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Mehr als einen Monat vor dem möglichen Treffens Bidens und Putins sprach Selenskij mit dem US-Außenminister


US-Außenminister Anthony Blinken und seine Stellvertreterin für politische Fragen Victoria Nuland haben ihren Kiew-Besuch beendet. Die ukrainische Seite vernahm Worte der Unterstützung. Präsident Selenskij deutete sogar die Möglichkeit der Unterzeichnung eines „sehr wichtigen“ Abkommens im Sicherheitsbereich in der Zukunft an. Skeptiker räumen aber ein, dass es zu keinerlei radikalen Veränderungen in den Beziehungen von Kiew und Washington kommen werde.

Der Politologe Viktor Schlintschak erinnerte in einer Kolumne für die Internetzeitung „Glavkom“ daran, dass Blinken im Jahr 2015 die ukrainische Hauptstadt im Status des stellvertretenden Außenministers besucht hatte. Und damals hatte „er tiefe Besorgnis darüber bekundet, was an der Trennungslinie geschehen war“. Die Administration von Barak Obama hatte sich aber nicht beeilt, den Streitkräften der Ukraine zu helfen. „Man verwies mehr auf die Erscheinungen von Korruption und sagte, dass dies für die Ukraine der Feind Nummer 1 sei. Öfters sprach man lieber über dieses Thema denn über den Krieg mit Russland“.

Der Politologe betonte, dass sich jetzt, nachdem in den USA nach der Präsidentschaft von Trump die Demokraten an die Macht zurückgekehrt seien, die Situation ein weiteres Mal verändere. „Neben den Erklärungen, wonach Russland die Möglichkeit habe, seine Fehler zu beheben, kann man auch ausmachen, dass Washington stabile Beziehungen mit Moskau möchte“, unterstrich Schlintschak. Seiner Meinung nach werde in diesem Kontext der Kiew-Besuch von Blinken und Nuland zwiespältig aufgenommen. „Denn wollen die Staaten möglicherweise dieses Mal einen Knopf für einen Neustart (der Beziehungen mit Moskau – „NG“) in Kiew suchen, um ihn in einem Monat zum Treffen Putins und Bidens mitzubringen? Und kommen nicht etwa die amerikanischen Diplomaten in die Ukraine, um zu beruhigen und Unterstützung „für den Fall, dass…“ zu versprechen? Nun, und um auch über die Korruption zu sprechen – zumal: Ohne dem geht es nicht ab…“

Das Thema der Korruption und des politischen Einflusses der Oligarchen klang in der Tat während des Besuchs an. Anthony Blinken betonte, dass in der Ukraine viele gute Gesetze verabschiedet worden seien, doch man müsse sie umsetzen. „Und dies schließt auch die Korruptionsbekämpfung ein“. In einem anderen Teil der Pressekonferenz nach dem Treffen mit Präsident Selenskij erklärte der US-Außenminister, dass vor der Ukraine zwei Herausforderungen stehen würden – der Krieg im Donbass und die Oligarchen. „Eine (Herausforderung – „NG“) ist eine äußere, von Russland. Mehr noch es gibt auch noch eine Gefahr von innen her, dies sind die Korruption, die Oligarchen und andere Personen, die ihre Interessen über die Interessen des ukrainischen Volkes stellen. Und diese zwei Elemente sind miteinander verbunden, denn Russland nutzt gleichfalls die Korruption und die Personen aus, die ihm helfen, seine Interessen gegen die Interessen des ukrainischen Volkes voranzubringen“.

Wladimir Selenskij hob hervor, dass er sich das erste Mal mit Anthony Blinken getroffen hätte. Doch die amerikanischen Gäste sei so gut mit der ukrainischen Situation vertraut, dass sich der Eindruck ergeben, dass diese Begegnung bereits nicht die erste gewesen sei. „Ich bin darüber frappiert, dass sich das Team (das amerikanische – „NG“) ausgezeichnet darin orientiert, was sich bei uns ereignet. Dies ist ein großes Plus. Obgleich dies in einigen Fällen sicherlich auch ein Minus ist. Das Wichtigste ist, dass sie ausgezeichnet die Situation im Donbass kennen…“.

