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Macht es für Gazprom Sinn, den „grauen“ Wasserstoff in „grünen“ zu verwandeln


GAZPROM plant, den Umfang seines Exports durch Wasserstoff-Lieferungen auf den europäischen Markt und im Weiteren auch auf die asiatischen Märkte zu erweitern. Der Wunsch des Gas-Giganten deckt sich mit den Plänen der entwickelten Länder, Wasserstoff für die Erzeugung von Elektro- und Wärmeenergie und in der Industrie als einen Ersatz für Kohle und Erdgas – die Quellen der CO2-Treibhausgase – einzusetzen. Vor der Realisierung dieser Pläne stehen jedoch eine Vielzahl von Barrieren. Und die Wahrscheinlichkeit ihrer Überwindung ist vorerst nicht offensichtlich.

Es muss vor allem betont werden, dass dem Übergang zum Wasserstoff in der Wirtschaft der entwickelten Länder die Annahme einer katastrophalen Klima-Erwärmung des Planeten aufgrund der Treibhausgase, vor allem von Kohlendioxid, das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe freigesetzt wird, zugrunde liegt. Diese Vermutung basiert ausschließlich auf politischen Entscheidungen der Regierungen der entwickelten Länder und zwischenstaatlicher Organisationen. Einen überzeugenden Beweis für die Klima-Erwärmung aufgrund des Einsatzes fossiler Brennstoffe gibt es nicht. Dafür gibt es aber mehr als genug an gewichtigen Gegendarstellungen und Dementis zu dieser These. Daher werden sich zu dem Zeitpunkt, wenn die Offiziellen der entwickelten Länder unter dem Druck der Wirtschaftsprobleme und wissenschaftlicher Tatsachen gezwungen sein werden, den Kampf für eine kohlenstofffreie Wirtschaft aufzugeben, die Wasserstoff-Projekte als unnötige erweisen, und die Investitionen für sie – als vergeblich vorgenommene.

Noch ein großes Hindernis besteht darin, dass die Ideologie der globalen Erwärmung durch die Treibhausgas-Emissionen vorsieht, nur sogenannten grünen Wasserstoff einzusetzen, bei dessen Erzeugung kein Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangt.

„Die Unterteilung des Wasserstoffs nach „Farben“ wird hauptsächlich im Kontext der Umsetzung des Programms zur Dekarbonisierung durch die Europäische Union genutzt. Vom Wesen her gibt es keine normativen Akte hinsichtlich der „farblichen“ Unterteilung des Wasserstoffs, genauso wie es auch keine methodologische Basis für die Beurteilung der summarischen Beeinflussung der Ökologie entsprechend der gesamten technologischen Kette – von der Erzeugung einer jeden beteiligten Komponente bis zum Erhalt des Endproduktes – des Wasserstoffs – gibt. Die von der Europäischen Union eingeführte „Farben-“Terminologie ist notwendig, um zu unterstreichen, dass der „grüne“ Wasserstoff für die grüne Energiewirtschaft nur ohne eine primäre Beteiligung von Kohlenwasserstoffen erzeugt werden kann“, erläutert Tamara Safonowa, Exekutivdirektorin der Unabhängigen analytischen Agentur für den Öl- und Gassektor.

In der EU-Terminologie wird der erneuerbare oder „grüne“ Wasserstoff auf der Basis erneuerbarer Energiequellen erzeugt. Dabei beeinflusst der Prozess der Herstellung von Anlagen für die erneuerbaren Energiequellen (beispielsweise in China) gleichfalls das weltweite Öko-System und muss bei der Gesamtbeurteilung des Einflusses auf die Umwelt berücksichtigt werden, betont die Expertin. „Grauer“ Wasserstoff wird vor allem aus fossilen Energiequellen, unter anderem aus Erdgas durch dessen (Dampf-) Reforming gewonnen. Dabei ist CO2 ein Zusatzprodukt. Folglich wird keine CO2-Neutralität gewährleistet.

Der Begriff „blauer“ Wasserstoff wird verwendet, wenn bei der „grauen“ Erzeugung die Treibhausgase unter Verwendung sogenannter Carbon Capture and Storage Systems abgeschieden und gespeichert werden. Nach Meinung von T. Safonowa bestehe der Sinn dieser Unterscheidung darin, in der Zukunft den Zugang für die „nichtökologischen“ CO2-Moleküle zu den Ländern der Europäischen Union zu versperren und eine Vielzahl eigener Produktionsstätten für „reine“ Brennstoffe zu schaffen, wobei eine Energie-Unabhängigkeit, eine innovative Entwicklung und ein Wachstum der Wirtschaftsparameter gesichert wird.

Seinerseits ist der Chefredakteur des polnischen Internetportals BiznesAlert und Experte für die europäische Energiewirtschaft Wojciech Jakóbik der Annahme, dass umweltfreundlich sauberer Wasserstoff an und für sich eine angestrebte Technologie sei, „da sie eine Verringerung der CO2-Emissionen fördert, während die anderen Technologien Zwischenstufen sind“.

