In Moldawien gilt seit dem 1. April der Ausnahmezustand. Keiner weiß bisher, welche Maßnahmen zum Einsatz kommen werden, doch das Volk sollte bis vergangenen Freitag ins Bild gesetzt werden. Das Parlament verabschiedet im Schnelldurchlauf den Beschluss über das Regime eines Ausnahmezustands, um Präsident Maia Sandu daran zu hindern, einen Erlass über die Auflösung des Parlaments zu unterschreiben. Moldawiens Ex-Botschafter in der Russischen Föderation, Anatol Țăranu erklärte gegenüber der „NG“, dass Sandu diesen Erlass unterschreiben werde, wobei er betonte, dass er nach Ende des Ausnahmezustands in Kraft treten werde. Die Zeit werde aber gegen die Präsidentin wirken, mit deren Namen man in Moldawien die Offiziellen in Verbindung bringe. Alles kann traurig enden — sowohl für Sandu als auch für die gegenwärtige parlamentarische Mehrheit, die sich für den Flopp im Gesundheitswesen und die riesige Anzahl von Todesfällen aufgrund des Coronavirus zu rechtfertigen haben.
Die Streitereien darüber, wer recht hat – die parlamentarische Mehrheit unter Führung des Ex-Präsidenten und Sozialisten-Chefs Igor Dodon, die mit der Verhängung des Ausnahmezustands die Abhaltung vorgezogener Parlamentswahlen faktisch unmöglich gemacht hat, oder Maia Sandu, die sich anschickt, ungeachtet aller Umstände den Erlass über die Auflösung der Gesetzgebenden Versammlung zu unterzeichnen – dauern an. Und geführt werden sie von Politikern, Politologen und Journalisten. Der restliche Teil der Gesellschaft interessiert sich für eines: Wann wird es im Land ausreichend Vakzine für das Impfen aller Kategorien von Bürgern gegen COVID-19 geben und nicht nur für die Leiter der örtlichen Verwaltungen, die für sich die Vorräte genutzt haben, die für Ärzte bestimmt waren.
Derweil haben die Ärzte einhellig die Verhängung des Ausnahmezustands im Land unterstützt. Ihren Worten zufolge sei es notwendig, Restriktionen für die Bevölkerung hinsichtlich der Disziplin und eines effektiven Kampfes gegen die Verbreitung des Virus SARS-CoV-2 anzuwenden. Experten betonen, dass, wenn keine kurzfristigen Maßnahmen ergriffen werden, das System des Gesundheitswesens an den Rand eines Kollapses geraten wird.
In der Sendung eines der nationalen Fernsehkanäle haben Spezialisten des Republikanischen klinischen Krankenhauses hervorgehoben, dass sie mit Mühen mit der großen Anzahl von Patienten fertig werden würden. „Die Situation auf den Intensivstationen ist eine schwere. Die Kosten für die Behandlung eines Kranken auf der Intensivstation betragen 60.000 bis 300.000 Lei (umgerechnet 12.200 bis 61.000 Euro – Anmerkung der Redaktion). Und es ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch die, dass die Ärzte ausgelaugt sind. In der Abteilung für Intensivtherapie kann man nicht jeglichen Arzt arbeiten lassen. Wenn wir nur die Intensivstation und nicht ausgebildeten Ärzte haben werden, werden wir einfach Sterbezimmer schaffen. Die Patienten werden einfach auf der Intensivstation auf den Tod warten“, betonte Prof. Victor Cojocaru, Leiter der Abteilung für Intensivtherapie des Republikanischen klinischen Krankenhauses.
Nach Meinung von Spezialisten sei es nötig, Regeln und Sanktionen für deren Nichteinhaltung entsprechend dem Modell des Ausnahmezustands, der vor einem Jahr verhängt worden war, festzulegen.
