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Merkel kann man in Kiew an den Maidan erinnern


Die Aktionen der Nationalisten können sich in Kiew in der Zeit der Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Unabhängigkeit der Ukraine wiederholen. Der Anführer des „Nationalen Korps“ (in der Russischen Föderation verboten), Andrej Bilezkij, erklärte, dass an den Protesten am vergangenen Samstag 3000 bis 4000 Menschen teilgenommen hätten, „und in ein, zwei Wochen werden es 10.000 sein“. Gerade in dieser Zeit wird die Ankunft von etwa 40 ausländischen Delegationen erwartet. Besondere Aufmerksamkeit der Nationalisten erregt aber der für den 22. August geplante Besuch von Angela Merkel.

In Kiew hat man mit Misstrauen die Entscheidung der deutschen Kanzlerin aufgenommen, zuerst mit der russischen Führung Verhandlungen zu führen, und danach – mit der ukrainischen. Der politische Experte Alexander Kotschetkow betonte ironisch in einem Blog, dass Merkel „als Bote, der schlechte Nachrichten bringt…“, auftreten könne. Die ukrainischen Nationalisten hegen keine Zweifel daran, dass es um Entscheidungen und Lösungen gehen werde, die mit der Konfliktregelung im Donbass zusammenhängen. Dieser Tage veröffentlichten 26 Organisationen, deren Mitglieder unter anderem auch Teilnehmer der Kampfhandlungen im Osten des Landes sind, eine Erklärung: „Die Offiziellen bereiten sich auf eine großangelegte Säuberung des proukrainischen gesellschaftspolitischen Feldes vor der Aufgabe der nationalen Interessen – der Implementierung der sogenannten „Steinmeier-Formel“ in die ukrainische Gesetzgebung und der Entscheidung über die Zufuhr von Wasser auf die okkupierte Krim – vor“. Die Autoren der Erklärung warnten, dass sie nicht erlauben würden, solche Beschlüsse zu fassen. „Unter Berücksichtigung jener bedrohlichen Situation, die wir heute beobachten, einer, die in erster Linie die Sicherheit unseres Staates bedroht, rufen wir alle ukrainischen nationalen Kräfte zu einer Vereinigung dafür auf, um keine Kapitulation der Ukraine zuzulassen. Die Zeit der Worte ist vorbei, angebrochen ist eine Zeit der Handlungen!“

Bemerkenswert ist, dass der „Rechte Sektor“ (in der Russischen Föderation eine verbotene Organisation) mit einer separaten Erklärung auftrat, in der er Wladimir Selenskij konkret und scharf warnte: „Man versucht, die Ukraine zu manipulieren, mit uns zu handeln. Für die Bewahrung der Souveränität der Ukraine fordern wir vom Präsidenten, nicht dem internationalen Druck nachzugeben, auf die Realisierung des Steinmeier-Plans zu verzichten, keinerlei Referenden zu einem Sonderstatus des Donbass abzuhalten und keine Pseudowahlen auf dem okkupierten Territorium zu veranstalten“. Die Organisation erklärte, dass die Offiziellen verpflichtet seien, die Interessen der Ukraine und des ukrainischen Volkes über die Interessen der westlichen Verbündeten zu stellen.

Worin das Wesen der Befürchtungen besteht, erläuterte Maria Solkina, politische Analytikerin der I.-Kutscheriw-Stiftung „Demokratische Initiativen“: „Man hat die Ukraine mit dem Projekt „Nord Strean 2“ offen ausgeliefert, wobei man als Alternative irgendeine Seifenblase vorgeschlagen hat…“. Nach ihrer Meinung seien einige westliche Staats- und Regierungschefs, indem sie die relative Ruhe im Donbass ausnutzen, bereit, zum gewohnten Regime der Business-Beziehungen mit Russland zurückzukehren und von der ukrainischen Seite Zugeständnisse in den Fragen der Konfliktregelung zu verlangen. „Doch Kiew zu Zugeständnissen und politischen Eingeständnissen zu nötigen können weder Berlin noch andere, wenn wir selbst nicht wollen. Und wir wollen nicht“, betonte Solkina.

Die Worte der Expertin werden durch Angaben einer Meinungsumfrage bestätigt, die durch die Stiftung im Mai durchgeführt wurde. Die meisten Ukrainer sind der Auffassung, dass im Donbass kein innerer Konflikt, sondern ein Krieg andauere, der durch eine „Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine ausgelöst wurde“. Die Mehrheit ist für einen Frieden zu Zugeständnissen bereit, aber nicht zu jeglichen beliebigen. „Die politische Zukunft der zeitweilig okkupierten Territorien liegt im Bestand der Ukraine zu den gleichen Bedingungen wie auch früher (bis zum Krieg). Darauf bestehen 55 Prozent der Bürger. Diese Variante erhielt in allen Makroregionen Unterstützung. Die Idee von einer Unabhängigkeit der selbstproklamierten Gebilde oder von deren Beitritt zu Russland besitzt eine minimale Unterstützung, im Bereich der Fehlerrate“, hieß es im Bericht über die Untersuchungsergebnisse.