In der überschaubaren Zukunft vermag jedoch die Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff nicht dicht an die Dimensionen herankommen, die in der Lage sind, die Bedürfnisse der EU zu befriedigen. Daher prüfen die europäischen Länder auch Varianten mit „blauem“ Wasserstoff. Doch für die Gewinnung solch eines Wasserstoffs in Industrieumfängen ist es erforderlich, sich mit den Abfällen seiner Herstellung, das heißt mit CO2 herumzuschlagen. Gegenwärtig wird als ein Hauptverfahren zur Endlagerung bzw. Speicherung von CO2 dessen Einspeicherung in die Erde, beispielsweise in erschöpfte und nicht mehr genutzte Öl- und Gasfelder erörtert. Laut einem Report der Internationalen Energieagentur, der im Juni letzten Jahres vorgelegt wurde, arbeiten in der ganzen Welt 15 Betriebe, die rund 9000 Tonnen CO2 im Jahr abscheiden und speichern. Zum Vergleich: Die Masse des CO2, das bei der Verbrennung des Gases freigesetzt wird, das durch GAZPROM nach Europa im vergangenen Jahr geliefert wurde (177,315 Milliarden Kubikmeter), ist 36.000mal größer als die ausgewiesene Zahl. Das heißt: Es ist keine Industrie für eine großangelegte Speicherung von Kohlendioxid geschaffen worden. Man muss sie von Null an aufbauen.

Zu einer Erörterung technischer Fragen sind bisher nur die Projekte von GAZPROM für eine Verkauf von Wasserstoff nach Deutschland gekommen. Eine der zu erörternden Varianten ist die Erzeugung von Wasserstoff auf dem Territorium Russlands und dessen Beimischung in den Gasstrom, der nach Europa fließt. In diesem Fall geht es lediglich um eine Verringerung des Anteils von Kohlenwasserstoffen am russischen Export und eventuell um eine Reduzierung der anstehenden Kohlenstoff-Steuer für den Export fossiler Brennstoffe. Die Variante ist auch möglich, wenn die europäischen Länder für das Gas mit Wasserstoff mehr zahlen werden als für Gas ohne Wasserstoff. Über solche Zahlungen ist bisher nichts bekannt.

Der Export von reinem Wasserstoff aus Russland nach Deutschland ist infolge der besonderen Eigenschaften dieses Gases problematisch. Es verflüchtigt sich nicht nur durch die Flanschverbindungen, sondern dringt auch durch Stahl hindurch.

Die Erzeugung von Wasserstoff unmittelbar auf dem Territorium Deutschlands aus russischem Erdgas gilt als realste Variante. Mit deutschen Experten wird die Errichtung eines Betriebs zur Gewinnung von Wasserstoff am Endabschnitt der Gaspipeline „Nord Stream 2“ erörtert. Der dabei gewonnene „graue“ Wasserstoff ist, damit er den Anforderungen der EU entspricht, in „blauen“ durch eine Kohlendioxid- bzw. Kohlenstoff-Speicherung umzuwandeln.

Bei der Gewinnung von Wasserstoff kann Kohlenstoff in zwei Formen anfallen, in Form von Kohlendioxid oder in Form von reinem Kohlenstoff – von Ruß. Als Gas fällt Kohlenstoff heute bei den am meisten verbreiteten Technologien (85 Prozent) zur Gewinnung von Wasserstoff – durch Dampfreforming oder durch ein autothermisches Reforming – an, bei denen Methan mit Wasser unter einem hohen Druck und einer hohen Temperatur (700 bis 1000 °C) reagiert.

Die Endlagerung des CO2 ist entweder auf dem Territorium Europas möglich, was zu einem Anstieg des Wasserstoff-Preises von 20 bis 40 Prozent führt. Oder das Kohlendioxid wird über eine spezielle Pipeline nach Russland gepumpt und bereits dort endgelagert. Die Wirtschaftlichkeit solch einer Leitung ist äußerst zweifelhaft.

Wie die Generaldirektorin der „InfoTEK-Consult“ GmbH Tamara Kandelaki betont, besitze jegliche „grüne“ Produktion ihre Probleme. „Darunter ist die Frage nach der Verwertung der Abfälle, in deren Zusammenhang bereits errichtete Betriebe stillgelegt wurden“, erinnert sie.

Es besteht die Meinung, dass es zum heutigen Tage optimal sei, Wasserstoff aus Methan durch eine Pyrolyse zu gewinnen, in deren Verlauf das Methan unter Wirkung einer hohen Temperatur (mehr als 1000 °C) unmittelbar in Wasserstoff und Ruß zerlegt wird. Ruß ist leicht zu lagern oder in der Industrie zu verwenden (zum Beispiel ergibt sich die Farbe der Autoreifen gerade aufgrund des Zusatzes einer großen Menge von Ruß bei deren Herstellung). Wie die stellvertretende GAZPROM-Konzernchefin und Generaldirektorin von GAZPROM Export, Jelena Burmistrowa, erklärte, „löst die Nachfrage nach dieser Technologie (der Pyrolyse) nicht den geringsten Zweifel aus“.

