für 72 Stunden im Falle eines unmittelbar aufgetretenen Verdachts festzunehmen.

Die Festnahme von Grigorij Kostusjew wurde am späten Montagabend bekannt. Das Menschenrechtszentrum „Wesna“ teilte unter Berufung auf Verwandte mit, dass er als Verdächtiger gemäß Artikel 342 des Strafgesetzbuches „Organisation und Vorbereitung von Handlungen, die die öffentliche Ordnung grob verletzten, oder Teilnahme an ihnen“ verhaftet worden sei. Der Politiker wurde in die U-Haftanstalt des KGB eingeliefert. Am Dienstagmorgen wurde der Schwiegersohn von Grigorij Kostusjew, Dmitrij Antontschik, festgenommen. Man ließ ihn jedoch nach Durchführung einer Durchsuchung bei ihnen auf der Datscha auf freien Fuß. Nach Aussagen von Antontschik nahm man nach der Durchsuchung eine Strikeball-Waffe, den Computersystemblock und Bücher mit.

Die Festnahme von Alexander Feduta ähnelte einem Agentenfilm. Am Montagabend hatte seine Gattin Marina Schibko mitgeteilt, dass der aufgrund von Angelegenheiten nach Moskau gefahrene Alexander Feduta den ganzen Tag nicht zu erreichen sei. Seine Freunde in Moskau riefen alle Krankenhäuser und Leichenschauhäuser ergebnislos an und meldete das Verschwinden des Mannes in der Abteilung des Innern des Presnja-Stadtbezirks. Aus Minsk war Marina Schibko zwecks Suche des Gatten, der sich durch keine starke Gesundheit auszeichnet, gekommen. Erst in der zweiten Tageshälfte des Dienstags meldete die staatliche Nachrichtenagentur Belta, dass sich Feduta angefunden habe – im KGB Weißrusslands.

Aus dem Wortlaut der Meldung kann man den Schluss ziehen, dass Kostusjew und Feduta hinsichtlich ein und desselben Falls festgenommen worden sind. Bisher finden jedoch die Öffentlichkeit und Experten keine Überschneidungspunkte. Wie im Übrigen auch keine Anlässe für die Einleitung des Strafverfahrens.

Grigorij Kostusjew ist ein Vertreter der alten weißrussischen Opposition, die keine Triebkraft der heutigen weißrussischen Proteste war, was ihre viele vorgehalten haben. Er war im Jahr 2010 Präsidentschaftskandidat, als die Herrschenden eine „Parade von Kandidaten“ erlaubt hatten. Nach den Provokationen am Haus der Regierung mit einem Zerschlagen von Fensterscheiben war er gleichfalls unter den Festgenommenen. Er verurteilte öffentlich die Provokationen und reichte in der Zentralen Wahlkommission eine Beschwerde mit der Forderung, die Wahlen als ungültige anzuerkennen, ein. An den Wahlen vergangenen Jahres, die zur politischen Krise im Land geführt haben, nahm die Partei „Weißrussische Volksfront“ überhaupt nicht teil, wobei sie dies mit der Gefahr für die Gesundheit im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie begründete. Von den Handlungen Kostusjews aus der letzten Zeit konnte sich die Öffentlichkeit lediglich an den Antrag auf die Durchführung des traditionellen Umzugs aus Anlass des Tages des Willens am 25. März (Jahrestag der Gründung der Weißrussischen Volksrepublik, die im Jahr 1918 erfolgte – Anmerkung der Redaktion) und des jetzt eingereichten Antrags auf Durchführung der Aktion „Tschernobyl-Schljach“ (deutsch: Tschernobyl-Weg) am 26. April erinnern. Jedoch hatte er weder den einen noch den anderen allein unterzeichnet. Überdies hatten die Antragsteller auch von Anfang an deklariert, dass sie die Veranstaltung nur bei Vorlage einer Genehmigung durchführen und ohne die das Leben der Menschen nicht riskieren würden.