Diese Angaben bedeuten, dass die ukrainischen Offiziellen Entscheidungen zur Konfliktregelung im Donbass einschließlich der „Steinmeier-Formel“ nicht in die Gesetzgebung ohne das Risiko, Massenprotestaktionen auszulösen, einarbeiten können. Bisher hat auch keiner aus dem Selenskij-Team solche Absichten signalisiert. Die Nationalisten und Radikalen lassen sich aber von ihren inneren Überzeugungen leiten. Der Anführer des „Nationalen Korps“ Andrej Bilezkij erklärte im Verlauf der Samstagaktion, dass auf Präsident Selenskij „derzeit mächtiger Druck seitens des Westens ausgeübt wird. Sie fordern die Implementierung der „Steinmeier-Formel“ sowie die Abhaltung eines Referendums und von Wahlen auf den okkupierten Territorien, man fordert, Wasser auf die Krim zu geben… Dazu muss man jene in die Enge treiben, die sich widersetzen“. Gerade so wertete die Organisation die jüngste Attacke des ukrainischen Sicherheitsdienstes gegen die Zelle in Charkow. Festgenommen wurden sieben Personen, denen man Schutzgelderpressung vorwirft. Das „Nationale Korps“ ist davon überzeugt, dass der Fall ein fabrizierter sei.

Aus Protest gegen die Durchsuchungen und Festnahmen war für den 14. August eine Aktion am Gebäude des Präsidenten-Office geplant worden. Sie ist jedoch schnell über die vorgegebenen Rahmenbedingungen ausgeufert und endete mit Forderungen nach einem Rücktritt von Wladimir Selenskij. Die Aktionsteilnehmer riefen: „Selenskij hau ab!“. Die Zusammenstöße mit der Polizei erinnerte viele an den Maidan. In Brand gesetzt wurden Autoreifen, es flogen Feuerwerkskörper und Rauchbomben, Tränengas und Pflastersteine kamen gleichfalls zum Einsatz. Die Mitglieder des „Nationalen Korps“ behaupten, dass die Polizei und Kämpfer der Nationalgarde, die das Gebäude bewachten, selbst die Unruhen provoziert hätten.

Während eine Untersuchung der Zwischenfälle im Verlauf der Samstagaktion erfolgt, planen die Radikalen neue Aktionen. „Wir lassen unser Land nicht in ein Weißrussland verwandeln! Wir lassen nicht zuerst uns sowie das Veteranen- und patriotische Umfeld und danach auch das gesamte Land herumscheuchen. Wir werden nicht zu kapitulieren erlauben! Alle hier werden fallen, doch die Ukraine wird ein Land freier Menschen bleiben…“, erklärte Bilezkij. Der politische Experte Andrej Golowatschjow, den das Nachrichtenportal „Strana“ („Das Land“) zitiert, betonte, dass früher das „Nationale Korps“ eine einflussreiche Kraft gewesen sei, da es sich „unter dem Protektorat von Innenminister Arsen Awakow“ befunden hätte. „Nach der Entlassung des allmächtigen Ministers begann das „Nationale Korps“, schnell zu marginalisieren, und stelle jetzt bereits keinerlei Gefahr für Selenskij dar. Ganz genauso wie auch Awakow selbst, der ohne das Innenministerium keinerlei reale Stärke besitzt“, sagte Golowatschjow. Verändert habe sich auch der generelle Verlauf der Ereignisse, betonte der Experte. „Selenskij hat auf jegliche Versuche verzichtet, sich persönlich mit Putin zu einigen und die Donbass-Frage zu klären. Und heutzutage ist Selenskij bereits hinreichend erstarkt, hat die Macht konzentriert sowie alle bewaffneten und Rechtsschutzstrukturen und wichtige Gerichte unter Kontrolle genommen. Und er wird dem „Nationalen Korps“ schon nicht mehr erlauben, ihm die Tagesordnung zu diktieren“.

Andererseits seien Selenskij bei der Lösung des Donbass-Problems die Hände gebunden. Golowatschjow konstatierte, dass „es bereits unmöglich ist, die LVR und DVR wieder in die Ukraine zu integrieren, da dort schon alles russisch sei – die Sprache, das Geld, die Kultur, die Werte, die Helden, Gesetze, Feiertage, die sowjetischen Traditionen, die Staatsbürgerschaft, das Bildungswesen, das Verständnis der Geschichte, die Denkmäler für Motorola (Rufname unter anderem im Funkverkehr für Arsen Pawlow, einem russischen Milizenführer im Donbass-Konflikt, der bei der Explosion eines Sprengsatzes im Aufzug seines Wohnhauses im Oktober 2016 in Donezk ums Leben kam – Anmerkung der Redaktion), die Machtstruktur und … der Hass. Jeglicher Versuch, solche, vollkommen bereits prorussische Gebilde wie die DVR und die LVR zu integrieren, wird einen stürmischen Protest (in der Ukraine – „NG“) auslösen“. Um solch ein Szenario zu vermeiden, würden die ukrainischen Herrschenden nach Meinung des Experten „den Westen verarschen, indem sie irgendein vollkommen ausgehöhltes Surrogat der „Steinmeier-Formel“ akzeptieren“.