Die ukrainische Seite zog es traditionell vor, über den Krieg und die damit verbundenen Probleme zu sprechen. Sowohl Selenskij als auch Blinken erklärten im Verlauf der Pressekonferenz, dass laut ihren Informationen nicht alle russischen Truppen, die vor kurzem an den Grenzen der Ukraine disloziert gewesen waren, abgezogen worden seien. „Daher bleibt die Gefahr erhalten“, sagte Selenskij. Sein Gast betonte: „Russland hat einen gewissen Teil der Truppen abgezogen. Aber ein erheblicher Teil der Truppen ist geblieben. Daher kann Russland innerhalb kurzer Zeit beginnen, aggressiv zu handeln, wenn es möchte. Die Zurückhaltung, die die Ukraine demonstrierte, ist eine reale und ist hoch einzuschätzen. Die Ukraine antwortet nicht auf Provokationen. Dies wurde bei einer Tagung der NATO und der G7 erörtert. Wir erörtern Hilfe für die Ukraine in Fragen der Sicherheit…“

Bisher ist unklar, von was für einer Hilfe die Rede ist. Wladimir Selenskij erwähnte die Möglichkeit der Unterzeichnung eines Abkommens im Bereich der Sicherheit in der Zukunft. „Separat haben wir das fundamentale Format einer Unterstützung durchgesprochen. Wir sprachen über die Frage einer Allianz, über die Frage eines möglichen bilateralen, sehr ernsthaften Abkommens. Dies aber sind Fragen der Zukunft. Gegenwärtig ist es sehr verfrüht, über Details zu sprechen“. Blinken erklärte in Kiew nur: „Wir prüfen aktiv die Möglichkeit einer Verstärkung der Zusammenarbeit und einer Hilfe für die Ukraine hinsichtlich der Sicherheit. Wir erörtern sehr aktiv diese Frage“. Über ein Abkommen sprach er nicht.

Bemerkenswert ist, dass am Vorabend des Besuchs des US-Außenministers der ukrainische Außenminister Dmitrij Kuleba in einem CNN-Interview einräumte, dass beim NATO-Gipfel im Juni dieses Jahres eine gewisse „Roadmap“ bestätigt werde, die der Ukraine erlaube, bald einen Aktionsplan für eine NATO-Mitgliedschaft zu erhalten. Er betonte, dass eine vollwertige Mitgliedschaft keine Frage der nächsten Zukunft sei. „Wir müssen aber eine klare, schrittweise „Roadmap“ für unseren NATO-Beitritt haben. Und da können die Vereinigten Staaten uns helfen“. Zur gleichen Zeit, wenige Tage vor dem Besuch des amerikanischen Außenministeriums hatte sich Präsident Selenskij während eines Polen-Besuchs der Unterstützung seines Amtskollegen Andrzej Duda versichert. Der polnische Präsident sagte, dass Warschau im Juni beim NATO-Gipfel die Frage nach einer „Roadmap“ für die Ukraine zur Diskussion stellen werde.

Der amerikanische Politologe Jason Smart betonte in einem Beitrag auf der ukrainischen Internetseite „Korrespondent“, dass die USA der Ukraine wirklich helfen könnten. „Die beste Form für die Verhinderung einer russischen Aggression ist eine starke Ukraine – nicht nur aus militärischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht. Eine prosperierende Ukraine stellt ein Problem für das russische Narrativ darüber, dass die Ukraine ein „gescheiterter Staat“ sei, dar. Daher können wir hoffen, dass die USA mehr für die Ausübung von Druck auf Europa zwecks Verstärkung der ukrainischen Integration tun werden“.