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Moskau hat sich ausgedacht, wie es auf die neuen Sanktionen antworten wird


Zu einer Antwort auf die neuen restriktiven Maßnahmen des Westens gegen Russland würden eine Forcierung der Investitionen in die Infrastruktur, eine Verbesserung des Investitionsklimas und die Unterstützung für die nationale Wirtschaft werden, erklärte Maxim Reschetnikow, Minister für Wirtschaftsentwicklung, am Freitag bei einer Beratung zur aktuellen Wirtschaftssituation, die Kabinettschef Michail Mischustin leitete.

Reschetnikow betonte, dass nach dem Aufflammen von Volatilität sich die Finanzmärke beruhigen würden. „Dem liegen unsere stabile makroökonomische Konstruktion, der geringe Stand der Staatsschulden und die erheblichen internationalen Reserven zugrunde“, sagte er.

Nach Aussagen des Ministers würden die Restriktionen für einen Zugang zu den internationalen Finanzmärkten für die russischen Großbanken zu keinem ernsthaften Hindernis für die Entwicklung des nationalen Bankensystems werden. „Wir haben gewaltige akkumulierte Inlandsressourcen. Dies sind Mittel von Unternehmen, die entsprechend den Ergebnissen des vergangenen Jahres im Ergebnis des Gewinns in der Wirtschaft wesentlich zugenommen haben. Dies sind die Ersparnisse der Bürger, die durch das System zur Versicherung von Depositeneinlagen zuverlässig gesichert sind. Dies ist eine gute Grundlage nicht nur für die Fortsetzung der Finanzierung der aktuellen Tätigkeit der Unternehmen, sondern auch der Investitionsprojekte, die derzeit realisiert werden“, unterstrich er.

Nach Meinung Reschetnikows erlange eine besondere Wichtigkeit unter den Bedingungen der Einschränkung der auswärtigen Bereitstellung von Fonds die ausgewogene Geld- und Kreditpolitik der Bank Russlands, die in der letzten Zeit verfolgt werde. „Besonders wichtig sind die Stabilität der Zinssätze, der rhythmische und rechtzeitige Charakter der Haushaltsausgaben. Und natürlich der Beginn der Finanzierung von Projekten im Rahmen des Fonds für nationalen Wohlstand sowie die Realisierung des Programms für Infrastruktur-Haushaltskredite. Dies ist auch eine zusätzliche Liquidität in der Wirtschaft. Gerade jetzt sind sie besonders aktuell, da sie einen deutlichen Antikrisen-, einen Antisanktionscharakter besitzen und auf die Verhinderung einer negativen Entwicklung der Ereignisse ausgerichtet sind“, fügte er hinzu.

Was die Einschränkungen für den Import von Technologien nach Russland angehe, so seien sie nicht irgendetwas Neues, betonte der Wirtschaftsminister. Er erinnerte daran, dass man mit einer Reihe von Einschränkungen für die Lieferung von Hochleistungschips, Engineering-Software sowie Anlagen und Ausrüstungen für die elektronische Industrie in Russland auch früher konfrontiert worden sei. „Realisiert werden bereits Programme für eine Importsubstitution. Es gibt neue strategische Initiativen, die mit einem technologischen Durchbruch verbunden sind. Dies ist das, warum wir uns vorbereitet haben“, erklärte er in einem überzeugenden Ton.

Insgesamt seien die Sanktionen auf eine Einschränkung der Integration Russlands in die Weltwirtschaft ausgerichtet, sagte Reschetnikow. „Innerhalb kürzester Frist muss das System zur Exportunterstützung angepasst werden, um für die Exporteure die Möglichkeit zu bewahren, die erforderlichen Unterstützungsinstrumente zu nutzen – die Vergabe von Exportkrediten und -garantien (bzw. -Versicherungen) sowie die effektivsten Formen von Subventionen“, meinte der 42jährige Minister aus der Kremlpartei „Einiges Russland“.

Im Zusammenhang damit unterstrich das Kabinettsmitglied die Wichtigkeit der Arbeit zur Diversifizierung der Exportmärkte. Die Vermarktung russischer Waren und Leistungen auf den Märkten Lateinamerikas, Asiens sowie von Ländern Afrikas und des Nahen Ostens werde zu einer der Hauptaufgaben. Eine überaus wichtige Richtung seien die weitere Entwicklung der Eurasischen Wirtschaftsunion, die Verstärkung der Handels- und Wirtschaftskontakte mit den Partnern und Beobachter-Ländern.

„Heute ist unsere Wirtschaft um ein Mehrfaches stabiler als 2014“, erklärte Reschetnikow. „Dies erkennen unterschiedliche internationale Finanzinstitute an. Eine globale Antwort auf alle Sanktionen ist die Fortsetzung der Realisierung jener Politik, die verfolgte – die Realisierung der nationalen Vorhaben und staatlichen Programme, eine Erhöhung der Investitionen in die Infrastruktur, die Verbesserung des Investitionsklimas, die Versorgung der Unternehmen mit erschwinglichen Krediten und eine Unterstützung des nationalen Business“.