Das teuerste Verfahren zur Gewinnung von Wasserstoff ist die Elektrolyse, die Zerlegung von Wasser durch elektrischen Strom. Tamara Safonowa stimmt dem zu, dass die Selbstkosten des Wasserstoffs, das durch eine Pyrolyse von Methan gewonnen wird, erheblich geringer als die Selbstkosten des Wasserstoffs, das durch eine Wasser-Elektrolyse und durch eine Dampf-Wasser-Konversion von Erdgas gewonnen wird, sind. Wie die Expertin unterstreicht, gibt es bei der Methan-Pyrolyse auch keine schädliche Umweltbeeinflussung.

Bei der Elektrolyse aber, auf die es die Europäische Union als Quelle für „grünen“ Wasserstoff abgesehen hat, gibt es zwei Probleme: der gewaltige Energieverbrauch für die Aufspaltung der Verbindungen zwischen den Sauerstoff- und den Wasserstoffatomen im Wasser und die Qualität des Wassers. Bei den traditionellen Elektrolyse-Technologien kann man nur destilliertes oder entsalztes Süßwasser verwenden, in das überdies auch chemische Zusatzstoffe gegeben werden. Daher arbeiten große Betriebe für die Erzeugung von Wasserstoff mit dem Verfahren einer Wasser-Elektrolyse nur dort, wo es viel preiswerte bzw. billige Elektroenergie von Wasserkraftwerken gibt – zum Beispiel in Kanada und Norwegen. Vorgeschlagen wird, die Elektroenergie von Wind- und Solar-Kraftwerken für eine Gewinnung von Wasserstoff als ein Verfahren zu nutzen, um „kostenlose“ Energie zu speichern, doch die Billigkeit dieser Energie kommt mehr in den Berichten der Erzeuger als in den Rechnungen der Verbraucher vor.

Wojciech Jakóbik schlägt vor, optimistischer auf die Frage zu schauen. Seiner Meinung nach ist der „grüne“ Wasserstoff gegenwärtig der teuerste, doch er könne genau den gleichen Prozess einer Verringerung der Preise für die Technologien durchlaufen, den bereits einst die erneuerbaren Energiequellen durchlaufen hätten. „Eine vernünftige Unterstützung der erneuerbaren Energiequellen hat diese Technologien zu einer rentablen für mehrere Jahrzehnte gemacht. Eben deshalb wird geplant, den „grünen“ Wasserstoff zu einer angestrebten Technologie bis zu den 2030er Jahren in Europa zu machen“, unterstreicht der Experte.

Tamara Safonowa schließt auch eine Veränderung der Preisbildung für Wasserstoff vor dem Hintergrund der Entwicklung der Technologien und der Zunahme der Nachfrage nicht aus. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist der Preis von Wasserstoff für ein Betanken von Autos geringer als der Preis von Kraftstoff aus Kohlenwasserstoffen. In Russland kostete dem Besitzer eines Autos der Marke Toyota Mirai das Tanken von Wasserstoff für eine Strecke von 100 Kilometer rund 250 Rubel (umgerechnet weniger als 4 Euro – Anmerkung der Redaktion). Zum Vergleich: Die Benzinkosten sind um 60 bis 80 Prozent höher“, erinnert sie.

Was die Wasserqualität angeht, so arbeiten Wissenschaftler derzeit an Technologien zur Gewinnung von Wasserstoff durch Elektrolyse unmittelbar von Meereswasser. Betriebe des Siemens-Konzerns versprechen, bis Mitte der 2020er einen Offshore-Windgenerator für die Wasserstoff-Erzeugung mit einer Leistung von 14 Megawatt vorzustellen. Und das Konsortium NortH2, dem große europäische Unternehmen angehören, plant, solch einen Wasserstoff-Generator bis zum Jahr 2027 zu entwickeln.

Aber zuerst hat GAZPROM prinzipielle Fragen zu klären: Wer, wieviel und mit was für einem Gewinn wird für die Umstellung Europas auf Wasserstoff zahlen? „Mich interessieren mehr die Fragen: Wohin will GAZPROM mit diesem Wasserstoff? Wo ist eigentlich die abnehmende Branche? Ja, und wenn es sie nicht gibt, wer und wo wird da die Produktionsanlagen bauen? Was und zu was für einem Preis sowie wem werden sie verkaufen?“, fragt Tamara Kandelaki.

GAZPROM kann zweifellos in Deutschland einen Betrieb für die Herstellung von „grünem“ Wasserstoff aus seinem Gas errichten. Doch Garantien für seine Rentabilität wird keiner geben. Alle Projekte im Zusammenhang mit „grünem“ Wasserstoff werden in Europa nur mit Subventionen der Behörden realisiert. Wenn man GAZPROM keine solchen Subventionen anbietet, wird es sicherer sein, an Europa konventionelles Methan zu verkaufen. Und möge man dort mit ihm tun, was man für das eigene Geld und auf eigene Verantwortung will.