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Lukaschenkos Gegnern droht Konfiskation des Eigentums


Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko hat sich mit neuen Oberhäuptern von Kreisen getroffen und ihnen Vorgaben vermittelt, wie um die Ernte zu kämpfen und der Opposition Paroli zu bieten ist. Parallel dazu votierte die Repräsentanten-Kammer der Republik für eine Gesetzesvorlage über Ferngerichte (Gerichte in absentia). Es wird erlauben emigrierte Oppositionelle zur Verantwortung zu ziehen. Derweil initiieren ihre Anführer die Bildung alternativer Machtorgane und die Etablierung eines Tribunals „hinsichtlich der entführten und ermordeten Opponenten des Regimes“.

Alexander Lukaschenko hat eine Rotation von Oberhäuptern einer Reihe von Kreisen der Republik vorgenommen. Bei einem Treffen mit den Neuernannten umriss er die Hauptrichtungen für die Arbeit: „Alle sind Agrar-Kreise. Daher sind die Frage Nummer 1 die Landwirtschaft und die Menschen, die Kader“. „Die Situation rings um das Land herum kennen Sie. Die Situation im Land kennen Sie nicht schlechter als ich, zumindest dort, wo Sie arbeiten, vor Ort. Sie sind keine Neulinge. Alle haben die Akademie für Verwaltung absolviert, haben gewusst, wohin sie gegangen sind“, konstatierte Lukaschenko. Und er rief die Beamten auf, im engen Kontakt mit den Geheimdiensten zu arbeiten. „Ja, viele sind nach dem Jahr 2020 zur Vernunft gekommen. Sie sehen dies ja wieder nicht schlechter als ich. Man muss aber verstehen, dass es genug Menschen gibt, die nicht einfach anders denken (zu denken ist ja nicht verboten), sondern die auf einen passenden Moment warten“. Aber um die filigrane Grenze zwischen einem Gedanken und einem gedanklichen Verbrechen auszumachen, würden auch speziell geschulte Menschen gebraucht werden. Der Präsident ermunterte die neuen Kreis-Oberhäupter: „Mobilisieren Sie die Rechtsschutzorgane um sich herum. Sie müssen in der vorgegebenen Richtung handeln“.

Spürbare Hilfe haben den Rechtsschutzorganen Ende vergangener Woche auch die weißrussischen Parlamentarier geleistet. In der Repräsentanten-Kammer Weißrusslands votierte man für die Gesetzesvorlage über Ferngerichte. Jetzt werden die Weißrussen, die sich im Ausland befinden, jene, die die Offiziellen als „flüchtige“ bezeichnen, Haftstrafen ohne die Notwendigkeit erhalten, persönlich den Verhandlungen beizuwohnen. Das Wesen des Gesetzentwurfs erläuterte der Chef des Untersuchungskomitees von Weißrussland Dmitrij Gora den Parlamentariern und Journalisten. Er betonte unter anderem: „Die Sonderbehandlung (Sonderverfahren) ist eine Sonderform eines Strafverfahrens, die erlaubt, die Personen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, die sich außerhalb des Landes verbergen und die Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit, Kriegsverbrechen sowie andere schwere Verbrechen extremistischer und terroristischer Ausrichtung begangen haben“. Gora unterstrich, dass das neue Gesetz erlauben werde, „nicht nur auf dem Papier haftbar zu machen, sondern auch Entscheidungen über eine Konfiszierung ihres Eigentums zu treffen“. Der Chef des Untersuchungskomitees präzisierte: „Ich denke, dass das Sonderverfahren keinen Massencharakter tragen wird. Zur Verantwortung werden die Personen gezogen, die unserem Staat den bedeutendsten und wesentlichsten Schaden zugefügt haben. Dies sind sowohl Latuschko als auch Tichanowskaja sowie die Führungskräfte eben jener Stiftungen, die extremistische und terroristische Handlungen auf unserem Territorium finanzierten“.

Es macht Sinn zu betonen, dass gerade dieser Tage einer der erwähnten Anwärter auf eine Konfiszierung des Eigentums erneut lautstark an sich erinnerte. Pawel Latuschko, der Leiter der Oppositionsstruktur „Antikrisen-Verwaltung des Volkes“, rief auf seinem YouTube-Kanal die Weißrussen auf, sich über die Bildung „legitimer Machtinstitute“ Gedanken zu machen, da nach seinen Worten „Lukaschenko kein legitimes Oberhaupt des Landes ist“ und daher „den internationalen Subjektcharakter“ verloren hätte.

Eine erste Lösungsvariante für das Landesschicksal sei entsprechend der Version von Latuschko der Amtsantritt von Swetlana Tichanowskaja als Präsidentin. Die zweite – die Bildung eines Übergangsministerkabinetts. Die dritte – eine Reform des Koordinationsrates der Opposition, um ihn in eine Übergangsmachtorgan zu verwandeln. Die vierte – die Einberufung eines Gesamtweißrussischen Kongresses, der die Rolle einer Gründungsversammlung spielen könnte. Und schließlich die fünfte – die „Formierung einer nationalen Befreiungsbewegung“, aus deren Reihen auch neue Führungskräfte hervorgehen würden. Allerdings gestand Latuschko ein, dass er bisher nicht bereit sei, vom realistischen Charakter des einen oder anderen Weges zu sprechen.

Die Opposition beschränkt sich nicht auf Internet-Initiativen. Im Seimas (Parlament) Litauens haben weißrussisch-litauische politische Konsultationen stattgefunden. Anatolij Lebedko, der Vertreter von Swetlana Tichanowskaja für eine Verfassungsreform und parlamentarische Zusammenarbeit, berichtete über deren Ergebnisse Folgendes: „Gearbeitet wird an einer Auswechselung der Vertreter des Regimes in internationalen Organisationen durch Vertreter der demokratischen Kräfte von Belarus. Dabei helfen litauische Parlamentarier“. Lebedko versprach, dass in Litauen „ein spezielles Tribunal bezüglich der entführten und ermordeten Opponenten des Regimes geschaffen wird“.

Es ist schwer, diese Worte als leere Androhungen unter Berücksichtigung dessen zu bewerten, dass Ende letzter Woche der Ständige OSZE-Rat eine spezielle EU-Erklärung zu den politischen Repressalien und zur Todesstrafe in Weißrussland veröffentlicht hat (https://www.eeas.europa.eu/delegations/vienna-international-organisations/osce-permanent-council-no-1373-vienna-12-may-2022-0_en?s=66). In dem Dokument heißt es: „Die EU bedauert die weitere Verstärkung der politischen Repressionen durch das Minsker Regime, unter anderem durch eine Erweiterung der Möglichkeiten für eine Anwendung der Todesstrafe bis zu vage definierten „versuchten terroristischen Aktivitäten“. Dies ist ein bedauerlicher Schritt, der der globalen Tendenz eines Verzichts auf die Todesstrafe widerspricht. … Die EU ruft erneut Minsk auf, alle politischen Häftlinge unverzüglich und bedingungslos freizulassen und zu rehabilitieren und die Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten des weißrussischen Volkes zu beenden. … Die EU ist voller Entschlossenheit zu gewährleisten, dass alle, die die Verantwortung für die politischen Repressalien in Belarus tragen, vor Gericht gestellt werden“.