„Was passiert in unserer Gesellschaft? Der öffentliche Nahverkehr ist überfüllt. Die Einkaufszentren sind übervoll. Die Kirchen sind übervoll. Und es werden absolut keinerlei Regeln eingehalten. Seit Jahresbeginn haben wir mehr Todesfälle als im vergangenen Jahr. Im Land geht der britische Stamm des Virus um. Wir schließen das Vorhandensein anderer Stämme nicht aus, die weitaus aggressiver und ansteckender sind“, sagte Ninel Revenko, Leiterin der Kampagne zur Vakzinierung.
Der Leiter des Kischinjower Zentrums für strategische Forschungen und politisches Consulting „Politicon“, Anatol Țăranu, bestätigte der „NG“, dass „die Situation in der Republik Moldowa eine kritische ist, die Sterblichkeit aufgrund des Coronavirus nimmt zu, das Gesundheitswesen ist gescheitert, und weiter wird es schlimmer werden“. „Da die Bevölkerung meint, dass die Macht in der Republik Moldowa die Präsidentin darstellt, stellt man auch Sandu die Forderungen. Die Angelegenheiten in der Wirtschaft werden sich nur weiter verschlechtern. Mit der Pandemie wird der Ausnahmezustand innerhalb von zwei Monaten auch nicht fertig. Das Vertrauen gegenüber der Präsidentin wird fallen. Und die vorgezogenen Parlamentswahlen, die dennoch stattfinden werden, aber später, eher im Herbst, kann die Partei von Sandu, die PAS, verlieren. Die parlamentarische Mehrheit hat durch den Ausnahmezustand zwei Monate Vorsprung bekommen. Und sie kann noch den Ausnahmezustand verlängern. Solch ein Recht hat sie. Doch mit dem Drücken der Ratings der Präsidentin kann die parlamentarische Mehrheit, die faktisch der Anführer der Partei der Sozialisten Igor Dodon führt, auch Stimmen verlieren. Alles wird von der Gesamtsituation im Land abhängen“, erläuterte Anatol Țăranu.
Doch der ständige Kampf der Präsidentin gegen die parlamentarische Mehrheit und gegen den hinter ihr stehenden Dodon kann für beide Seite überraschend enden: Das Volk kann den Rücktritt aller fordern, wie dies bereits im Jahr 2016 gewesen war, als die Opposition eine Neuwahl des Parlaments verlangt hatte. Die Wahlen haben jedoch im Jahr 2019 stattgefunden. Zumal Moldawien in den letzten Jahren immer mehr an Kirgisien mit einer nach der anderen folgenden Revolution erinnert.
Derweil wartet Maia Sandu auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichts, in dem sie das Recht des Parlaments auf Verhängung des Ausnahmezustands angefochten hat. Anatol Țăranu sagte der „NG“, dass unabhängig davon, wie die Entscheidung des Verfassungsgerichts ausfallen werde, „Sandu unbedingt den Erlass über die Auflösung des Parlaments mit dem Zusatz unterschreiben wird: tritt nach Ende des Ausnahmezustands in Kraft“.
Inzwischen ist der Erlass der Präsidentin über den Einsatz der nationalen Armee während des Ausnahmezustands im Bereich des Gesundheitswesens in Kraft getreten. Gemäß diesem Erlass wird die nationale Armee den staatlichen Organen mit Personal und materiell-technischen Mitteln notwendige Unterstützung bei der Arbeit zur Sicherung der öffentlichen Ordnung und bei der Einhaltung der Maßnahmen zur Verhinderung und Kontrolle der Ausbreitung der COVID-19-Infektion durch natürliche und Rechtspersonen leisten. Die Armee wird auf den Straßen patrouillieren, den Verkehr innerhalb des Landes kontrollieren sowie die Sicherheit und den Schutz wichtigster Objekte und Zonen sowie der Infrastruktur gewährleisten.
In dem Erlass wird betont, dass die Armee entsprechend den Entscheidungen der Nationalen Sonderkommission für gesellschaftliche Gesundheit handeln werde.