Noch weniger beteiligt an Protestaktionen war der Journalist, Publizist, Puschkin-Experte, Doktor der Philologie und ehemalige Leiter der Verwaltung für gesellschaftspolitische Informationen in der Alexander-Lukaschenko-Administration Alexander Feduta. Er war unter jenen, die Alexander Lukaschenko an die Macht gebracht hatten, ist später aber aufgrund der Ablehnung dessen Politik zurückgetreten. Im Jahr 2005 schrieb er eine politische Biografie Lukaschenkos. Im Jahr 2010 war er im Team des Präsidentschaftsanwärters Wladimir Nekljajew. Er wurde ebenfalls festgenommen und verbrachte 3,5 Monate in der U-Haftanstalt des KGB, wurde als politischer Gefangener bzw. Gefangener des Gewissens anerkannt und erhielt zwei Jahre Haft auf Bewährung. Damals wurde er entsprechend dem Artikel „Organisation und Teilnahme an Aktionen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen“ angeklagt. Am Wahlkampf des vergangenen Jahres hatte er gleichfalls nicht teilgenommen, jedoch viele Autoren-Kommentare und publizistische Materialien verfasst, die Alexander Lukaschenko kritisierten.

Zum Zeitpunkt der Niederschrift des vorliegenden Beitrages gab es keinerlei offizielle Erklärungen. In Telegram-Kanälen wurde jedoch mitgeteilt, dass man Alexander Feduta bereits am Sonntag verschleppt hatte. Als er die gemietete Wohnung verließ, stießen ihn unbekannte Männer in ein Auto und brachten ihn zum Flughafen Vnukovo. Und von dort brachte man ihn bereits in den KGB Weißrusslands. Anfangs hatte Nikolai Khalezin, Art-Direktor des Belarus Free Theatres (belarussische Underground-Theatergruppe, die ihren Hauptsitz nach London verlegte, wo sich auch viele der führenden Kräfte des Theaters aufhalten – Anmerkung der Redaktion) und Programmdirektor des Creative Politics Hubs, auf seinem Telegram-Kanal geschrieben, dass seine Quellen mitgeteilt hätten: Feduta befinde sich (laut unbestätigten Informationen) in Lefortowo (Moskauer Stadtbezirk, in dem sich die zentrale U-Haftanstalt des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB befindet – Anmerkung der Redaktion).

Die Festnahme Fedutas löste einen schockähnlichen Zustand unter der weißrussischen Öffentlichkeit aus. „Ich hoffe, dass dies ein Missverständnis oder irgendein (schlechter) Scherz ist, denn dies ist ein überaus würdiger Mensch. Ihnen können nur die Leute entführen, die nicht begreifen, was humanitäre Werte sind. Ich bin entsetzt“, reagierte der ehemalige Vorsitzende des Obersten Sowjets von Weißrussland, Stanislaw Schuschkjewitsch, auf das Vorgefallene.

Das Agenten-Sujet löst viele Fragen aus. „Alexander ist in Moskau festgenommen worden. Und dies bedeutet, dass diese Tatsache in den Dokumenten der russischen Rechtsschutzorgane festgehalten sein muss. In diesem Fall ist das weitere Prozedere – die Forderung der weißrussischen Behörden nach einer Auslieferung und die Annahme einer Entscheidung der russischen Behörden über eine Ausweisung“, urteilt Nikolai Khalezin. „Wenn aber die weißrussischen Geheimdienste die Verhaftung vorgenommen haben, so besteht die Frage in Folgendem: Können denn alle Länder Verhaftungen derjenigen, an denen sie interessiert, auf dem Territorium der Russischen Föderation vornehmen? Und wenn nicht, so warum hören wir keinerlei Erklärungen der russischen Seite bezüglich der Tatsache dieser Festnahme oder Verhaftung?“, schreibt der Experte.

„Eine Taktik der verbrannten Erde… Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns… Wer nicht an Terror teilnimmt, wird durch Terror vernichtet“, charakterisierte der Politologe Pawel Ussow die Aktionen der weißrussischen Behörden. Seiner Meinung nach stehe die Aufgabe, „alles plattzumachen und zum Schweigen zu bringen, was denkt, spricht, sich bewegt und formal (symbolisch) eine politische Alternative darstellt“. „Es gibt keinen Platz für Trittbrettfahrer, nur eine vollkommene Mobilisierung und ein Dienen dem „Staate““, schreibt der Experte auf seinem Telegram-Kanal.