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Menschenrechtler suchen in Weißrussland verschwundene Aktivistin


Mit dem UNO-Menschenrechtspreis wurde in diesem Jahr auch das weißrussische Menschenrechtszentrum „Viasna“ (deutsch: „Frühling“) gewürdigt. Sein Leiter, der Friedensnobelpreisträger des vergangenen Jahres, Ales Beljazkij, verbüßt derweil eine lange Haftstrafe aufgrund angeblicher Verstöße gegen die Devisen- und Steuergesetzgebung. Außer ihm befinden sich weitere fünf Vertreter des Zentrums in Haft. Derweil setzen ihre Mitstreiter die Arbeit fort, indem sie ein tägliches Monitoring der Situation um die Festnahmen Oppositioneller fortsetzen und bestimmen, wer von ihnen zur Kategorie der politischen Häftlinge gerechnet werden kann. Eine letzte Gruppe aus elf Personen ist am 24. Juli als solche anerkannt worden.

Das Menschenrechtszentrum „Viasna“ ist zu einem Gewinner des UNO-Menschenrechtspreises des Jahres 2023 geworden. Der Präsident der 77. UN-Vollversammlung, der Ungar Csaba Kőrösi, verkündete am 20. Juli die fünf Gewinner dieses Jahres: neben dem Menschenrechtszentrum „Viasna“, die Menschenrechtlerin Julienne Lusenge aus der Demokratischen Republik Kongo, das Zentrum für Menschenrechtsstudien in der jordanischen Hauptstadt Amman, Julio Pereyra, ein Aktivist aus Uruguay sowie die  Global Coalition of civil society organizations, Indigenous Peoples, social movements and local communities for „the universal recognition of the right to a healthy environment“ (https://news.un.org/en/story/2023/07/1138957).

Kőrösi betonte: „Das Engagement der Gewinner zeugt vom universellen Charakter der Menschenrechte in einer kritischen Zeit. Die Auszeichnung sendet den Menschenrechtlern in der ganzen Welt ein klares Signal darüber, die die internationale Gemeinschaft dankbar ist und deren Anstrengungen zur Propagierung und Durchsetzung aller Menschenrechte für alle unterstützt“.

Die Preisträger wurden von einem speziellen Komitee aus mehr als 400 Nominierungen, die von den Mitgliedsstaaten, dem System der UNO und der Zivilgesellschaft erhalten worden waren. Die Zeremonie der Preisverleihung erfolgt im kommenden Dezember im UNO-Hauptquartier in New York im Rahmen der Veranstaltungen, die dem Welttag der Menschenrechte gewidmet sein werden. Diese Auszeichnung wird alle fünf Jahre für „herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Menschenrechte“ verliehen. Unter ihren bisherigen Gewinnern sind u. a. US-Präsident Jimmy Carter, Nelson Mandela, Eleonora Roosevelt, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes sowie andere bekannte Organisationen und Persönlichkeiten.

Die im Ausland lebende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja reagierte auf Twitter auf diese Information: „Der Preis auf dem Gebiet der Menschenrechte ist eine verdiente Anerkennung ihrer mutigen Arbeit zur Verteidigung der Menschenrechte in Belarus und ihrer unermüdlichen Anstrengungen zur Gewährung von Hilfe für unsere politischen Häftlinge“.

Glückwünsche aus dem offiziellen Minsk braucht „Viasna“ natürlich nicht zu erwarten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt befinden sich sechs Mitglieder des Zentrums in Haft: der Vorsitzende und Friedensnobelpreisträger von 2022 Ales Beljazkij, sein Stellvertreter Valentin Stefanowitsch, der Jurist Wladimir Labkowitsch, die Koordinatorin des Dienstes der Freiwilligen, Marfa Rabkowa, der Leiter der Abteilung in Gomel, Leonid Sudalenko, und der Freiwillige Andrej Tschepjuk.