Die Januar-Statistik weist aus, dass die bis zu Beginn der „Sonderoperation in der Ukraine“ wirkenden „alten“ Sanktionen kein Wachstum der Wirtschaft der Russischen Föderation behinderten. Zumindest dauerte eine spürbare Zunahme der Industrieproduktion um 8,6 Prozent im Januar im Vergleich zum Januar des Vorjahres an. Der Produktionsanstieg der Bergbau- und Rohstoffe fördernden Industrie machte 9,1 Prozent im Vergleich zum Januar des Vorjahres aus, während es im Dezember 2021 noch zehn Prozent gewesen waren. Den Hauptbeitrag leistet hier der Öl- und Gaskomplex – sowohl die Erhöhung der Ölförderung unter den Bedingungen einer schrittweisen Lockerung der Beschränkungen im Rahmen der OPEC+-Vereinbarungen als auch die Steigerung der Gasförderung. In der verarbeitenden Industrie machte das Wachstum 10,1 Prozent aus, nachdem es im Dezember nur 4,3 Prozent waren. Als die Lokomotiven des Wachstums bezeichnet man im Wirtschaftsministerium solche nicht zum Rohstoffsektor gehörenden Branchen wie die Lebensmittel- und die Chemieindustrie sowie den Maschinenbau. Den Hauptbeitrag zum Wachstum der verarbeitenden Industrie leisteten im Januar die Metallurgie und der Maschinenbau mit einem Wachstum von 17,6 Prozent.

Die Europäischen Union habe das größte Sanktionspaket gegen Russland in seiner Geschichte geschnürt, erklärte Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer. Zuvor hatten die USA harte restriktive Maßnahmen gegen russische Unternehmen und natürliche Personen verhängt. Die Sanktionen treffen unter anderem große Finanzinstitutionen, unter denen die Sber, VTB, die Bank „Otkrytye“, Sovkombank und andere sind. Allerdings hätten die russischen Offiziellen in den letzten Jahren eine „Finanz-festung“ errichtet, wie Teilnehmer der Online-Konferenz „Russland unter Sanktionen – der Preis der Frage“, die durch die Nachrichtenagentur für Wirtschaftsnachrichten Finam.ru organisiert worden war, erklärten. Daher würden die neuen Sanktionen dem Land keinen vernichtenden Schlag zufügen und Russlands Wirtschaft nicht zerstören, obgleich sie sein Wachstum ausbremsen würden. Die Bedeutung Russlands als ein Wirtschaftsakteur in der Welt werde nachlassen, doch dies werde sich in erster Linie auf die Einnahmen der Bevölkerung auswirken, meinen sie. Im russischen Einzelhandel stöhnt man schon jetzt über die zu erwartenden erheblichen Preissteigerungen. An den Wechselstuben sind inzwischen auch die Kurse für den Euro und Dollar zu dreistelligen geworden. Und Ausdruck einer Panik ist die Tatsache, dass beispielsweise in Moskau viele Bankautomaten innerhalb kurzer Zeit leer waren und über mehrere Stunden abgeschaltet werden mussten.

Der Westen handele akkurat, wobei er einen lawinenartigen Charakter der Sanktionen vermeide, meint Jewgenij Boiko, Dozentin des Departements für Politologie der Finanzuniversität bei der Regierung der Russischen Föderation. „Probleme, darunter bei den Einnahmen, ergeben sich besonders für die Unternehmen, die mit ausländischen Partnern zusammenarbeiten. Ein Fenster von Möglichkeiten bleibt jedoch für den russischen Finanzsektor. Daher lohnt es sich bisher nicht, von einem totalen zerstörenden Charakter der Sanktionen zu sprechen“, erklärte die Expertin.

Außer der „Finanzfestung“, die die Offiziellen in den vergangenen Jahren errichteten, werde es der russischen Wirtschaft gelingen, auch aufgrund der erfolgreichen Konjunktur auf den Rohstoffmärkten einem vernichtenden Schlag zu entweichen, meint der Politologe Wladmir Slatinow. In der mittelfristigen Perspektive würden jedoch die neuen Sanktionen der russischen Wirtschaft endgültig die Fähigkeit zu einem Wachstum und einer Entwicklung mit einem akzeptablen Tempo nehmen, sagt der Experte. „Russlands Bedeutung als ein Akteur in der Weltwirtschaft wird konsequent abnehmen. Die Einkommen der Menschen werden nicht zunehmen. Und dies ist der Preis für die politischen Entscheidungen, die von der Landesführung getroffen worden sind“. Dabei bleibe offen, wie lange Russlands Bevölkerung bereit sei, eben diesen hohen Preis zu zahlen.