Aber „Viasna“, das zwar seine Spitzenvertreter verloren hat, setzt die Arbeit fort. Ein Teil davon ist das tägliche Monitoring neuer Festnahmen, Verhaftungen und Urteile, aber auch der Lage, in der sich die Häftlinge befinden. Die Internetseite der Organisation informiert: „Mit Stand vom 24. Juli sind in Belarus 1484 Personen als politische Gefangene anerkannt worden“. Ausgewiesen werden Angaben zur letzten Gruppe Verurteilter, die diesen Status erhalten haben. Unter den elf Personen, die am 24. Juli als politische Häftlinge anerkannt wurden, verbüßen die meisten eine Bestrafung gemäß Paragraf 361.2 des Strafgesetzbuches aufgrund von Spenden für Initiativen, die als extremistische eingestuft worden sind. In der vorangegangenen Gruppe aus acht Personen, die in einer „Viasna“-Veröffentlichung vom 17. Juli ausgewiesen wurden, waren alle entsprechend den Paragrafen „Beleidigung des Präsidenten von Belarus“ oder „Beleidigung eines Vertreters der Behörden“ bestraft worden.

Besondere Aufmerksamkeit widmen gegenwärtig die Menschenrechtler dem Schicksal der Aktivistin Polina Scharendo-Panasjuk. Wo sie sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt befindet, ist nicht genau bekannt. Derweil liegen aber Informationen vor, dass sie jüngst von anderen Strafgefangenen schwer geschlagen wurde.

Die 1975 geborene Frau ist Mutter von zwei minderjährigen Kindern und wurde im Januar des Jahres 2021 festgenommen worden. Anfangs hatte man sie entsprechend den folgenden Paragrafen angeklagt: Gewalt oder Androhung von Gewalt gegen einen Mitarbeiter der Organe des Innern, Beleidigung eines staatlichen Vertreters und Beleidigung des Präsidenten der Republik Belarus. Der erste ausgewiesene Paragraf war in Bezug auf Scharendo-Panasjuk angewandt worden, da sie einen der Milizionäre gekratzt hatte, der gekommen war, um sie festzunehmen. Insgesamt wurde sie für diese „Straftaten“ mit zwei Jahren Freiheitsentzug bestraft. Bereits während des Aufenthalts in der Strafkolonie wurde der Aktivistin eine Anklage gemäß dem Paragrafen „Bösartige Missachtung der Forderungen der Verwaltung einer Strafeinrichtung angehängt.

„Viasna“ erklärt: „Zur Grundlage für die Einleitung eines Strafverfahrens wurden zahlreiche „Verstöße“ gegen die innere Ordnung, für die die Frau bereits bestraft wurde. So hatte man beispielsweise hinsichtlich ihrer Person Berichte abgefasst und Disziplinarstrafen dafür verhängt, dass sie „geschlafen hatte, auf dem Fußboden sitzend, und dabei den Kopf auf einen Hocker gelegt hatte“, dass sie gegenüber Mitarbeitern des Straflagers „unhöflich gewesen war“, aber auch mit anderen Personen Kontakt aufgenommen hatte, „Körperertüchtigungsübungen zu einer verbotenen Zeit auf dem Fußboden liegend und nach Ablegen von Kleidung vornahm“ sowie „die Gefangenenrobe nicht zugeknöpft hielt“.

Im April vergangenen Jahres verurteilte man sie erneut, bereits im Straflager. Die Menschenrechtler informieren: „Alle Urteile zusammengefasst und unter einer teilweisen Hinzufügung des nichtverbüßten Teils der Strafe wurde Polina mit einem Freiheitsentzug für die Dauer von einem Jahr und fünf Monaten mit Verbüßung der Strafe in einem allgemeinen Straflager bestraft“.

„Viasna“ betont, dass Scharendo-Panasjuk die erste politische Gefangene in Weißrussland sei, die gemäß dem Paragrafen über einen bösartigen Ungehorsam verurteilt wurde.